Afghanistan, Srebrenica & zurück. Norbert F. Schaaf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Norbert F. Schaaf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844215076
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aber war sie darüber verzweifelt, dass ihr sein Name nicht einfiel.

      Der größere Schrecken des Traums kam zum Schluss. Ihr Cockpit explodierte, sie fand sich an einem Fallschirm hängend, umringt von Möwen, die mit scharfen gelben Schnäbeln die Fallschirmleinen durchbissen. Sie fiel, immer schneller werdend, die Möwen folgten ihr, doch sie verwandelten sich in Tauben, als sie sich näherten. Den gutmütigen Taubenaugen wuchsen Wimpern, die Augäpfel traten hervor, wurden geschlitzt, grausam. Die graublaue Farbe ihrer Gefieder veränderte sich ebenfalls. Anica erkannte, dass sie unten schwarz, oben braun waren, als sie ins Bodenlose fiel.

      Die drei Tauben verschwanden, tauchten unter ihr wie aus dem Nichts wieder auf und transformierten sich in die zähnefletschenden Gefräße eines dreiköpfigen Monstrums aus Löwe, Hyäne und Pavian, deren geifernde Rachen sich weit öffneten und zu einem einzigen Schlund vereinten, in den die sich zu Tode ängstigende Journalistin unweigerlich zu fallen glaubte...

      17 Im Wohncontainer der Helikopterpilotin

      Burkhart lag wach im Bett, horchte auf das sich nähernde Autogeräusch. Als der Wagen vor dem Haus hielt, sprang er auf zum Fenster und zog die Vorhänge auseinander. Ein Blick genügte und er atmete erleichtert auf. Für einen Augenblick dachte er daran, in den Bademantel zu schlüpfen, doch kroch er rasch wieder ins Bett. Er wusste, dass Mary-Jo es nicht mochte, wenn er sich Sorgen machte. Er hörte den Kübel abfahren und seine Frau die Tür aufschließen. Er lauschte auf die vertrauten Geräusche, wenn sie die Mütze ablegte, die Uniformjacke auszog und die Schuhe abstreifte, bevor sie den Kühlschrank öffnete, um die Karaffe mit selbstgemixtem Tomatensaft herauszunehmen.

      Auf Strümpfen schlich sie ins Schlafzimmer, hob bedauernd die Achseln und verzog das Gesicht. „So sorry, sweetheart“, flüsterte sie liebevoll, „obwohl ich mir immer die größte Mühe gebe, dich nicht zu wecken.“

      Ohne Uniform hätte sie genauso gut Hotelmanagerin oder Krankenschwester sein können, die in Baton Rouge frühmorgens von der Nachtschicht nach Hause kam, um sich zur Ruhe zu legen, das abgespannte Gesicht mit etwas Rouge auf den Wangen nun nachlässig-hastig abschminkend, die Kurzhaarfrisur ein wenig zerzaust. Sie sah ihren Mann an, hob die dünnen Augenbrauenstriche. „Kannst du nicht schlafen?“

      „Ehrlich gesagt kann ich nie besonders gut schlafen, wenn du nachts weg bist“, entgegnete er. „Da ich meist so tue, als sei ich gerade aufgewacht, fiel es dir nur nicht auf.“

      Sie strich mit der Hand über seine Bartstoppeln. „Wie oft habe ich dir gesagt, dass du keine Angst zu haben brauchst, wenn ich im Dienst bin?“

      „Ich habe immer Angst um dich, wenn du unterwegs bist“, erwiderte er, „und die Maschine besteigst.“

      Sie seufzte, griff nach einer Zigarette. Schon der erste Zug schmeckte nicht, sie hatte zu viel geraucht diese Nacht.

      „Mach mir´s nicht so schwer“, bat sie. „Schlimm genug, dass der Commander mir immer vorhält: `Kriegführen ist Männersache, lassen Sie sich das von einem alten Fuchs gesagt sein´. Der olle Knochen weiß die Frauen am liebsten zu Hause am Herd, möglichst weit weg.“

      „Und nun muss er mit einer Pilotin auskommen...“

      „...die einen Softie als Gatten dabei hat, der sich Sorgen macht wie ein weinerliches Hauspumpel.“

      „Vielleicht gäbe es weniger Militäreinsätze, wenn die Lebenspartner grundsätzlich immer mitkommen würden.“

      Mary-Jo lachte. „Jedenfalls wären sie kürzer. Hätte nicht manche Offiziersfrau gleichzeitig einen Job im Lazarettbereich hier oder drüben in Cervia, wäre sie zehntausend Meilen entfernt daheim, was kaum einer meiner lieben Kollegen lange aushielte.“

      „Vor allen du nicht, Mary-Jo, da...“

      „Deshalb durfte ich dich ja als Anstandswauwau mitnehmen“, schnitt sie ihm grinsend das Wort ab. „Bell mal, Burky!“

      Burkhart schmollte. Vor wenigen Tagen, in der Nacht zum ersten Augusttag, war sie um Haaresbreite dem Tod entkommen. „Ich muss immer an den letzten Juliabend denken, my Love“, sagte er. „Nie hast du mir Einzelheiten über jene Nacht erzählt...“

      Sie schwieg. Damals waren plötzlich aus der samtenen Dunkelheit Werfergranaten von den Bergen zwischen den abgestellten Helikoptern eingeschlagen. Sie hatte sich in Startbereitschaft im Pilotensitz ihrer Maschine angeschnallt und war vor Schreck wie gelähmt gewesen, als ringsum die aufzuckenden Detonationen Flugmaschinen zertrümmert und Brände entfacht hatten, die in Windeseile von auslaufendem Treibstoff genährt zu himmelhohen Flammenwänden aufgetürmt worden waren. Ein Artilleriegeschoss hatte das Rumpfheck der Maschine samt zerschmettertem Rotor abgerissen, sie war auf den Asphalt geknallt, und Mary-Jo und ihr Co-Pilot, der sich beinahe in die Hosen gemacht hätte, hatten sich mit einem Sprung ins Freie gerettet und waren um ihr Leben gelaufen, während sich das Flugbenzin aus dem Haupttank auf die Piste ergossen hatte. Ums nackte Überleben waren sie gerannt, ihr Kamerad – noch ohne angelegte Ausrüstung – schneller als sie, hinter ihnen war eine grellorange Flammengarbe hochgeschossen, deren Hitze ihre Kombination versengt hatte. Die beim Laufen hinderliche Behelmung mit Sprechanlage sowie den Fallschirm samt Pistolengurt hatte sie abgestreift, während ein Feuerlöschzug an ihr vorbeigeprescht war. Auf das Trittbrett springend hatte sie sich am Türgriff festgeklammert, bis das Fahrzeug aus dem Bereich des explodierenden Granaten heraus war. Im betonierten Unterstand beim Flugleitgebäude hatte sie sich mit anderen Offizieren und Mechanikern verkrochen, allen hatten noch lange nach dem Angriff die Hände gezittert, vor allem aus Fassungslosigkeit darüber, wie es den serbischen Angreifern möglich gewesen war, trotz mehrfacher Sicherungen so nahe an den Stützpunkt zu gelangen. Kein Aufklärer oder Sicherungsposten hatte etwas bemerkt. Um ihren Mann nicht unnötig zu beunruhigen, hatte sie ihm Detailschilderungen des Vorfalls erspart.

      Wie etwa jenen Nachteinsatz kürzlich, als sie bei 700 Fuß wusste, dass sie beschossen wurde. Irgendetwas schlug an die Unterseite ihres Helikopters, drang jedoch nicht durch sie hindurch. Unten wurden keine Leuchtspurgeschosse abgefeuert, aber Mary-Jo sah in der Tiefe die hellen flackernden Lichtpünktchen. Sie kreiste und ging sehr schnell runter, wobei sie auf den Knopf drückte, der das Feuer der Bordgeschütze mit automatischer Zieleinrichtung freigab, die an beiden Seiten der Maschine montiert waren. Jeder fünfte Schuss war ein Leuchtspurgeschoss, und die Kugeln glitten raus und abwärts, unvergleichlich anmutig, wie Mary-Jo schien, näher und näher an ihr Ziel, bis sie auf den winzigen Lichtpunkt trafen, der aus dem Walddickicht eines strategisch bedeutsamen Berges aufleuchtete. Schlagartig hörte der Beschuss von unten auf, der Helikopter gewann wieder an Höhe, flog weiter. Mary-Jos Co-Pilot, mit einem Gesicht wie eine Luftaufnahme von Steinbrüchen und über und über mit losen Hautfalten und sichtbaren Adern behängt, gähnte und murmelte: `Ich glaube, ich hau mich heut früh in die Koje und seh zu, ob ich mit ein wenig Bock auf diesen Krieg aufwach´.

      Mary-Jo hob die zu einer dünnen Linie gezupften Augenbrauen. „Sie können ihre – übrigens miserablen – Luftstreitkräfte kaum einsetzen, Burky“, sagte sie. „Du weißt, es herrscht absolutes Flugverbot über Bosnien, und unseren als UN-zugehörig gekennzeichneten Maschinen können sie nichts anhaben. Es wird schon alles gut gehen. Noch einige Monate, höchstens aber ein Jahr, dann können wir zu unserem Bankkonto heimkehren.“

      „Ich habe ein ungutes Gefühl dabei, Mary-Jo.“ Er wog den Kopf. „Von daheim aus stellt sich das alles völlig anders dar. Mit jedem Tag, den ich hier verbringe, sehe ich mich erneut mit der Frage konfrontiert, ob ich nicht lieber eine lebendige Chefin in einem kleinen Flugzeuggeschäft haben sollte als eine tote mit einem modernen, großen einschließlich...“

      „Denk nicht dran“, fuhr sie ihm barsch ins Wort. „Es ist überhaupt nie gut, zu viel und zu oft über ein und dieselbe Sache nachzudenken. Natürlich habe auch ich mir alles ganz anders vorgestellt. Doch wer kann schon ahnen, dass uns die bosnischen Serben derart einschnüren?“

      Eine Zeitlang lagen sie schweigend nebeneinander. Mary-Jo war müde, schloss die Augen. Matt spielte sie mit den Haarsträhnen ihres Mannes, der sachte ihre andere Hand drückte. Immer, wenn sie über ihre verzwickte Situation hier nachdachten, kamen ihnen Zweifel, ob die Verbündeten in den UN ihre