Meister Esau war sehr zufrieden mit mir, und ich glaube, er fing an, mich als den Sohn zu sehen, den er nur wenige Stunden gehabt hatte, und der kurz nach der Nottaufe gestorben war.
»Gute Arbeit, Junge«, brummte er oft.
»Danke, Meister«, sagte ich mit dem Lächeln, von dem ich wusste, dass er es sich von seinem Sohn gewünscht hätte, und tatsächlich nannte er mich eines Abends versehentlich »Albert« statt »Adam« und schien seinen Fehler nicht einmal zu bemerken.
So verging Monat für Monat. Sechs Tage in der Woche arbeitete ich hart. Sonntags nach der Messe lernte ich weiterhin mit den anderen Kindern aus dem Dorf Lesen und Schreiben bei Fräulein Rinker.
Nach der Sonntagsschule besuchte ich den Hof meiner Großmutter, brachte mal einen Schinken, mal einen Laib Brot als Aufmerksamkeit vom Meister mit. Meinen Vater traf ich selten an, und meine Großmutter murmelte auf meine Frage nach ihm irgendetwas von einer »Dirne« und wischte das Thema damit beiseite.
In den späten Nachmittagsstunden machte ich mich dann wieder auf den Weg zur Schreinerei, die ich mittlerweile als mein eigentliches Zuhause betrachtete.
Der Winter kam und ging, und mit ihm zogen Weihnachten, mein Geburtstag und das Dreikönigsfest vorbei. Von der ungeliebten Fastenzeit, die in Großmutters Haus streng eingehalten worden war und die ich gehasst hatte, war in der Schreinerei wenig zu spüren.
»Was soll das für ein Handwerker sein, der sich nicht ordentlich stärken darf?«, war des Meisters Ansicht, der ansonsten ein frommer Mann war und dem lieben Gott selbst den Verlust seiner geliebten Frau nicht zum Vorwurf machen wollte.
Mir tat das gut, und schon im Mai war ich ein gutes Stück gewachsen, und ich war größer und kräftiger als noch wenige Monate zuvor.
Das Leben in der Schreinerei gefiel mir. Die Werktage hatten ihren festen Rhythmus aus Arbeit und Schlaf, die Sonntage, mit ihren Predigten in der Kirche und dem Schweinebraten auf dem Tisch, rahmten die Wochen, die ins Land zogen. Die Fastenzeit endete mit dem Osterfest, der Sommer mit den ersten Herbststürmen, und in der Weihnachtszeit zog der Duft von Zimt und Sternanis durch die Schreinerei.
Doch auch vor einem frommen Haus macht der Teufel nicht lang Faxen, wenn er es sich in den Kopf gesetzt hat, seinen Klumpfuß über die Schwelle zu setzen.
Im Frühling meines zweiten Lehrjahres änderte sich etwas im Haus von Meister Esau.
Hatten seine Töchter mich bis dahin, nun, nicht gerade wie Luft behandelt, aber doch weitestgehend unbeachtet gelassen und es selbst beim allabendlichen Essen vermieden, mich anzusehen, so fing ich mit einem Male die kurzen Blicke von Elena und Katharina auf. Vorsichtige Blicke voller Neugier und Staunen; von Elena, der älteren, weniger verholen als von Katharina.
»Noch einen Schluck Bier, Adam?«, hieß es.
Oder: »Bist du auch satt?«
Ich sagte: »Aber ja!« oder »Noch nicht ...« und lächelte.
Ich genoss diese ungewohnte Aufmerksamkeit. War ich zunächst auch irritiert, so fing ich schon bald an, mir einen Spaß daraus zu machen, die Mädchen länger anzuschauen und meinen Blick nicht als erster abzuwenden. Mir fiel auf, wie ihnen dann das Blut in die Wangen schoss, und mit welcher Verlegenheit sie im Nu den Kopf abwandten und nach einer Beschäftigung für die Hände suchten.
Ich wusste, dass Elena seit über einem Jahr Phillip Kohlmorgen, dem Sohn des Dorfbäckers, versprochen war. Ich wusste auch, dass die Hochzeit mit dem ungelenken, linkischen jungen Mann im Mai bevor stand.
Phillip war recht schmalbrüstig und gleichzeitig hochgewachsen, was ihn an einen Kochlöffel erinnern ließ. Seine Bewegungen hatten immer etwas Fahriges, so als wüsste er nie genau, wohin mit den dünnen Armen, wenn man nichts in den Händen hält, und was tun mit den schlaksigen Beinen, wenn sie eigentlich still halten sollen. Sein Gesicht war obendrein von etlichen Pickeln verunstaltet, aber er hatte einen offenen Blick und die Leute mochten ihn wegen seiner höflichen, zuvorkommenden Art. Elena stand ihm in Freundlichkeit in nichts nach, war jedoch so hübsch, dass ich nicht verstand, was sie bewogen haben konnte, dieser Verbindung widerspruchslos zuzustimmen.
Vielleicht war es ihr Ausdruck von Widerstand, das trotzige Aufbegehren eines jungen Mädchens, oder einfach nur Resignation, was zu dem führte, was in der Nacht vor der Hochzeit geschah. Vielleicht war es einfach das pure Verlangen, die reine Begierde des Körpers. Vermutlich aber summierte sich von allem etwas zu einer neugierigen Abenteuerlust, die Elena in jener Nacht zu mir trieb.
Ich erwachte erst, als ihr Kopf schon auf meiner Brust lag und der lichthelle Mädchenduft ihrer Haare mir in die Nase stieg.
Eben noch hatte ich im Traum Eichendielen auf ihr Maß gestutzt, nun lag ein Engel neben mir, nackt und zitternd. Niemals zuvor hatte ich etwas so Weiches wie Elenas Haut gespürt; nie zuvor hatte ich diese besondere und einzigartige Art von Wärme, wie sie nur ein anderer Körper geben kann, kennen gelernt. War ich vielleicht gar nicht wach? Schlief ich tief und fest, allein auf der strohgestopften Matratze in meiner dunklen Kammer? Ich wusste es nicht. Es war mir auch nicht wichtig zu wissen, denn egal ob wach oder schlafend, diese nachttrübe Illusion nahm ihren Fortgang in wandernden Fingern, die von meiner Brust über den Hals strichen, bis sie den Mund fanden. Dort verharrten sie kurz, als wollten sie ein »Pssst« andeuten, dann schob sich der Zeigefinger zwischen meine Lippen, die sich öffneten, und ich saugte an der Fingerspitze. Ihr Gesicht kam näher an meines; ich spürte es, weil ihr Haar auf meine Stirn fiel. Sie zog die Finger zurück, griff mir in den Nacken und dann berührten sich unsere Münder.
Weder die Küsse, noch ihre Hände, noch das Kribbeln ihrer Haarspitzen auf meinen Schultern habe ich je vergessen. Am eindringlichsten ist mir jedoch das vernehmliche Schweigen, mit dem dies alles geschah, in Erinnerung geblieben, die Lautlosigkeit, mit der wir uns streichelten, das stumme Ja in der tiefen Stille, das der konturlosen Nacht die Wirklichkeit nahm.
Und an diese Stille, über die Maßen verstärkt durch das verschwörerische Rascheln des Strohs in der Matratze, kettete sich die Ahnung, dass – aller Inbrunst des Neuen zum Trotz – irgendetwas fehlte. Etwas, das ich unmöglich zu benennen wusste.
Als sie ihren Schoß sanft gegen mein Becken drückte, wuchs meine Erregung. Ich rieb mein geschwollenes Glied erst vorsichtig, dann fester gegen ihre Bauchdecke. Elena drehte sich auf die Seite, auf den Rücken. Ihre Hand griff meinen Oberarm fest, so dass ich mitschwang und nun auf ihr zu liegen kam. Das männliche Werkzeug, das mir die Natur mitgegeben hatte, fand, wenngleich noch gänzlich unerprobt, seinen Bestimmungsort von allein. Ohne ein einziges Wort zu wechseln, lagen wir beieinander. Selbst in dem Moment, als ich in sie eindrang, kam kein Laut über ihre oder meine Lippen. Unsere Bewegungen pendelten sich aufeinander ein, wurden schneller. Ihr Atem veränderte sich. Schweiß lief mir über den Rücken. Erst als ich etwas Fremdes in meinem Mund schmeckte, bemerkte ich, dass ich ihr in die Unterlippe biss.
Warm, süß und metallisch lag ihr Blut auf meiner Zunge. Der Frevel dieser Nacht hatte seinen ganz eigenen Geschmack.
Am nächsten Morgen weckte mich nicht wie sonst das Krähen des Hahnes. Ich verschlief, denn der Hahn war tot. Erst lautes Poltern auf der Holztreppe ließ mich hochschrecken.
Etwas war anders als sonst. Eine ungewohnte Unruhe war zu spüren. Ich rieb mir den Schlaf aus den Augen, fühlte mich auf fremde Art benommen und aufgewühlt zugleich. Dann erinnerte ich mich an den merkwürdigen und schönen Traum der letzten Nacht, und als meine Gedanken klarer wurden, sah ich mich in meiner Kammer nach Anzeichen um, die mir verraten konnten, ob meine Sinne mir einen Streich gespielt hatten oder aber, ob Elena wirklich hier bei mir gewesen war. Ich hatte ihre warme Haut gespürt und den süßen Duft ihrer Haare