Und auch Ron stand nicht der Sinn danach, mit seinem Vater oder der Nachbarin zu plaudern. Er wollte seine Ruhe haben, arbeiten und sich Gedanken darüber machen, wie es nun mit ihm weiter gehen solle, denn er würde bestimmt nicht die „Arbeit“ seiner Mutter fortsetzten. Dazu war er nicht bestimmt und mit seinem Talent des Schreibens gesegnet, um es am Herd über brutzelnden Töpfen zu vergeuden.
Die ersten Tage kam die Nachbarin noch einige Male vorbei, um nach dem Rechten im Männerhaushalt zu sehen. Sie taten ihr leid. Die Tatsache, nun alles selbst in die Hand nehmen zu müssen, Dinge erledigen zu müssen, von denen sie keine Ahnung hatten. Deshalb versuchte die Nachbarin immer wieder, Vater und Sohn unter die Arme zu greifen. Sie kochte extra mehr Mittag, um zwei volle Teller bei ihnen vorbei zu bringen. Bevor sie einkaufen ging, fragte sie bei Ron nach, ob sie ihm noch etwas mitbringen solle, mehr als nur Chips, Pizza und Cola. Einige Male sorgte sie sogar für Ordnung im Haus, lüftete durch, saugte und putzte alles. Sie wollte guten Willen beweisen und zeigen, was es alles zu erledigen gab an Alltäglichkeiten im Haushalt, doch all ihre Bemühungen wurden wie selbstverständlich hingenommen und als sie schließlich nach einem Monat nicht mehr kam, um alles in Ordnung zu halten und den Kühlschrank zu füllen, störte es auch scheinbar niemanden. Nun konnte die Nachbarin nur zu gut nachempfinden, wie mühevoll und trostlos das Leben von Rons Mutter gewesen sein musste und dass ihr Tod wohl auch gleichzeitig ihr größter Segen gewesen war, aus dieser Hölle endlich einen Ausweg gefunden zu haben.
Das Haus verkam mit jedem Tag, seitdem die Nachbarin das letzte Mal da gewesen war, ein Stückchen mehr. Anfangs fiel es noch gar nicht wirklich auf, es stapelte sich einiges Geschirr, das gespült werden wollte, irgendwann setzte sich überall Staub an, nach einigen Tagen begann es in jedem Zimmer widerlich zu riechen. Es war ein schleichender Prozess, der einfach von Vater und Sohn als nicht änderbar hingenommen wurde. Keiner von ihnen sah es als seine Aufgabe, irgendetwas am derzeitigen Zustand zu ändern. Weder am Zustand des Hauses, noch am Zustand ihres Verhältnisses.
Ron kam meist schon mittags von der Schule nach Hause und verschwand sofort in seinem Zimmer, um an seinem Buch zu arbeiten. Nachmittag für Nachmittag machte er sich ans Werk und verließ seine Zimmer auch nur noch, wenn er auf Toilette musste. Vor allem abends wagte Ron sich nicht mehr über seine Türschwelle, denn dann kam sein Vater von der Arbeit und ihm dann zu begegnen war alles andere als ein freudiges Wiedersehen. Man hörte ihn immer sofort an den schweren Schritten im Flur, wie er kurz darauf seine Schuhe von den Füßen schüttelte, die erst mit lautem Knall gegen die Wand geschleudert wurden und dann auf den kalten Fliesenboden donnerten. Einen Augenblick später hörte man die Kühlschranktür zuschlagen, gefolgt von lautem Fluchen, warum das scheiß Ding schon wieder leer war.
Ron hingegen störte der Inhalt des Kühlschranks herzlich wenig, denn seitdem niemand mehr für ihn kochte und sich um sein leibliches Wohl sorgte, hatte er den Entschluss gefasst, so gut wie gänzlich auf das Essen zu verzichten. Toastbrot, Käse und Eistee wurden zu seinen neuen Hauptnahrungsmitteln, die er sich in großen Mengen gönnte, wenn er es anderenfalls vor Hunger kaum noch aushielt. Er sah nicht ein, warum er jetzt für sich und seinen Vater die Rolle der Mutter übernehmen sollte. Diese unehrenhafte Aufgabe konnte jemand übernehmen, der dem Ganzen auch gewachsen war.
Soll der Alte sich doch eine neue Frau suchen, die sich um alles kümmert.
Doch stattdessen versuchte dieser ein ums andere Mal, Ron die Pflichten eines Hausmannes aufs Auge zu drücken. Seine Argumente waren dabei so plump und einfallslos wie er selbst. So überzeugten Ron Aussagen wie: „Du und deine Mutter haben doch die gleiche BH-Größe, also stell dich nicht so an und putz endlich!“ nicht mal annähernd. So lebten beide Männer noch eine geraume Zeit im gemeinsamen Zuhause nebeneinander her, bis Ron es schließlich nicht mehr aushielt in all dem Müll, Dreck und Gestank, der ihn umgab. Es war nicht nur der Zustand des Hauses, der ihm mittlerweile zuwider geworden war, auch sein Vater war noch unerträglicher geworden, als er es ohnehin schon immer gewesen ist. Ron hätte niemals gedacht, dass es möglich war, einen Menschen, von dem man sich nichts mehr als Aufmerksamkeit gewünscht hatte, wenn auch nur einen kurzen Augenblick lang, schließlich genau für diese Aufmerksamkeit, die einem plötzlich zuteilwurde, so sehr zu hassen. Wie sehr sehnte sich Ron nach der Zeit zurück, in der sein Vater sich nur mit sich selbst beschäftigt hatte und alle anderen in Ruhe ließ. Nun wusste Ron, was sein alter Herr in Wahrheit für ein Mensch war und er fand ihn widerwertig. Ein egozentrischer, selbstgefälliger, fieser Arsch, das war dieser Unmensch. Nicht mehr wert als der Fliegendreck auf Rons Memoiren, dafür aber umso bedeutungsloser. Er würde sich nicht länger zum Sklaven dieses Mannes machen und sich weiter seinen Schikanen aussetzen, das stand für Ron fest. Deshalb packte er alles, was er besaß in einen Rucksack und verschwand auf nimmer Widersehen.
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