Clockwise - Reise durch Traum und Zeit. Carola Hipper. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carola Hipper
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847622826
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der lang ersehnte Ruf aus dem Krähennest: »Land in Sicht! Elyandrien voraus! Gepriesen sei Panohgmios, der Gott der Reisenden!« rief der Wachtposten. »Land in Sicht!« In freudiger Erregung stürmte die Besatzung an Deck. Bald darauf gab der Horizont die dunklen Umrisse des Festlands frei. Unter den erwartungsvollen Ausrufen der Männer steuerte das Schiff die Küste des Kontinents an, den sie einmütig für Elyandria hielten. So war es geschehen, daß kein anderer als der Abenteurer Layos von Argant auf der Suche nach Elyandria, dem Kontinent der Großen Ahnen, die vergessene Insel Aurora entdeckte.

       Layos und die Königin

      Auf Aurora herrschten die Vedayana, Trägerinnen der äonischen Seelen. Ihr Oberhaupt, die vedayanische Königin, bewohnte ein stattliches Domizil über den Dächern der weißen Stadt Ankh Arcador.

      Das vedayanische Reich war matriarchalisch organisiert. Den männlichen Vedayanern, kurz Dayaner genannt, war es nicht gestattet, höhere Ämter zu bekleiden. Gleichwohl wurden ihre Dienste bei der Verrichtung all jener Arbeiten, die keine große Intelligenz oder Geschicklichkeit erforderten, eingesetzt und durchaus gewürdigt. Doch das war nicht immer so. Die weiblichen Bewohner Auroriens hatten die Befugnisse der Dayaner stark beschränken müssen. Verantwortlich für diese Maßnahme war vor allem die männliche Aggressivität. Nach jahrhundertelanger Erfahrung der Vedayana hatte sich herausgestellt, daß die männliche Persönlichkeit sprunghaft und unberechenbar war. Männer galten im Reich der Vedayana als unbesonnen und emotional, Vernunft oder gar Logik waren von ihnen kaum zu erwarten.

      Außerdem besaßen die Dayaner keinerlei Bildung (nur wenige unter ihnen konnten lesen und schreiben). Organisationstalent oder Führungsqualitäten suchte man bei ihnen ebenfalls vergeblich, was vor allem ihrer simplen Struktur zuzuschreiben war. Auch waren die Dayaner besonders wehleidig und daher wenig belastbar, weshalb ihnen die Ausbildung zum Krieger verwehrt war. Kurzum: Männer bildeten in der vedayanischen Gesellschaft das schwache Geschlecht. Sie leisteten ihren Beitrag zum gesellschaftlichen Leben Auroriens vornehmlich als Diener oder als einfache Arbeiter. Wenigen unter ihnen war ein angenehmeres Schicksal zugedacht: Jene, die von den Großen Ahnen mit einer besonders schönen Gestalt versehen waren, genossen ein besonderes Privileg. Sie wurden von den führenden Vedayana in sogenannte »Oasen« berufen. Die höheren Damen bedienten sich ihrer zum Zwecke der Fortpflanzung und der gelegentlichen Zerstreuung. Die in den Oasen lebenden Dayaner nannte man »Huoren« oder auch »Throsse«. Die Königin besaß eine Oase mit mehr als hundert dayanischen Gespielen. Huoren, die zu alt für die Verrichtung ihrer Dienste geworden waren, versteigerte man auf speziellen Märkten an Vedayana niederen Ranges.

      Die vedayanische Gesellschaft war eine hochentwickelte Kultur. Eine bemerkenswerte Eigenschaft der Vedayana bestand in ihrer synergistischen Denkweise. Zum Wohle ihres Staates hatte die Königin für die Weisesten unter den Vedayana spezielle Eliteschulen errichten lassen. Dort forschten und diskutierten die besten Philosophinnen, Mathematikerinnen, Astronominnen, Bauherrinnen und Medizinkundigen der gesamten Südhalbkugel.

      Die Vedayana machten gewöhnlich keine großen Worte. Was getan werden mußte, wurde sofort und effizient erledigt. Zu ihrer Zeit waren die Vedayana zweifellos die am höchsten entwickelte Kultur der Welt. Ihr umfassendes Wissen hielten sie auf Papyrusrollen fest, die in speziell zum Zwecke der Archivierung erbauten Pyramiden aufbewahrt wurden.

      Der größte Stolz der vedayanischen Königin waren ihre kostbaren Mayazener-Pferde. Lange, bevor Aurorien zu einem vergessenen Kontinent wurde, unterhielten die Vedayana rege Handelsbeziehungen zu den Völkern anderer Kontinente. So kam es, daß die aurorischen Herrscherinnen Zuchtpferde aus aller Welt von ihren Reisen heimbrachten, mit denen sie das Geblüt der einheimischen Rasse, den aurorischen Esquitanern, auffrischten. Über viele Generationen hatte man die schönsten und wertvollsten Esquitaner mit dem Blut anderer Rassen veredelt. Die edle Kopfform und ihren hohen Schweifansatz verdankten die Mayazener dem Einfluß des arrhavischen Vollbluts; die schräge Schulter und der enorm ausgeprägte Widerrist wurden durch das euradoranische Warmblut eingebracht, das auch für den besonderen Mut, die ungewöhnliche Willensstärke und die hohe Intelligenz der Mayazener verantwortlich zeichnete. Die Mayazener-Rasse entsprach also dem veredelten Geblüt der einheimischen Esquitaner.

      Unnötig zu erwähnen, daß die Vedayana seit jeher hervorragende Reiterinnen waren. Jährlich zum Fest der Mondgöttin veranstalteten sie einen großen Wettstreit, in welchem sich die besten Reiterinnen des Landes in verschiedenen Disziplinen maßen. Der Umgang mit Pfeil und Bogen lag den Vedayana im Blut. Das Bogenschießen zu Pferde erforderte hingegen eine besondere Geschicklichkeit, ebenso wie das Hindernisreiten und die Feuerdressur.

      Als nun Layos von Argant nach langer Schiffsreise vor Aurorien ankerte, war er noch immer in dem Glauben, Elyandria entdeckt zu haben. Er sandte einen Botschafter mit einer kleinen Eskorte aus, den königlichen Palast zu suchen. Layos trug seinen Männern auf, den Großen Schöpfern von seiner Ankunft zu berichten und gleichfalls um eine Audienz zu bitten. Doch die kleine Gesandtschaft kehrte nicht zurück. Die auf dem Schiff verbliebenen Seefahrer waren müde von der langen Reise. Das Warten auf die Rückkehr der Gesandtschaft brachte Unruhe auf. Hunger und Durst trieben die Abenteurer schließlich an Land. Auf der Suche nach Trinkwasser und Nahrung begaben sich Layos und seinen Männer in die küstennahen Wälder, wo sie von einem vedayanischen Spähtrupp entdeckt und gefangengenommen wurden. Layos war äußerst erstaunt, keinen einzigen männlichen Krieger unter seinen Bezwingern zu sehen. Er erklärte, daß er in friedlicher Absicht gekommen sei, um dem Herrscher der Insel seine Ehrerbietung zu erweisen. Doch die Vedayana verstanden sein Anliegen nicht, sprach er doch in einer ihnen fremden Sprache.

      Layos und seine Männer wurden ins Gefängnis geworfen, wo sie zwanzig Tage und zwanzig Nächte ausharrten. Endlich, es war der einundzwanzigste Tag nach ihrer Ankunft, wurde Layos als einziger aus dem Kerker geholt und in den königlichen Palast gebracht, damit er als der Anführer der Männer der Herrscherin Rede und Antwort stehe.

      Die Leibgarde der Königin bestand aus den zehn mutigsten Kriegerinnen des Landes, denn obschon Aurorien seit Anbeginn der Welt nicht einen einzigen Krieg ausgefochten hatte, waren die Vedayana weise genug, jederzeit mit dem Eintreffen feindlicher Eroberer zu rechnen.

      Königin Irhavana war unlängst von einem Jagdausflug zurückgekehrt. Sie war guter Dinge und nun bereit, den Rädelsführer der Eindringlinge zu empfangen. Zwei ihrer Kriegerinnen brachten Layos in den Thronsaal. Wie einen Sklaven warfen sie in auf den Boden und bedeuteten ihm, sein Haupt geneigt zu halten und der Herrscherin keinesfalls in die Augen zu blicken. Die Königin ließ nach einer Gelehrten schicken, die der nordischen Sprachen mächtig war. Bis zu ihrem Eintreffen blieb Layos nichts anderes übrig als mit demutsvoll gesenktem Haupt und mit gebundenen Händen vor der Herrin zu knien. Kaum war die Übersetzerin eingetroffen, nahm sie ihren Platz an der Seite der Königin ein, worauf diese mit hoheitsvoller Stimme zu sprechen begann:

      »Höre, Fremder, wir wollen uns nicht mit langer Vorrede aufhalten. Sage mir, wie du fertigbrachtest, was kein anderer vor dir vollbracht hat: Sage mir, wie hast du mein Reich entdeckt?!« Layos, der solch respektlose Behandlung nicht erwartet hatte, begann seine Antwort ohne die in seinem Land gebräuchliche, förmliche Anrede:

      »Mein Name ist Layos von Argant! Vor vielen Mondwechseln brach ich auf, den Kontinent Elyandria zu suchen, um den Ventros Elyadrez zu besteigen und den Großen Ahnen meine Ehrerbietung darzubringen. Der Himmel sandte mir ein Zeichen, und so landete ich glücklich an den Ufern des fernen Kontinents. Doch sagt mir, Herrin von Elyandrien, empfangt Ihr so Eure Gäste? Meine Gefährten darben bei Wasser und Brot in euren Kerkern, und mich laßt Ihr wie einen räudigen Hund in Ketten vorführen?«

      Ein wissendes Lächeln erhellte die Züge der Königin, als die Übersetzerin geendet hatte. »Layos von Argant!« sagte sie schließlich mit einem Funken Spott in der Stimme. »Ein Mann in deiner Lage sollte seine Worte mit Bedacht wählen! Sage mir nun: welchem Kontinent entstammst du?«

      Layos, der einsehen mußte, daß jedweder Widerstand zwecklos war, antwortete mit ungebrochenem Stolz: »Ich stamme aus dem ruhmreichen Geschlecht der Phargonäer. Meine Heimat ist das Land Libranûr auf dem Kontinent Avalonia. Mein Volk hat große Ruhmestaten vollbracht. Himmelsleitern und großartige Tempel erbauten die Phargonäer zu Ehren der Weltengötter, große Schlachten