Afghanistan, Srebrenica & zurück. Norbert F. Schaaf. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Norbert F. Schaaf
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844215076
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schauen.“

      Anica schwirrte der Kopf, sie nahm ihn zwischen die Hände. Gedankenblitze, furchtbare Gedankenblitze, und Menschenschreie wie kreischende Sägeblätter hallten in ihren Ohren nach. Zitternd trat sie durch die improvisierte Terrassentür. Der Hausherr empfing sie mit dunklen Augenrändern und einem Achselzucken, als wolle er seine Verdrießlichkeit darüber ausdrücken, dass die Party immer noch in vollem Gang war.

      „Da kannst du genauso gut ein Ei angucken“, äußerte Frau Kamensiek, „und herauszufinden suchen, ob es innen schlecht ist.“ Sie machte eine abschätzige Handbewegung.

      Ihr Mann drehte die Musik etwas lauter. „Falls jemand tanzen möchte...“

      Burkhart und Anica sahen sich vielsagend an, als sie sich behutsam der Runde zugesellten. Die Journalistin, allmählich mit ruhigerem Herzschlag, fragte sich, ob es richtig war, zur Party zurückzukehren. Einerseits war sie noch ganz gefangen von der Ungeheuerlichkeit des zuvor Erlebten und sehnte sich nach Geborgenheit und Aussprache, andererseits konnte sie hier aller Erfahrung nach nur mit phrasenhaften Argumenten von Außenstehenden rechnen. Mal sehen, dachte sie, ob ich durch meinen Beitrag wenigsten etwas verändern kann...

      Es tanzte niemand. Mrs. Sparks stellte die Lautstärke wieder leiser, setzte ihr Glas ab und erklärte: „Wenn ihr mich fragt, hat man hier einige Fehler gemacht. Der schwerwiegendste ist wohl, dass man nicht von Anfang an das Land unter amerikanische Militärverwaltung gestellt hat. Wir wären viel weiter gekommen damit.“

      Frau Kamensiek hob die Oberlippe zu einem flüchtigem Lächeln und sagte in höflichem Ton: „In welcher Zeit leben Sie, gnädige Frau? Die Zeiten Kennedys sind passé.“

      „Eben“, beharrte Mrs. Sparks. „Jetzt und hier leben wir. Nach dem Untergang der Sowjetunion sind falsch verstandene Rücksichtnahmen fehl am Platz. Mehr denn je.“

      „Völkerrechtlich immer noch sehr kompliziert“, wagte ihr Mann einzuwenden. „Das musst du immerhin bedenken, meine Liebe.“

      „Es sind Situationen denkbar“, erklärte Mrs. Sparks, „in denen man sich nur Unannehmlichkeiten einhandelt, wenn man das Völkerrecht anzuwenden versucht.“

      „Es genügt, es einzuhalten“, mahnte ihr Mann und hob den dicken Zeigefinger. „Demokratie in unserem Sinn ist immerhin unbrauchbar für ein Land mit solchen Verhältnissen. Die Menschen sind einfach nicht reif dafür. Sie sind es gewohnt, hart, sprich autoritär, angepackt zu werden, dann herrscht Ruhe und Ordnung und man kann über Demokratie reden. Sie sollen sich brüderlich zusammenschließen, wie es jetzt die Kroaten und Moslems vorexerzieren. Anders ist das nicht zu schaffen.“

      „Soll heißen, wir schaffen es nun nicht mehr?“ fragte Burkhart, der sich wie immer mit den Zielen seiner Frau identifizierte.

      „Wir nicht und die ganzen UN nicht“, entgegnete Mrs. Sparks. „Es sei denn, man ist bereit, Opfer zu bringen. Heilige Kühe müssen geschlachtet werden. Das einseitige Waffenembargo gegen Bosnien ist doch eine Farce. Der Iran liefert via Zagreb nicht an Bosnien, wie die Medien melden, der Empfänger ist vielmehr die muslimische Armee des Alija Izetbegovic, die, wie man erstaunt zur Kenntnis nehmen muss, von UN-Truppen massiv unterstützt wird. Heiliger Krieg! Gott, wenn ich das schon höre. Ehrenvoller Krieg, vaterländischer Krieg: alles hohle Worthülsen. Der Mensch ist das größte Raubtier an der Spitze aller Geschöpfe, hochtechnisiert heutzutage, aber nichtsdestoweniger reißerisch – von Natur aus. Mit Demokratie ist da noch kein Blumentopf gewonnen worden. Oder hat man das Volk gefragt, ob es das gewollt hat, was sich uns heute hier bietet? Man hat es geführt! Nämlich an der Nase herum! Am schlimmsten sind die Journalisten! Sie weiden sich am Unglück der vom Krieg Betroffenen und behaupten, ihre Leser und Zuseher verlangten danach. Anwesende selbstverständlich ausgenommen.“ Erst jetzt hatte sie Anica neben Burkhart bemerkt.

      „Weshalb sollte die Demokratie so untauglich sein?“ mischte sich die Reporterin ein. Sie hatte sich bisher reserviert verhalten, keinen Aufhänger für einen Diskussionsbeitrag erkennen können und dem Gedankenaustausch in sich gekehrt zugehört. „Der Dalai Lama äußerte unlängst“, setzte sie energisch hinzu, „die westliche Spielart der Demokratie sei den orientalischen Völkern genauso angemessen wie die Religionen des Nahen Ostens für die Bürger der nördlichen Industriestaaten.“

      „Sag ich doch“, ereiferte sich Mrs. Sparks. „Die fundamentalistischen Islamisten haben schon viel zu viel Einfluss. Juden gibt es ja so gut wie keine mehr, ausgenommen in Israel, wo sie hingehören. Heute haben die Mohammedaner die Rolle des Finanzjudentums übernommen: Ihre Petrodollar haben die ganze Welt infiziert. Stammt der Aidsvirus nicht aus Arabien?“

      Anica bemerkte amüsiert den unwilligen Blick, mit dem Sparks seine Frau streifte. „Manchmal, Lilian, bringst du die Dinge mächtig durcheinander.“

      „Wieso? Haben die Juden unseren Herrn Jesus etwa nicht ans Kreuz geschlagen und die Muslims seine Gebeine geschändet?“

      „Deswegen ist Gottes eigenes Land ja Amerika“, gab Anica trockenen Tonfalls zurück. „Der letzte Hort allerchristlichster Lebensführung.“

      „Spotten Sie nur“, schimpfte Mrs. Sparks. „Während ihr Deutschen Verwaltungsspezialisten nach Mostar schickt, halten unsere Jungs ihren Kopf hin und bezahlen mit ihrem Blut für die Demokratie auf dem Balkan.“

      „Wir sind erwachsene Menschen“, sagte Sparks. „Man soll uns nicht zumuten, an Dinge zu glauben, die für die Leser der Sonntagsblätter bestimmt sind. Was wir hier erleben, sind ganz normale Geburtswehen eines industriegesellschaftlich organisierten Nationalstaates, der im Entstehen begriffen ist. Und da es sich quasi um dreieiige Drillinge handelt, von denen der erste in eine Fuß-Steiß-Lage geraten ist, sind wir mit einem Hebammenteam vor Ort.“

      „Interessante These, Colonel“, sagte Kamensiek und rückte seine Brille zurecht. „Das müssen Sie aber näher erläutern!?“

      „Na, ihr Deutschen habt uns doch die Suppe eingebrockt. Mit eurer überstürzten völkerrechtlichen Anerkennungspolitik sind Tatsachen geschaffen worden, an denen wir nicht mehr vorbeikommen. Das hat man davon, wenn ehemalige Geheimdienstchefs an die Regierung kommen. Sie sollten doch von Ex-Präsident Bush, der CIA-Chef war, gelernt haben. Stattdessen machen sie einen Mann zum Außenminister und Vizekanzler...“

      „...der vormals Leiter des bundesdeutschen Nachrichtendienstes war...“, schob Kamensiek nicht ohne Stolz ein.

      „...während man die Abwehrleute, die für staatliche Sicherheit ihres ehemaligen Landes verantwortlich waren, hinter schwedische Gardinen verbannt“, setzte Anica fort und dachte: Diese Diskussion in der Talk-Show eines heimatlichen Senders hätte bestimmt Rekordquoten erreicht.

      „Rot Front“ rief Frau Kamensiek mit erhobener Faust.

      Anica lächelte.

      „Immer noch besser als: Heil Hitler!“ entgegnete Kamensiek. „Übrigens werden die befreundeten Kroaten heute von einem Ex-Kommunisten angeführt.“

      „Wäre er Ostdeutscher“, warf die Journalistin kopfnickend ein, „käme er vor die Schranken des Gerichts.“ Für einen Augenblick trat Schweigen in die Gesprächsrunde. Die Damen schlugen die Beine übereinander und sahen auf die Fußspitzen, die Herren verschränkten die Arme und ließen das Kinn auf die Brust sinken. Alle griffen zu ihren Gläsern, tranken aus und ließen sich von Burkhart nachschenken.

      „Doch zurück zum Thema“, fasste sich Kamensiek als erster. „Wer hat hier in Bosnien eigentlich das Sagen?“

      „Alle und jeder“, antwortete Sparks. „Der Generaltotengräber mit dem Blauhelm und sein Nachfolger, die Moslemführer, die bosnische Regierung, der orthodoxe Pope, der kroatische Milchmann, die Sandzakfreiwilligen, schwarze Schwäne, Drina-Wölfe, Arkan-Tiger, Veteranen der Ustascha und der Tschetniks und was weiß ich wer noch alles.“

      „Wir haben jedenfalls über Serbien die Lufthoheit“, erklärte Mrs. Sparks. „Und die heilige Pflicht, unsere Position zu behaupten.“

      „Aber die Russen haben den Serben Restjugoslawiens Unterstützung versprochen“, wandte