Gestärkt von dem Essen machte sie noch einen Bummel durch die Geschäfte und fand viele schöne Teile. Im Gegensatz zu ihren sonstigen Bummeln kaufte sie heute alles, wirklich alles, von den Ohrringen über den Pullover bis hin zu den Wildlederstiefeln für 160 Euro. Da würde der liebe Florian bestimmt heftig schlucken, aber egal. Es war doch ihr Geld.
Bepackt mit Tüten wie ein Lastenesel kam sie zurück ins Parkhaus, bezahlte ohne mit der Wimper zu zucken die neun Euro Parkgebühren und fuhr bester Laune durch den aufkommenden Feierabendverkehr nach Hause. Heute störte sie sich nicht einmal an der relativ lahmen Lüftung ihres schicken schwarzen Kombis, die kaum damit hinterherkam, die Scheiben frei von Beschlägen zu halten.
Daheim holte sie mit großer Sorgfalt ihre Neukäufe aus den Tüten und platzierte alles im und am Kleiderschrank. Das war wie Weihnachten und Geburtstag an einem Tag. Sie zog sich das Seidenkleid noch einmal an und stand ungläubig vor dem Spiegel. Was für ein Kleid! Den Rest des Nachmittages verbachte sie mit Telefonaten. Zunächst erzählte sie ihrer besten Freundin Ulla von allem, was passiert war, reduzierte das Zusammentreffen mit Christoph am Samstag aber auf eine nette Unterhaltung in der Küche. Ihre Aufregung deswegen verschwieg sie vorsorglich, denn sie wusste, dass die bodenständige Ulla wenig Verständnis für Kirstens Schwärmerei haben würde, dabei sah sie sich selber heimlich Fotos von Leonardo di Caprio im Internet an und ging in jeden Film mit ihm. Als sie von der Weihnachtsfeier berichtete, war Ulla zwar erstaunt, pflichtete Kirsten dann aber bei: „Du musst wirklich wieder mehr unter Menschen, Kiki, das Zusammensein mit deinem stummen Vater ist nicht gut für dich. Du warst früher so eine lustige Nudel! Und wenn dieser Typ so nett ist, hast du vielleicht endlich mal einen da, mit dem du eine Runde quatschen kannst.“
Kirsten fasste das als erteilte Absolution auf, wenn auch eine zurechtgedrehte. Quatschen ist also zumindest erlaubt, das ist doch schon mal ein Anfang.
Neugierig geworden auf das gründlich beschriebene Kleid wollte sie morgen vorbeikommen, wenn sie ihre kleine Tochter zum Reitunterricht gebracht hatte.
Dann rief Kirsten gleich noch im Kosmetiksalon an und vereinbarte für Donnerstag einen Termin. Als das Telefon wieder klingelte, nahm sie ab und meldete sich nur mit einem „Ja?“.
Es war Florian.
„Kiki, ich komme heute etwas später, warte mal lieber nicht mit dem Essen auf mich.“
„Kein Problem, ich habe schon gegessen.“
Sie merkte, wie er zögerte.
„So?“, fragte er verunsichert, denn das hatte sie noch nie gemacht.
„Ich hab mir ein ganz tolles Kleid gekauft und war danach beim Italiener!“, gab sie fröhlich zurück. Eigentlich zwei tolle Kleider, aber was soll's. Interessiert ihn sowieso nicht.
„Das ist aber schön“, sagte er nur und klang dabei völlig verstört.
„Ich werde dann schon früh ins Bett gehen“, sagte sie weiter, „ich habe noch so ein spannendes Buch liegen und wollte heute Abend das Ende lesen.“
„Nur zu“, antwortete er, „ich werde leise sein, wenn ich komme.“
„Bis dann!“, verabschiedete sie sich.
„Ja, bis dann“, sagte er und legte auf.
Puh, das war einfacher als erwartet. Während er mit Kirsten sprach, hatte Sandra sich erwartungsfroh in der Tür zu seinem Büro postiert und gestrahlt, als er den Daumen nach oben streckte. Wundern tat er sich aber dennoch über seine Frau, die plötzlich shoppen ging und sich danach noch ein Essen beim Italiener gönnte, ganz allein! Das kannte er von ihr gar nicht.
Er ging zu Sandra und küsste sie zärtlich, dann gingen sie eng umschlungen zur Garderobe und holten sich ihre Sachen. Sie waren die letzten in ihrer Abteilung und konnten ihr Versteckspiel für heute aufgeben. Sie würden den Abend in ihrer kleinen Wohnung verbringen und er würde erst spät aufbrechen zu seiner Frau, die ja mit ihrem Krimi früh schlafen gehen wollte und so einen festen Schlaf hatte, dass sie gar nicht merken würde, wenn er erst mitten in der Nacht von seiner Geliebten zu ihr zurückkehrte. Wer hätte gedacht, dass es so einfach war, eine außereheliche Affäre zu haben.
Als sie mitten in der Nacht von dem blassen Licht geweckt wurde, das aus dem Badezimmer ins Schlafzimmer fiel, warf sie einen verstörten Blick auf ihren Wecker. Es war drei Uhr morgens.
Am nächsten Tag rief sie noch vor der Fahrt ins Büro beim Frisör an und hatte Glück. Bei Henriette, ihrer Stammfrisörin, war noch ein Termin um Viertel nach eins zu haben. Perfekt. Die würde sich wundern, versuchte sie doch in regelmäßigen Abständen, Kirsten eine neue Frisur aufzuhucken. Auf den Tag wartete Henriette seit Jahren.
Sie zog sich mutig die neue enge Jeans an, dazu die neue Bluse in Lila und die Wildlederstiefel, in die sie ohne große Probleme hineinschlüpfte. Mit einem langen Schuhlöffel ging vieles, das man vorher nicht für möglich gehalten hatte. Sie sandte ein Stoßgebet zu der Verkäuferin, die ihr den Schuhlöffel angepriesen hatte wie Sauerbier.
Florian sah erstaunt auf, als sie in ihrem Outfit in die Küche stöckelte.
„Guten Morgen!“, flötete sie fröhlich.
„Morgen“, kam es zurück, doch mehr sagte er nicht, kein Kompliment, kein nichts, kein gar nichts. Enttäuschung machte sich in ihr breit, aber was hast du von ihm erwartet? Komplimente sind nicht sein Ding, Aufmerksamkeit ist auch nicht sein Ding.
„Musst du heute wieder so lange arbeiten? War ja ganz schön spät oder früh, wie man's nimmt.“
„Ach, bist du aufgewacht? Das tut mir leid“, sagte er mit einem übertriebenen Bedauern in der Stimme und plötzlich wurde Kirsten hellhörig. Sonst kümmerte es ihn doch auch nicht, wenn sie schlecht schlief, Egoismus war generell seine Stärke.
„Wo warst du denn so lange?“, hakte sie nach, was sonst gar nicht ihre Art war, doch irgendwie hatte sie ein ungutes Gefühl. Leben und leben lassen, das war sonst ihr Motto. Sie mochte Menschen nicht, die ihrer Umgebung andauernd auf den Zahn fühlten.
„Ich war im Büro“, antwortete er knapp.
„So, im Büro warst du. Musst du denn heute wieder so lange im Büro bleiben?“ Honigsüß klang das, doch nun schrillten bei ihm sämtliche Alarmglocken.
Florian wurde heiß und kalt. Was sollte dieser spitze Kommentar? Ahnte sie vielleicht etwas! Er ermahnte sich zur Vorsicht. „Nein, nein, das war nur eine Ausnahme gestern“, versicherte er eifrig.
Kirsten schaute auf die Uhr an ihrem Handgelenk und nahm einen großen Schluck aus ihrer Kaffeetasse. „Muss los, mach's gut“, sagte sie und verließ die Küche. Da war etwas nicht in Ordnung, das spürte sie genau. Doch das würde bis Sonntag warten müssen, jetzt war der Samstag erst einmal wichtiger.
Kirsten verließ den Salon mit Strähnen im brünetten Haar und einem glatten, kinnlangen Bob, gehalten von, so kam es ihr zumindest vor, tonnenweise Haarspray. Henriette hatte das Ozonloch gleich mit zugesprüht. Dafür war das Konto um 100 Euro leerer und sie um einen erneuten Termin am Samstag reicher. Zufrieden schielte sie im Auto immer wieder in den Innenspiegel und hätte so beinahe einen Radfahrer übergemangelt, der zum Abbiegen vor ihr Auto zog. Sie hupte, er erschrak und schimpfte dann hinter ihr her. Mit eindeutigen Gesten zeigte sie ihm, was sie von ihm hielt, als sie davonbrauste, und dabei fluchte sie wie ein Rohrspatz. Diese verfluchten Drahteselidealisten! Radfahrer waren ihrer Meinung nach die überflüssigsten aller Verkehrsteilnehmer, denn sie verlangten den Autofahrern volle Konzentration ab, während sie selbst durch die Gegend heizten wie die Irren. Zum Glück konnte sie beim Autofahren niemand fluchen hören, da hätte sich so manch einer über ihren Wortschatz gewundert, der sie sonst für ein braves Lämmchen hielt.
Ulla staunte nicht schlecht bei Kirstens Anblick: „Mensch, Kiki, wie siehst du denn aus?“, fragte sie ungläubig