Eine unberechenbare Zeugin. Gabriele Schillinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gabriele Schillinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750229051
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beendet hatte. Würde sie länger darüber nachdenken, hätte sie vielleicht nicht mehr die Kraft für eine Trennung gehabt. Ben und sie waren lange zusammen. Da er nun auch mehr verdiente, wollten sie auf ihr Traumhaus sparen und möglicherweise doch noch eine Familie gründen. Ben gab das Geld fürs Haus allerdings für Schmuck aus, den er einer anderen Frau schenkte. Er hatte ihren Traum von einer gemeinsamen Zukunft zerstört, das war unverzeihlich.

      Natürlich gab es auch schöne Zeiten, aber die lagen in der Vergangenheit. Besser es war ein schneller Schlussstrich. Nicht so, wie manche Frauen jahrelang unglücklich neben einem Mann zu verwelken drohen.

      Viktor versuchte Elena telefonisch zu erreichen. Es war ungewöhnlich, dass sie sich derart unerwartet krankmeldete. Elena hatte allerdings keine Lust mit irgendjemandem zu sprechen.

      Abwechselnd kamen Traurigkeit und Wut in ihr hoch. Wenn ihr Blick durch das Wohnzimmer schweifte, sah sie Dinge, die sie mit Ben in Verbindung brachte. Gemeinsame Fotos warf sie in eine Schublade, übersehene Bücher in eine große Schachtel, in welche auch die restlichen Dinge kamen, die sie nicht haben wollte.

      Plötzlich sprang sie aus dem Sessel, öffnete alle Fenster und ging ins Schlafzimmer, um die Bettwäsche zu tauschen. Sie konnte seinen Geruch nicht mehr ertragen. Die Waschmaschine lief auf Hochtouren. Selbst Vorhänge und die Wohnzimmerdecken landeten in der Maschine. Es würde zwar noch einige Zeit dauern, bis nichts mehr in der Wohnung auf ihn hindeutete, doch dies war ein guter Anfang.

      Abends war es still in den Räumen. Ben kannte Elena gut und wusste genau, dass sie ihn nicht in die Wohnung lassen würde, also nahm er sich vorerst einmal ein Hotelzimmer.

      Elena hatte allerdings noch ein weiteres Problem. Der Vorfall in der Nacht. Sie drehte den Fernseher auf. Vielleicht kam etwas in den Nachrichten? Immerhin wurde jemand erschossen.

      Der Nachrichtensprecher redete von einem Hausbrand, einer Messerstecherei in einem anderen Bundesland, einem Autounfall und einem vermissten Politiker. Nichts was auf den Toten in der Garage hinwies. Aber vielleicht hatte er ja auch Glück und lebte noch?

      Möglich war auch, dass ein paar Leute einen Amateur Film drehten. Andererseits, warum hatte man sie dann bewaffnet verfolgt?

      Elena zog sich ihre Sportsachen an und joggte zum Tatort. Vorsichtig ging sie in die Parkgarage, um nach Spuren zu suchen. Genau dort, wo auf den Mann geschossen wurde, befand sich ein großer Ölfleck. Wahrscheinlich hatten die Verbrecher Blutspuren damit verdeckt. Elena erschrak, ein Auto fuhr in die Garage um einzuparken. Sie lief schnell wieder aus dem Gebäude, joggte eine Runde um den Park und rannte die Stufen zu ihrer Wohnung empor. Als hätte sie jemand verfolgt, verschloss sie hektisch die Eingangstüre. Nachdem Elena mit der Dusche fertig war, nahm sie am Schreibtisch Platz und suchte im Internet nach Hinweisen zu dem Verbrechen. Doch wollte sich einfach nichts finden lassen. Irgendwann fielen ihr die Augen zu. Ohne sich die Zähne zu putzen, legte sie sich erschöpft ins Bett.

      Der leere Magen weckte sie zur Mittagszeit. Zuerst fuhr sie erschrocken hoch, in dem Glauben, verschlafen zu haben. Dann dämmerte es ihr langsam, dass sie im Krankenstand war.

      Im Radio wurde wieder über den vermissten Sekretär vom Verteidigungsminister gesprochen. Auch die Unruhen rechtsradikaler Gruppen wollten sich nicht beruhigen. Schlaftrunken setzte sie sich mit ihrer Müslischüssel zum Küchentisch.

      Was sollte sie wegen des Vorfalls in der Garage tun? Am liebsten wäre sie zur Polizei gegangen, doch die glaubten an einen falschen Notruf. Nichts wies auf ein Verbrechen hin, lediglich sie hatte es gesehen. Doch was war ihre Aussage ohne Beweise wert? Wahrscheinlich dachte man, Elena wäre durcheinander. Niemand würde ihr glauben. Zweifelte doch sogar sie schon langsam an sich selbst. Was, wenn sie wirklich durcheinander war und die Realität nicht mehr von bösen Träumen trennen konnte?

      Ben versuchte Elena zu erreichen. Noch war sie nicht bereit mit ihm zu reden, aber irgendwann musste sie wohl.

      Eine Woche später rief sie ihn an. Seine Ausreden und sein Flehen nach Verständnis wollte sie nicht hören, also legte sie gleich wieder auf. Zwei Tage später trafen sie sich in einem Lokal. Elena ging es nur darum, was er noch von der Wohnung brauchte. Ben begriff schnell, dass seine Freundin einen endgültigen Schlussstrich unter die Beziehung gemacht hatte. Obwohl er sie vermisste und seine Taten bereute, musste er ihre Entscheidung akzeptieren. Gegen ihren überaus konsequenten Rausschmiss konnte er auch nichts tun. Die Wohnung gehörte Elena.

      Das Gespräch verlief ruhig, nahezu schweigsam. Ben legte Elena einen Zettel mit seiner neuen Adresse auf den Tisch. Er hatte nicht lange gebraucht um eine Frau zu finden, bei der er wohnen konnte. War er etwa sexsüchtig? Elena war erschüttert, dass sie in so vielen Jahren nicht bemerkte, wie Ben wirklich war. Vielleicht ging er schon viel früher fremd und sie bemerkte es nur nicht. Natürlich war auch Wehmut dabei, immerhin liebte sie ihn noch. Aber ohne Vertrauen funktionierte einfach keine Beziehung mehr. Hätte er bloß offen mit ihr über sein Verlangen nach anderen Frauen gesprochen. Elena war nicht prüde und zum richtigen Zeitpunkt vielleicht sogar zu einer Übereinkunft offen gewesen, doch die Lügen gingen einfach nicht.

      Zurück in der Wohnung klebte sie Bens Kisten zu. Er schickte einen Freund vorbei der sie abholte und zu seiner neuen Adresse brachte. Der Vorraum schaute leer aus, als Bens Sachen weg waren. Lediglich am Boden lag Schmutz herum, den Elena mit einem Besen wegkehrte. Der Platz, an dem immer Bens Schuhe standen, war frei. Nie mehr würden dort welche von ihm stehen.

      Nun war es endgültig. Elena krümmte sich auf dem Bett zusammen und weinte.

      Da sie sich weiterhin krankschreiben ließ, stand eines Tages Viktor vor ihrer Türe.

      Elena sah tatsächlich krank aus. Krank vor Kummer.

      Viktor trat ein und umarmte sie wieder. Er war für Elena wie ein großer Bruder, der sich um sie sorgte.

      Sie setzten sich ins Wohnzimmer und redeten. Allerdings ging es nur um ihre Trennung von Ben, das beobachtete Verbrechen wollte sie lieber verschweigen.

      Im Nachhinein tat Elena das Gespräch mit ihrem Freund gut. Möglicherweise hätte sie ihn schon früher einweihen sollen. Er wusste bislang nur von Bens erstem Fehltritt. Viktor war daher noch im Glauben, es würde sich zwischen den beiden wieder zum Guten wenden. Auch er war über Bens Verhalten erschüttert. So hatte er ihn nicht eingeschätzt.

      Als Elena wieder zur Arbeit ging, erwarteten sie neue Teilnehmerinnen für den Verteidigungskurs. Die Gruppe zuvor übernahm ihr Kollege. Zudem war ihr Kurs schon zu Ende. Nur Eva sah Elena noch ab und zu bei Viktor trainieren. Das Boxen half ihr ihre Wut unter Kontrolle zu bekommen und was noch wichtiger war, sie akzeptiere Viktor, obwohl er ein Mann war.

      Elena wusste, es gab in jeder Gruppe eine Eva und es gelang nicht, jeder zu helfen. Die Frauen mussten bereit dazu sein. Bei einigen gelang es einfach nicht, an sie heran zu kommen. Manchmal mussten sie auch von der Gruppe hinausgenommen werden, weil sie die anderen verletzten. Ihre aufgestauten negativen Gefühle waren kaum im Zaum zu halten. Elena bedauerte jeden dieser Rauswürfe, bot ihnen jedoch immer einen alternativen Kurs an, welchen allerdings die wenigsten annahmen.

      Es war einfach nicht ihre Aufgabe Soldatinnen auszubilden, sondern lediglich Frauen und Männer, die sich wehren konnten, wenn es darauf ankam. Ja, sie hatte auch manchmal Männergruppen. Es waren weniger als die reinen Frauengruppen, weil Männer sich schwerer taten um Hilfe zu bitten. So fanden auch nur drei im Jahr statt.

      Die meisten von ihnen waren schon als Kind unterdrückt worden. Es war dann schwierig im Erwachsenenalter selbstbewusst aufzutreten. Sie wurden zum Magnet von dominanten Menschen und von welchen mit hohem Aggressionspotenzial.

      Männer, die wie Eva waren, kamen entweder zu Viktor, oder zu ihrem Kollegen Paul. Es waren auch immer wieder ehemalige Häftlinge dabei, die versuchten, mit dem Kampfsport ihre Emotionen im Zaum zu halten. Aber auch Kinder, bei denen eine Gesprächstherapie nicht ausreichte. Meist wurden sie vom Jugendamt geschickt.

      Die Arbeit ließ Elena ihre eigenen Probleme vergessen. Ben war bereits Geschichte und das beobachtete Verbrechen geriet immer mehr in Vergangenheit. Obwohl es Elena nach wie vor widerstrebte, nichts zur Aufklärung beitragen zu