O Samael. Martin Francis Forster. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Martin Francis Forster
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847623571
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Gesamten keine Besserung zu verzeichnen.

      Was für ein Jammer, dass die Wurzel-Nele nicht mehr da sei, meint er. Die hatte für jedes Wehwehchen die passende Medizin parat. Die hätte sicher auch in diesem Fall gewusst, was zu tun gewesen wäre.

      Sicher nicht, denke ich. Aber die Nele kann man ohnehin nicht mehr zu Rate ziehen. Denn Nele ist tot, in ihrer Hütte im Wald verbrannt.

      Der Barbier ist fertig und wischt die letzten Seifenreste mit dampfenden Tüchern von meinem Gesicht.

      Ich stehe auf, und obwohl ich es mir schon vor geraumer Zeit abgewöhnt habe, mich im Spiegel zu betrachten, fällt mein Blick unweigerlich auf den Mann, der sich jetzt erhebt, und ich blicke kurz in die Augen des Menschen, der ich geworden bin.

      Einen Gruß soll ich ausrichten, bittet Georgs Bruder. Das werde ich gerne tun, sage ich, bezahle die Rasur und verlasse den Laden.

      Auf dem Weg zum Hirschen grüßen ein paar Leute. Sie wünschen mir einen schönen Tag. Ich hebe meinen Hut, nicke ihnen höflich zu und wünsche ihnen Dasselbe.

      Ich mache einen kleinen Abstecher zur Bäckerei. Das unbeschwerte Bimmeln der Glöckchen über der Tür lässt ein junges Mädchen aufblicken.

      »Guten Morgen, Onkel Adam!«, ruft sie.

      »Guten Morgen, Klärchen! Du siehst wieder hinreißend aus, wenn ich das sagen darf.«

      Sie freut sich über das ehrliche Kompliment. Ihr Lächeln ist von bezaubernder Herzlichkeit, Augen und Gesicht verraten die Aufgeweckt­heit der Jugend.

      Durch die Tür zur rückwärtig gelegenen Backstube tritt Elena mit einem Korb voller frischer Brote hinter die Theke und stellt ihn ab.

      »Klara, beeil dich! Du kommst zu spät zur Schule. Oh, guten Morgen, Adam!«, grüßt auch sie.

      Das Mädchen kichert, winkt mir zu und huscht an mir vorbei zur Tür hinaus.

      Ich stehe der Mutter meines Sohnes gegenüber. Ein zweites Mal werde ich heute auf meine Frau angesprochen. Ein zweites Mal gebe ich zur Antwort, dass es unverändert schlecht um sie steht, dass der Arzt sein Bestes tut, sich aber keinen Rat weiß. Dass wir nur hoffen können.

      »Die Tage werde ich einmal vorbeischauen, wenn die Arbeit es zulässt. Du weißt ja ...«

      Ja, ich verstehe das verlegene Unwohlsein, mit dem sie ihre Besuche in der Schreinerei aufschiebt. Sie fühlt aufrichtig mit, macht sich Sorgen. Doch sie ist hilflos. Sie erträgt den verstörenden Anblick meiner Frau nur schwer, kann mit dem Kummer, der endlosen Trauer nicht umgehen.

      »Sag ihr einen lieben Gruß, und richte ihr meine besten Wünsche aus, wenn sie ...« Sie bricht ab.

      Wenn sie bei Verstand ist, wenn sie einen ihrer wenigen, klaren Momente hat, in denen sie zu begreifen scheint, was man ihr sagt, meint sie damit. Ich verspreche es.

      Im Dorf nimmt man regen Anteil. Man bekommt alles mit, sieht und hört alles, kennt die Neuigkeiten und bleibt auf dem Laufenden. Man unterhält sich, tauscht sich aus. Die Leute wissen Bescheid. Jeder weiß etwas anderes. Wenn sie miteinander reden, vermengen sich Wahrheit und Vermutung zu neuen Gerüchten.

      Die Leute wissen nichts.

      Im Hirschen hänge ich meinen Mantel an die Garderobe und nehme eine in schwarzes Leder gebundene Kladde aus der ­Tasche. Ich lege sie vor mir auf den Tisch, doch ich schlage sie nicht auf. Dann zünde ich mir eine Zigarette an und warte auf meine Tasse Kaffee.

      Meine Geschichte neigt sich dem Ende zu. Alles ist geschehen, was nicht geschehen sollte. Mehr vielleicht.

      *

       VII

      Von nun an blieb ich des Nachts allein. Katharina stahl sich zwar nicht mehr in mein Zimmer, aber ihre Blicke suchten immer wieder den meinen, und wenngleich ich ahnte, wie schwer es ihr fallen mochte, das Erlebte zu verarbeiten, wusste ich doch keinen Grund, sie zu trösten. Für mich hatte das Kind nie existiert.

      Niemand, vor allem Meister Esau nicht, hatte etwas bemerkt. Bald schon hatte ich diese unselige Geschichte vergessen, und ich ging weiter meiner Arbeit nach, gewissenhaft und konzentriert.

      So sehr Katharina den Augenkontakt zu mir suchte, so sehr vermied Elena ihn, wenn wir bei ihren regelmäßigen Besuchen in ihres Vaters Haus aufeinander trafen.

      Der Meister freute sich ungemein auf diese Besuche. Er war überaus stolz auf seinen ersten Enkel, der auf den Namen Paul getauft worden war, und er strahlte jedes Mal vor Glück, wenn er den Knaben auf den Schoß nahm und liebevoll an sich drückte.

      Wie der Großvater, waren auch die Tanten ganz vernarrt in den Buben. Katharina und Ida nähten Jäckchen, häkelten Mützchen und Decken und buhlten um die Aufmerksamkeit ­ihres Neffen. Eine ungekannte Leichtigkeit hatte den Weg in die Schreinerei gefunden, Unbeschwertheit durchzog die Tage.

      Alles schien in bester Ordnung, und so ging ein weiteres Lehrjahr ins Land.

      Irgendwo wartete etwas auf den günstigen Augenblick.

      Ich stand vor der Schreinerei, als ich Sebastian zum ersten Mal sah. Er schlenderte mit dieser unnachahmlichen Selbstsicherheit, die ständig, als wolle er die ganze Welt necken, zwischen Frechheit und Bescheidenheit balancierte, durch die Hofeinfahrt auf mich zu. Er trug die typische Kluft der Wandergesellen, den staubigen Schlapphut hatte er in den Nacken geschoben, eine dunkle Locke fiel ihm in die Stirn. Seine Stiefel waren ausgetreten, aber das weiße Hemd, die Staude, war blütenrein, und sein goldener Ohrring blitze in der Sonne auf. Als er mich bemerkte, setzte er ein breites Grinsen auf.

      Es war Anfang Juli, der Tag war heiß und drück­end, und wir warteten seit Stunden sehnsüchtig auf ein erlösendes Gewitter. Tief am Horizont zeichnete sich schon die graue Wolkenfront ab, die von Westen her herauf zog.

      Ich hatte das Tor zur Werkstatt weit geöffnet. Drinnen war es unerträglich stick­ig, schwer hing der Holzstaub in der Luft. Ich nahm meine Schirmmütze ab, um den Staub auszuklopfen, als ich den Donner heranrollen hörte. Ich sah nach oben, doch der Himmel über mir war blau und wolkenlos.

      Als das Grollen begann, ließ der Fremde schlagartig Felleisen und Stenz fallen, rannte auf mich zu, sprang mich an und warf mich zu Boden.

      Eine knappe Handbreit neben unseren Köpfen krachten mehrere Dutzend Dachschindeln auf die Erde. Ein paar Tonsplitter trafen mich und auch ihn, der schützend über mir lag, doch wir blieben beide unverletzt.

      Seinen keuchenden Atem hörte ich nicht, spürte ihn dafür umso heißer an meinem tauben Ohr. Sein Körper lag so schwer auf meinen, dass ich sein pochendes Herz fühlte.

      Auch mir, den Schreck in den Knochen, raste das Herz in der Brust. Nur um Haaresbreite war ich einem Unglück entkommen; die Schindeln hätten mich töten können.

      Der Geselle stand erst auf, als Meister Esau, aufgeschreckt vom Lärm, hinter uns aus der Werkstatt gelaufen kam und laut »Jesses!« schrie.

      »Junge, ist dir was passiert?«

      Er, der Wanderer, stand jetzt breitbeinig über mir, grinste wieder und streckte mir die Hand entgegen.

      »Hast wohl ‘nen Schutzengel gehabt«, lachte er und zog mich hoch.

      Der Meister sah, dass ich wohlauf war, fasste sich langsam wieder und nickte dem Fremden zum Gruß zu. »Einen Schutzengel oder einen ehrbaren Gesellen auf Wanderschaft. Gott segne dich!«, sagte er.

      »Gott zum Gruße! Und danke für den Segen.« Der Geselle machte eine Kopfbewegung zum Dach. »Wie ich sehe, könnte es hier Arbeit für mich geben«, meinte er.

      »Da hast du wohl Recht. Ich weiß gar nicht, wie das passieren konnte.« Der Meister kratzte sich am Kopf.

      »Ein paar Sparren werden sich vermutlich von der Hitze verzogen haben.«

      »Ja, mag wohl so sein ...« Der Meister überlegte. »Aber vom Dach einmal