Bad Hair Day inklusive. Sabrina Heilmann. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Sabrina Heilmann
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748566670
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aus und machte große Augen. »Wo warst du, als das passiert ist?«

      »Bei der Arbeit. Als ich zurückkam, war es schon zu spät. Ich besitze nur noch die Sachen, die ich anhabe, und die sich in meiner Tasche befinden. Der Rest ist zerstört worden.«

      »Mittlerweile verstehe ich, warum du in diesem Bus sitzt. Weißt du schon, wo du in Paris unterkommen wirst?«

      Nelia schüttelte den Kopf. Das war ein Punkt, über den sie sich bislang überhaupt keine Gedanken gemacht hatte. Wahrscheinlich würde sie sich ein Hotel suchen und so lange bleiben, bis ihr Geld aufgebraucht war. Wobei es absolut unklug war, die Sonderzahlung bis auf den letzten Cent auszugeben. Ehe die Versicherung den Schaden bezahlen würde, musste sie sich eine neue Wohnung suchen, von irgendetwas neue Möbel kaufen und ihr Leben neu strukturieren. Außerdem hatte sie keinen Job mehr.

      Mit einem Schlag wurde Nelia bewusst, welche große Dummheit sie begangen hatte, als sie in den Bus gestiegen war. Sie konnte nicht vor ihren Problemen davonlaufen. Wenn sie zurückkam – wahrscheinlich arm wie eine Kirchenmaus – waren ihre Sorgen trotzdem noch da.

      »Nein, ich ... ich sollte mit dem nächsten Bus zurückfahren.«

      »Ich finde, das solltest du nicht tun. Meine Freundin Florence hat eine Pension und eine kleine Bäckerei. Ich denke, dass sie ein Zimmer für dich frei hat.«

      »Ich bin mir nicht sicher, wie vertrauenswürdig dein Angebot ist«, scherzte Nelia.

      »Warum?«

      »Ich kenne nicht einmal deinen Namen.«

      »René, sehr erfreut«, grinste er und reichte ihr die Hand. Kurz zögerte sie, ergriff sie aber dennoch.

      »Nelia.«

      »Was für ein ungewöhnlicher Name«, stellte René fest.

      »Nelia ist eine Kurzform von Cornelia, so hieß die Großmutter meines Vaters. Meine Mutter konnte sie leider auf den Tod nicht ausstehen und hätte mich nie im Leben nach ihr benannt. Um meinen Vater nicht zu verärgern, hat sie sich für Nelia entschieden. Alle haben ihren Frieden und ich bin auch nicht unglücklich.«

      Für einen kurzen Augenblick sah René einen Funken in Nelias Augen, der ein glückliches, lebensfrohes Mädchen erahnen ließ. Er hielt nicht lange an, doch er war dem jungen Franzosen nicht entgangen.

      »Also, Nelia, jetzt, wo du meinen Namen kennst, und ich alles über die Herkunft deines Namens weiß, soll ich Florence eine Nachricht schreiben?«

      »Ich denke, jetzt geht es in Ordnung.«

      Nelia und René tauschten ein ehrliches und freundliches Lächeln. Eine kleine Geste, die irgendwo zwischen Berlin und Paris, um Punkt 23:59 Uhr stattfand, und Nelia doch noch den Tag versüßte.

      Vielleicht war Paris doch eine gute Idee!

      Vive la France

      Nelia und René hatten lange miteinander gesprochen, bis die Müdigkeit die beiden überrumpelt hatte. Erst kurz vor Paris kitzelte die französische Sonne ihre Nasen und ließ sie erwachen.

      Auch wenn Nelia den Schlaf dringend gebraucht hatte, schmerzte jeder ihrer Knochen. So ein Bussitz war eben doch nur für kurze Zeit bequem. Sie streckte sich leicht und warf einen Blick aus dem Fenster. Obwohl es so früh war, herrschte in der Stadt der Liebe schon geschäftiges Treiben. Menschen eilten in die kleinen Boulangerien, um sich eine Kleinigkeit zu essen und einen Kaffee zu holen. Einige genossen die ersten Sonnenstrahlen des Tages, während andere mit ihren Fahrrädern zur Arbeit fuhren. Menschen hielten an, wenn sie zufällig einem Bekannten auf der Straße begegneten, küssten einander die Wangen und lachten. Ausnahmslos jeder, den Nelia in den letzten Minuten gesehen hatte, war fröhlich und schien glücklich. Die Stadt lebte und sprühte nur so vor Lebensfreude. Etwas, das Nelia in Berlin so nie erlebt hatte.

      Kurz nach halb acht Uhr morgens hielt der Bus im Quartier Bercy, das im 12. Arrondissement am rechten Ufer der Seine lag. René und Nelia stiegen aus. Während der junge Mann auf seinen Koffer wartete, stellte sie sich an den Rand. Sie wusste nicht, ob seine Freundin Florence einen Schlafplatz in ihrer kleinen Pension für sie hatte.

      Es dauerte nur ein paar Minuten, bis René schließlich zu ihr kam.

      »Du hast Glück. Flo hat mir eine Nachricht geschrieben, dass ein Pärchen kurzfristig ein Zimmer storniert hat. Wenn du möchtest, nehme ich dich mit. Mein Auto steht in einer Seitenstraße.«

      Für einen kurzen Moment überlegte Nelia zuzustimmen, doch dann schüttelte sie entschieden den Kopf. Sie war nicht aus Berlin abgehauen, um sich wieder von jemandem abhängig zu machen. Schon während ihrer Beziehung mit Maximilian hatte sie sich viel zu oft darauf verlassen, dass er die Dinge für sie regelte. In gewissen Punkten hatte sie ihre Selbstständigkeit völlig verloren, ebenso was ihren Job bei Berlin Trends betraf. In Wirklichkeit hatte sie schon lange nicht mehr das geschrieben, was sie bewegte, sondern das, was ihre Umfragen ergaben.

      Nelia war klar, dass Paris eine Chance war, wieder zu sich selbst zu finden, und diese wollte sie nutzen.

      »Nein, gib mir bitte nur die Adresse. Ich werde in Paris nicht die gleichen Fehler machen wie in Berlin.«

      René nickte, ließ sich seine Enttäuschung jedoch nicht anmerken. Dass Nelia es für einen Fehler hielt, mit ihm mitzufahren, hinterließ einen bitteren Beigeschmack. Man musste sie verletzt haben, wenn sie alles so vehement abblockte.

      Auch wenn René nicht wohl dabei war, akzeptierte er die Entscheidung der jungen Frau und nannte ihr die Adresse der Pension in der Rue Paul Albert im Künstlerviertel Montmartre.

      »Merci, René«, hauchte Nelia und wusste nicht so recht, wie sie sich von ihm verabschieden sollte.

      Aber der Franzose machte es ihr leicht. Er kam auf sie zu, küsste sie zweimal zum Abschied auf die Wange und flüsterte: »Du wirst deinen Weg finden, Nelia. Bonne chance

      »Merci

      René ging und ließ Nelia allein in Bercy zurück. Sie atmete tief durch und fühlte die Freiheit, die sie plötzlich überkam. Sie konnte nicht glauben, dass sie in Paris war. Die Stadt bot ihr so viele Möglichkeiten, auch wenn sie es noch immer für unklug hielt, hier ihr gesamtes Geld auszugeben. Aber daran wollte sie jetzt unter keinen Umständen denken.

      Nelia wollte leben, lachen und eine neue Welt kennenlernen. Paris sollte ihr helfen, Erinnerungen zu sammeln und eine Geschichte zu erleben, die sie eines Tages ihren Kindern und Enkelkindern erzählen konnte. Es war ein Abenteuer und mit Abstand die beste Entscheidung, die sie in den zweiundzwanzig Jahren, die sie auf dieser Welt war, getroffen hatte.

      Zu ihrer Überraschung fand Nelia den Weg zur Pension Vive la France ohne Probleme. Worüber sie sich mehr Gedanken machte, war die Tatsache, dass sie im Laufe des Tages eine Grundausstattung an Kleidung, Schuhen und Make-up kaufen musste. Im Vergleich zu vielen anderen Frauen war Nelia eindeutig keine Shopping-Queen. Die meisten ihrer Sachen hatte sie im Internet bestellt, weil es bequemer war, als den kompletten Nachmittag wie ein aufgestochenes Huhn durch die Stadt zu laufen und Sachen anzuprobieren. Dieses ständige Aus- und Wiederanziehen ging ihr einfach nur auf die Nerven. Außerdem bekam sie viele ihrer Sachen günstiger im Internet, als in den überteuerten Boutiquen.

      Nach einigen Minuten Fußweg von der Metro-Station zur Pension blieb Nelia vor einem weißen Gebäude stehen. Florences Bäckerei machte einen verspielten, mädchenhaften Eindruck. Die weißen Tische und Stühle vor dem Laden waren besetzt und auch im Inneren herrschte wildes Treiben.

      Nelia betrat den Verkaufsraum und der verspielte Eindruck bestätigte sich. Das Vive la France war ein rosaroter Mädchentraum mit weißen Vintage-Elementen. Die Tische waren liebevoll eingedeckt und dekoriert. Es funkelte in jeder Ecke, die frischen Schnittblumen gaben dem Café einen lebendigen Eindruck und die nach Kaffee und Gebäck duftende Luft tat ihr übriges.

      Hinter dem Landhausstil-Tresen stand eine Frau,