„Kommen noch mehr Gäste?“ erkundigte sich Anica mit einem Blick über den für neun Personen gedeckten Tisch.
Burkhart rückte Besteck und Servietten zurecht; er gab den perfekten Hausmann ab. „Ach...“, entfuhr es ihm, „habe ich vergessen dir zu sagen, dass Colonel Sparks kommt nebst Gattin und befreundetem Ehepaar? Du weißt doch – er ist in Mostar stationiert.“
„Wo es hübsch ruhig ist“, sagte Anica. Sie erinnerte sich, den Sparks schon einmal begegnet zu sein. Er war ein unscheinbarer hagerer Public-Relations-Officer mit einer etwas dicklichen, stämmigen Frau, die im Auftrag der UNO irgendwo als Sprachlehrerin fungierte. „Und?“ fragte Anica. Burkhart Ball griente. Er bot ihr eine Zigarette aus einem Goldetui an. „Jetzt nicht“, war ihre Antwort. Sie rauchte so gut wie gar nicht mehr, gab ihm freilich Feuer mit einem bleistiftgroßen Zündholz aus der Matchbox vom Couchtisch, was er dazu benutzte, ihre Hand zu nehmen und sie für eine Sekunde festzuhalten. Ihr Lächeln verkrampfte sich leicht. Körperliche Berührungen waren Anica nur in ganz bestimmten Fällen angenehm, über die sie selbst entschied.
„Die anderen kennst du nicht, Baby, dazu kommt ein gewisses Ehepaar Kamensiek aus Norddeutschland. Ich habe den Mann im Casino kennen gelernt, ein hässlicher, um nicht zu sagen rotter Vogel mit einer umso attraktiveren Gattin. Er ist immerhin ganz unterhaltsam.“
„Aber sie ist der eigentliche Grund für die Einladung?“
„Du Dummerchen“, wehrte er gleich ab, und Anica fand, es klang echt, als er hinzufügte: „Jedenfalls nicht so, wie du denkst. Viel zu jung. Und zu dienstg... beflissen. Sie hat einen Job bei der vorläufigen konsularischen Vertretung – oder kann man schon sagen: Botschaft? – und macht sich wichtig; ihr Mann ist als EDV-Spezialist dabei, aber nur zeitweilig, glaub ich. Solche Leute zu kennen ist freilich niemals verkehrt. Vielleicht kann sie sogar mal was für dich tun.“
Anicas Blick blieb auf dem Champagner-Kühler in Form eines silbernen Kelches hängen. Sie massierte ihr rechtes Ohrläppchen. Am besten, ich halte mich an den Schampus. Ein TV-Mensch, der sich auf einer privaten Party einen antüdelte und auf seine Art Lustigkeit verbreitete, hinterließ den Eindruck, der von ihm erwartet wurde.
Burkhart Ball beobachtete sie, hielt den Kopf schief. Halblaut fragte er: „Bist du schlecht gelaunt?“
„Wie kommst du denn da drauf?“ Sie tat entrüstet.
„Machst so den Eindruck, Herzchen. Ärger gehabt?“
Was weißt du schon von meinem Ärger? dachte sie und schüttelte den Kopf. Ihr halblanges Blondhaar kam auch nicht außer Form, als sie sich hinunterbeugte, um ein Glas, leicht schräg gehalten, auf Sauberkeit zu prüfen. Nur die Endlocken, die knapp auf dem Blusenkragen hängen, schaukelten leicht.
„Die Hitze setzt mir zu, Burky.“
„Wem nicht?“
„Das ist alles. Aber das gibt sich nach ein wenig guttemperiertem Sekt.“
„Das will ich meinen.“ Er war noch ein bisschen pikiert, glaubte ihr nicht. Ich kenne dich, und du weißt das, Liebling, warum lässt du mich im ungewissen, dachte er, ich geb dir noch eine Chance. „Ist was nicht in Ordnung mit deinem Süßen?“
„Lässt nichts von sich hören“, rutschte ihr heraus. Sie ärgerte sich über sich selber, weil sie sich vorgenommen hatte, dieses Thema auf jeden Fall zu meiden. So zuckte sie nur, scheinbar resigniert, die Achseln.
Burkhart überlegte einen Moment, bevor er versuchte, sie zu trösten: „Sicher ist seine Maschine mit einem Defekt auf einem Flugplatz hängen geblieben. Das wäre doch nicht ungewöhnlich in der Fliegerei...“
„Dragan weiß, wo ich zu erreichen bin“, sagte sie einsilbig.
„Nimm´s nicht tragisch“, redete er ihr zu. „Wer weiß – morgen funkt er dich vielleicht schon von Banja Luka aus an. Und jetzt nimmst du erst mal einen Schluck französischen Champagner, ja? Sonst denken nachher meine Gäste, hier leidet eine Dame an der melancholischen Version des balkanischen Hitzekollers.“
Er schenkte ihr ein volles Glas ein, und während er es ihr reichte, kam Mary-Jo durch den Brokatvorhang zum Schlaftrakt.
Mit den Handflächen prüfte sie nochmals und ganz unnötig ihre orangerot gefärbte Kurzhaarfrisur und schien nicht unzufrieden, denn sie schlenderte vergnügt ins Zimmer und tätschelte Anica burschikos beide Oberarme zur Begrüßung. „Hello, lass uns anstoßen. Das wird ein lustiger Abend. Mister Sparks hat mir angedroht, uns allen seine Meinung über die amerikanische Demokratie als Vorbild für Bosnien-Herzegowina zu sagen. Zum Wohl!“ Sie hob ihr Glas, kaum Sekt, viel Orangensaft, und leerte es. Sie wirkte betont adrett, ihre maßgeschneiderte Uniformbluse war peinlich korrekt gebügelt, die Messingabzeichen blitzten. „Du siehst ja lecker aus, Anica, hat dich der mächtige Psychiater zum Interview empfangen und...“
„Gib mir lieber gleich noch ein Glas“, fuhr Anica der Offizierin in die Parade, ohne auf die Anspielung einzugehen. „Sollen wir Sparks widersprechen oder nicht?“
Mary-Jo füllte das Glas. „Möglichst erst, wenn ich weg bin!“ Sie lachte und ließ sich von ihrem Mann Saft nachschenken.
Burkhart ging hinaus, um Getränkenachschub zu holen. Außerdem hatte er Autogeräusche gehört. Die beiden Damen standen sich – die Gläser zwischen schlanken Fingern – gegenüber. „Hab dich lange nicht gesehen“, sagte Mary-Jo, ihre großen grünbraunen Augen funkelten. „Kommst du zurecht?“
„Das sollte ich dich fragen, Mary-Jo.“ Anica erwiderte den Blick aus blinkernden Blauaugen, nippte dabei an ihrem Glas. Der Champagner war gar nicht schlecht. Eisgekühlt perlte er erfrischend durch die Kehle, verbreitete Wohlsein in allen Körpergefäßen. „Nun, in letzter Zeit habe ich – ehrlich gesagt – ein wenig auf der Bärenhaut gelegen“, sagte die Reporterin wahrheitswidrig und fügte aufrichtig hinzu: „Ich denke manchmal, dass ich doch nicht für das extreme Klima hier geschaffen bin.“
„Wer von uns ist das schon, Anica. Im Winter friert einem der Heckrotor ab, im Sommer überschwemmt der eigene Schweiß die Heli-Kanzel. Da lob ich mir mein Louisiana.“
„Heimweh?“
Mary-Jo hob die Achseln. „Heimweh hin oder her. Es ist alles eine Frage der Zweckmäßigkeit. Noch zwei Jahre hier, und ich brauche keine Bank mehr in New Orleans, um das Geschäft zu der Goldgrube zu machen, wie ich es Dad versprochen habe.“
Sie war bei ihrem Lieblingsthema. Anica bekam es jedes Mal zu hören, wenn sie Mrs. Hayward-Ball traf, und wiegte wieder den Kopf. „Du und dein Flugzeugladen.“ Mary-Jo wollte den Hangar ihres Vaters mit einer Fliegerwerkstatt vergrößern, einen Schrottplatz anbauen und Gebrauchtmaschinen ansammeln, um sie aufzupolieren und schiffsladungsweise nach Südamerika zu verkaufen, ein Millionendeal. Ihr Vater hatte nur eine Bedingung: Eine Schrottpresse, um alte, ausgediente Flugzeugswracks in dreißig Sekunden in handliche Metallpakete der mittleren Größe eines Kabinenkoffers zu verwandeln, die man stapeln und ebenfalls in die Zweidrittel-Welt verhökern konnte, bei lächerlich geringem Zoll, aber exorbitanten Preisen.
„Das ist die Zukunft, Anica“, behauptete sie behaglich. „Meine und die Alterssicherung von Dad. Und ich habe es in der Hand. Die eine Hälfte ist bereits unter Dach und Fach. Noch die paar Monate und sie können meinetwegen den ganzen Balkan an Allah oder den Kommunismus zurückgeben. Ich bin Realistin. Für mich ist das hier ein Scheißland, wenn du mich fragst. Irgendwo wird der liebe Gott sein Klistier hineinstecken, ob in Grosny, Kabul, hier oder anderswo. Doch zu Hause wächst mein Bankkonto. Du brauchst gar nicht mit dem Kopf zu schütteln. Eure Bundeswehrlandser wollen doch gar nicht mehr raus aus Somalia, wenn sie an ihre Kontoauszüge denken. Ist ja auch schließlich das einzige, was einen mit allem versöhnt. Was die Leute hier anstellen, wenn ich daheim meinen Laden komplett habe, ist mir so egal wie das Schicksal einer Batterie Geschosshülsen oder leergetrunkener Champagnerflaschen. Prost!“
„Damit wirst du bei Colonel Sparks schön ankommen“, sagte Anica. „Er hat mir mal gesagt, dass die Vereinigten Staaten hier eine Mission zu erfüllen haben, eine heil...“