O Samael. Martin Francis Forster. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Francis Forster
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847623571
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Feld der Möglichkeiten standen wir beide hilflos herum, ackerten nicht, zupften kein Unkraut. Aber wir säten.

      Und die Saat fiel auf fruchtbaren Boden.

      Katharina-Maria war schlank, fast knabenhaft. Niemand dachte sich etwas dabei, als ihre Brüste praller wurden, als ihre Rundungen zunahmen. Katharina aß mehr als sonst, und ihre Wangen wurden rosiger. In ihrem Blick lag ein ungewohnter Glanz. Man hielt es wohl für die übliche Entwicklung eines Mädchens ihres Alters­. So blieb die Schwangerschaft unentdeckt – von allen im Haus, sogar von ihr und mir.

      Zumindest eine Zeit lang.

      Es war Martha, die Katharina und mich eines Abends zur Seite nahm.

      »Was denkt ihr euch? Lange könnt ihr das nicht geheim halten«, zischte sie.

      »Was geht es dich an? Das ist unsere Sache«, gab ich grob zurück. Ich glaubte, dass sie auf Katharinas nächtliche Besuche bei mir anspielte.

      »Eure Sache, ach ja? Ist es das? In ein paar Wochen wird das ganze Dorf Bescheid wissen!«

      Ich fuhr sie an: »Wenn du deinen Mund hältst, wird niemand etwas erfahren.«

      »Du denkst, ich ginge tratschen? Das brauche ich gar nicht! Ich habe neun jüngere Geschwister und die letzten fünf Schwangerschaften meiner Mutter habe ich mit offenen Augen und klarem Verstand miterlebt. Und ich bin nicht die einzige im Dorf, die Augen im Kopf hat. In spätestens drei Wochen sieht auch der Dümmste, was Sache ist.«

      Mir fuhr der Schreck in die Glieder. Während ich verstanden hatte, wovon Martha da sprach, blieb Katharina gefangen in ihrer unbedarften Kindlichkeit.

      »Was meinst du?«

      »Ich rede von dem Bündel, das da unter deinem Herzen heranwächst.«

      Jetzt begriff auch sie. Ich sah, wie Katharina alles Blut aus dem Gesicht wich. Sie fasste sich an die Brust. Ihr Mund ging langsam auf und wieder zu. Ihre Lider flatterten, dann brach sie ohnmächtig zusammen.

      Katharina war schwanger. Und Elena hatte vor wenigen Wochen einen Knaben entbunden. Und ja, wenn ich zurückdachte an die traumspinnstige Nacht, in der sich Elena in meine Kammer geschlichen hatte, schien es mir gar nicht so abwegig, dass das ungewöhnlich hübsche Kind, das mit seinem dunklen Haar und den tiefblauen Augen weder an die Mutter noch an Phillip erinnerte, das meine sein könnte. Ich hatte tatsächlich innerhalb eines Jahres zwei der Töchter des Meisters geschwängert.

      »Was tun wir denn jetzt?« Angst lag in Katharinas Stimme.

      Martha und ich hatten sie unbemerkt von den anderen die Treppe hinauf getragen und auf ihr Bett gelegt. Voller Panik griff sie nach meiner Hand.

      »Wir werden heiraten. Ich werde bei deinem Vater um deine Hand anhalten« hörte ich mich sagen.

      Ich sagte das gewiss nicht aus Anstand oder gar aus Liebe. Ich sagte das, um sie zu beruhigen. Es war so einfach, sie mit einem Lächeln zu blenden.

      »So – wirst du das?« Martha sah mich an und erkannte die Lüge­ hinter den guten Worten.

      Verflixtes Weibsbild!, dachte ich. Untadelig bis unter den Rock und doch mit allen Wassern dieser Erde gewaschen. Sie wusste, dass wir zu jung waren. Und sie wusste, dass die Schande an Katharina kleben würde, sei es mit oder ohne Hochzeit. Das Dorf konnte über Generationen nachtragend sein, und die Ächtung der anderen Frauen hätte Katharina nicht verkraftet.

      »Vielleicht weiß die Wurzel-Nele einen Rat.«

      »Die Hexe?« Katharina zuckte zusammen.

      Auch ich hatte die Dorfleute schon das ein oder andere über die Alte im Wald tuscheln hören und war erstaunt darüber, dass Martha einen Besuch dort allen Ernstes vorschlug.

      »Red keinen Unsinn, sie ist keine Hexe! Du solltest nichts auf das Gewäsch der anderen Mädchen geben. Nele wird wissen, was zu tun ist. Hör zu! Am Sonntag nach der Kirche schützt du Unwohlsein vor. Anstatt Fräulein Rinkers Unterricht zu besuchen, gehst du mit mir zur Nele. Ich kenne den Weg zu ihrer Hütte.«

      »Aber Adam kommt mit?«

      »Soll er nur. Obwohl ich glaube, dass seine Anwesenheit dort nicht von Nöten sein wird. Seine Aufgabe hat er ja bereits erfüllt«, giftete sie in meine Richtung.

      Marthas Plan ging auf. Schon während der Messe sah man Katharina an, dass es ihr nicht gut zu gehen schien. Dazu musste sie sich vor lauter Aufregung und Furcht nicht einmal verstellen. Dem Meister sagten wir natürlich nichts, damit er annahm, wir gingen zur Sonntagsschule. Aber das Fräulein, als es die Lesebücher austeilte, sah Katharina besorgt an, legte ihr die Hand auf die Stirn, beschloss sogleich, dass das Mädchen ins Bett gehörte und bat mich sogar, die Schreinerstochter nach Hause zu begleiten.

      Am Dorfrand fing uns die schlaue Magd ab und führte uns zügig über kaum erkennbare Trampelpfade immer tiefer in den Wald hinein. Tags zuvor hatte es geregnet und das feuchte Unterholz dämpfte unsere Schritte.

      Vergeblich versuchte ich, mir mit Hilfe von Anhaltspunkten den Weg zu merken – ein Baum sah aus wie der andere. Wie ein wildes Tier in Lauerstellung, schien der Wald uns zu dulden, aber nicht willkommen zu heißen, so, als würde er nur darauf warten, uns bei der ersten falschen Bewegung anzugreifen.

      Immer wieder drehte ich mich um und blickte zurück. Der Wald atmete in unregelmäßigen Zügen ein und aus. Blätter rauschten, Zweige knackten mit einem drohenden Unterton, und ich fürchtete, dass uns jemand gefolgt sein könnte.

      Wir liefen bereits eine gute Stunde, und ich war mir schon sicher, dass Martha den Weg verloren hatte und uns im Kreis herum führte, als wir die Hütte der Wurzel-Nele erreichten.

      Trotz der Mittagsstunde schienen die Strahlen der Frühjahrssonne kein Durchkommen zu diesem Fleck­en zu finden. Etwas hielt das Licht von hier fern. Es war eisigkalt. Mein Lebtag noch nicht war ich so tief in die Wälder vorgedrungen. All die düsteren Schauergeschichten, die mir über die Wurzel-Nele zu Ohren gekommen waren, schienen mir an diesem Ort lebendig und wahr zu sein.

      Gut ver­steckt hinter Nusshecken und tief hängenden Ästen, fügte sich das kleine Waldhaus beinah unsichtbar in die Lichtung ein. Bis zum Giebel dicht mit Efeu berankt und die Schindeln grün bemoost, blieb die Hütte jedem zufällig vorbei kommendem Wanderer verborgen; ein Tarnumhang der Natur bot der scheuen Bewohnerin vollkommenen Schutz vor unliebsamen Gästen.

      Vor der Hütte, zwischen den Wurzeln einer mächtigen Eiche, hockte mit vollendeter Anmut eine Frau in einem dünnen, hellen Kleid, dass ihr weich bis zu den Knöcheln fiel. Langes Haar in der Farbe von schmutzigem Gold floss über ihre Schultern, und ich bemerkte mit Erstaunen, dass sie trotz der Kälte barfüßig war. Sie hob leicht den Kopf, sah uns, und als sie aufstand, stieg eine Eule mit einem Ausruf der Empörung aus ihrem Schoß empor und verschwand zwischen den Baumkronen. Mit der traumwandlerischen Anmutung eines Märchenwesens zog sich die Frau grußlos (es war mir, als berührten ihre Füße kaum den Boden) in das Häuschen zurück und schloss die Türe hinter sich.

      Ich spürte, dass Katharinas Furcht wuchs, und griff beruhigend nach ihrer Hand, doch auch mir selbst war nicht wohl bei der Sache. Marthas Idee, hierher zu kommen, entpuppte sich als wahnwitziges Unterfangen.

      »Wartet hier!«

      Martha ließ uns stehen, schritt auf die Hütte zu und pochte an die Holztür. Am Rhythmus ihres Klopfens merkte ich, dass es sich um ein Zeichen handeln musste.

      Die Hexe ließ sich viel Zeit, bevor sie die Tür öffnete.

      Durch den Spalt konnte ich ihr Gesicht sehen, dass mich an die Marienbilder in Fräulein Rinkers Sonntagsschule erinnerte. Wie alt sie war, vermochte ich unmöglich zu schätzen, doch welche Vorstellung ich mir auch immer von ihr gemacht hatte, Nele sah anders aus, als ich es mir ausgemalt hatte. Jünger. Weicher. Freundlicher. Ihre Haut war hell und glatt, weder trug sie Warzen auf der Nase noch eine Katze auf der Schulter. Ihr Blick war offen und verträumt zugleich. Etwas Unirdisches umgab sie, aber ich glaubte auch zu erkennen, dass diese Frau sehr wohl wusste, was sie tat. Dass sie helfen, nicht schaden wollte.