Werner blies den Rauch genießerisch von sich. Mit seiner linken Hand strich er sich gedankenversunken über die linke Schläfe. Sogleich fragte er: „Sag mal, Karl, wie alt bist du?”
„Siebzehn!”
„Siebzehn”, wiederholte er. „Demnach bist du ein Freiwilliger, der nicht schnell genug in den Krieg und damit dem Gevatter Tod auf die Schippe springen kann.”
„Noch hab ich kein Bedürfnis danach. Doch ich möchte meinen Beitrag zum Sieg über die Feinde leisten, bevor der Krieg zu Ende ist”, erwiderte Karl enthusiastisch.
Werner lachte laut auf. Es kostete ihm offensichtlich Mühe, ruhig zu werden. Er knurrte: „Junger Freund, zügle deinen Heißhunger auf Heldentaten. Der Krieg wird noch sehr lange dauern. Und ich glaube, du wirst noch früh genug die Nase davon voll bekommen.”
Karl schaute ihn von oben herab an. Trotzig erwiderte er: „Das glaube ich nicht. Deine Angst, Kamerad, ist unbegründet.”
Werner seufzte: „Der Barras, junger Freund, ist ohne Gnade und Erbarmen.” In diesem Augenblick wehte ein Luftzug erneut eine Duftwolke von Parfüm zu Karl herüber. Er schnüffelte und verzog sein Gesicht verächtlich.
„Oh!” rief Werner, „Deine Nasenflügel bebten beim Einsaugen meines französischen Parfüms. Magst du den göttlichen Duft nicht?”
„Überhaupt nicht”, entgegnete Karl mit einem leicht überheblichen Lächeln auf den Lippen, „meine Nase, Kamerad, mag den Geruch der Erde, der Bäume, des Obstes und der Wiesen, sie liebt den Duft der Blumen, der Blüten, der Kräuter. Ich bin eben ein Dorfbursche, der in ärmlichen Verhältnissen aufgewachsen ist und weder Parfüm noch Lippenstift oder Gesichtspuder kennt. Bei uns genügte es, sich täglich gründlich mit Seife zu waschen und am Wochenende im Waschhaus ein heißes Bad zu nehmen.”
Werner nickte. „Ich verstehe.” Er lehnte sich an ein Spind, schloss die Augen und schickte sich an, Karl lang und breit von den Bräuchen der alten Ägypter, Griechen und Römern zu erzählen, wie sie, den Göttern gleich, in geheiligter Tradition sich mit ätherischen Ölen, Salben und besten Duftstoffen pflegten. Insbesondere huldigten die Königinnen den Duftwässerchen, den arabischen Ölen, auch den vielen kleinen Verschönerungsingredienzien.
„Und was hat das mit dir zu tun?” fragte Karl.
Werner öffnete die Augen. Mit stoischer Ruhe sah er Karl an.
„Mein Freund, ich bin im väterlichen Geschäft Drogist. Und in meiner Branche gehört es zum guten Ton, exakt, gut gekleidet, freundlich und zuvorkommend der Kundschaft gegenüber aufzutreten. Unsere zahlungskräftigen Kunden aus der Hautevolee bringen Geld ins Haus. Ihnen gegenüber bedarf es eines ausgesuchten Fluidums, einer wohltuenden Ausstrahlung – keines schäbigen Auftretens.”
„Wenn ich dich richtig verstehe“, entgegnete Karl, „balsamierst du dich ein, weil du ihnen als Verkäufer-Persönlichkeit gefallen möchtest.”
„Du hast es erfasst. Von den Damen hängt das Geschäft ab. Ihre oft wunderlichen Eigenheiten zu kennen, darauf kommt es an.”
„Aber – klafft nicht zwischen dir und den höheren Gesellschaftsschichten eine unüberwindbare Kluft?”
Werner schüttelte den Kopf. Sein Blick verschleierte sich. Leise flüsterte er: „Die weibliche Seele, mein Freund, ist ein offenes Buch, sofern man darin zu lesen versteht. Egal aus welchem Haus oder Schloss sie stammt, sie möchte schön sein und gefallen. Das Weib ist eitel und verzehrt sich nach Bewunderung. Mit wahnsinnigem Begehren und heißen Herzen wünscht sie den Mann ihrer Träume herbei. Deshalb unternimmt sie alles, um vergöttert zu werden. Daher ihre Suche nach Mittelchen der Kosmetik, die sie hinreißender, bezaubernder, entzückender und anziehender machen möchten.”
Für einen kurzen Augenblick flackerte etwas für Karl Undefinierbares in Werners Augen auf. Aber er fuhr schon fort: „Zu mir ins Geschäft kommen Filmdivas, Frauen von Generalen, auch Baronessen und Damen von hochgestellten Parteiführern; selbstverständlich auch Hausfrauen. Jede von ihnen hat ihre ganz persönlichen Eigenheiten. Darauf einzugehen ist unser Geschäftsprinzip. Es gilt alle weiblichen Wesen beständig wie ein Magier zu umgarnen. Jede Gelegenheit ist beim Schopfe zu packen, damit man Vertrauter und Berater der Schönen wird. Nur so wird die mondäne Frau auch das Teuerste kaufen.”
Spöttisch lächelnd fuhr er fort: „Ich versuche den Damen stets glaubhaft zu machen, dass nur dieses oder jenes Parfüm oder Rouge ihren Typ unterstreicht und ihre Schönheit voll zur Geltung bringt. Frauen taktvoll in seinen Bann ziehen, sie zu faszinieren, ist eine Kunst, die zu beherrschen ist. Ab diesem Augenblick glauben alle Schönen jeden Schwindel und sie leben in der Illusion, ein Wundermittel für ihre Haut gekauft zu haben.”
„Du führst die Frauen an der Nase herum und nennst es ehrlichen Handel treiben?”
„Ich weiß”, erwiderte Werner, „dass manches in meiner Tätigkeit verächtlich ist. Doch im Konkurrenzkampf und ums Geld darf man nicht zimperlich sein. Und Gewissensbisse darf man schon gar nicht kennen. Mein Appetit auf Profit ist weder geringer noch größer als bei anderen Geschäftemachern.”
Zum ersten Mal in seinem Leben begriff Karl: In der Geschäfts-und Unternehmerwelt ist alles der Logik des Geldes unterworfen. Werner versank einen Augenblick in tiefes Nachdenken. Dann hellte sich sein Gesicht auf. Er ging zum Spind und beförderte einige Flakons und Döschen heraus und stellte sie auf den Tisch.
„Riech mal!”
„Danke!” Karl wehrte ab. „Du kennst meine Abneigung.”
„Sei kein Frosch, Karl.” Er lachte heiter auf. „Ich möchte dir doch nichts verkaufen. Du sollst nur auf den Geschmack kommen. Und wenn du mal eine kleine Freundin hast, dann sag es mir. Du bekommst von mir das berauschendste, wohlriechendste Parfüm, das im eroberten Frankreich zu holen war.”
In diesen Moment polterte es vor der Tür, gleich darauf wurde sie regelrecht aufgestoßen und die restlichen zwei Stubengefährten betraten das Zimmer. Zuerst erschien ein mittelgroßer, etwas dicklicher Bursche in der Uniform der Hitlerjugend. Seinen rechten Arm zackig in die Höhe streckend, brüllte er: „Heil Hitler!”
Für Sekunden herrschte tiefe Stille. Karl war unsicher, was er machen sollte. Die auf den Betten dösenden Kameraden waren hochgeschreckt und warfen dem Hitlerjungen gequälte Blicke zu. Keiner hatte den Gruß erwidert. Das übermäßig forsche Auftreten gefiel ihnen nicht. Der Hitlergruß war in der Wehrmacht noch nicht eingeführt worden.
„Ich bitte um Gehör!” Der Drogist brach das Schweigen. „Darf ich vorstellen, der Rekrut, der uns soeben begrüßte, heißt Beppo Kohl. Er ist Scharführer der Hitlerjugend in Berlin-Grunewald. Er ist ein Nachbar von mir. Nebenbei gesagt, er ist ein Zweihundertprozentiger. Vater und Sohn von den Ereignissen 1933 hoch gespült, glauben sich zu Höherem berufen. Sie sind aber geistig etwas minderbemittelt.”
Beppos Gesicht färbte sich dunkelrot, bis hinter die Ohren. Empört rief er heiser: „Und dieses Drogistensöhnchen ist ein schmieriger Weiberheld, der die Frauen von Offizieren und höheren Beamten verführt hat, um vom Wehrdienst zurückgestellt zu werden. Er ist ein Drückeberger und Volksschädling.”
„Aber Beppo”, entgegnete Werner leicht ironisch, „ich hab dich doch nur so vorgestellt, wie es sich geziemt. Du machst es mir schwer, mit dir vernünftig zu reden. Dein Hass, Junge, bringt dich um den Verstand. Und wenn wir ab heute in einer Kompanie dienen müssen und dazu noch auf einer Stube liegen, sollten wir vernünftig sein und das Kriegsbeil begraben.”
Werner ging auf Beppo zu, wollte ihm die Hand reichen. Der aber krächzte: „Nie geb ich dir meine ehrliche Hand. Und es ist ein schlechtes Zeichen für dich, ständig in meiner Nähe zu sein, denn ich werde dich