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Seit Stunden lag er nun schon wach in seinem Bett. Die Schmerzen hatten in den letzten Tagen noch weiter zugenommen, jedoch war es im bisher gelungen, die Sache vor Siska geheim zu halten. Durch das offene Schlafzimmerfenster fiel das Mondlicht, so dass man trotz der nächtlichen Dunkelheit noch alles gut erkennen konnte. Bisher war ihm das aber egal gewesen, er hatte sowieso nur an die Decke gestarrt. Wie sollte es nur mit ihm weitergehen? Und mit Siska? Er konnte ihr doch unmöglich die Wahrheit sagen. Oder konnte er? Würde sie es vielleicht sogar verstehen? Nein. Unmöglich. So etwas konnte niemand verstehen. Er verstand es ja selbst nicht. Warum er? Warum ausgerechnet er? Was hatte er getan, dass er von solchen Qualen heimgesucht wurde?
Als Qual bezeichnest du mich?
Lass mich endlich in Ruhe!
Roy, alter Kumpel, was hast du denn?
Lass mich in Ruhe, hab ich gesagt!
Das kannst du dir gleich wieder abschminken.
Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben!
Neben ihm bewegte sich Siska. Hatte er etwa laut gesprochen? Nein. Oder doch? Falls ja, schien sie zumindest noch zu schlafen. Er musste vorsichtiger sein, wenn er nicht wollte, dass sie Verdacht schöpfte. Als er sie im Mondlicht neben sich im Bett liegen sah, wurde ihm einmal mehr klar, wie sehr er sie liebte. Er betrachtete ihr wunderschönes Gesicht, beobachtete, wie sich ihr Oberkörper langsam hob und wieder senkte. Ihr Atem war ganz ruhig. Sie ahnte nichts. Sie sah aus, wie ein Engel, fand er. Wie ein wunderschöner Engel, der gekommen war, um ihn zu retten.
Um Himmels Willen, kannst du schmalzig sein.
Halt den Mund, ich liebe diese Frau.
Und mich?
Was ist mit dir?
Liebst du mich etwa nicht?
Nein.
Doch, das tust du.
Nein.
Du hast mich immer geliebt, und das weißt du auch.
Lüge!
Du liebst mich, weil du mich brauchst. Und du brauchst mich, weil du mich liebst.
So ein Unsinn.
Kein Unsinn. Was bist du denn ohne mich? Ich sage es dir. Du bist ein Nichts. Ohne mich bist du nichts. Mit mir aber kannst du der Allergrößte sein. So wie du es schon einmal warst.
Lass mich endlich zufrieden!
Wieder bewegte sich Siska. War sie wach geworden? Ihn überkam panische Angst, dass er sich doch versehentlich noch verraten würde. Aber sie schlief offensichtlich immer noch. Zwar etwas unruhig, aber wach war sie auf keinen Fall. Dennoch war ihm das Risiko zu groß. Er beschloss, langsam aufzustehen und sich leise in die Küche zu schleichen. Dort würde sie ihn auf keinen Fall hören, falls er doch einmal laut sprechen sollte. Als er in der Küche angekommen war, schloss er leise die Tür, schenkte sich ein Glas Wasser ein, nahm einen großen Schluck und setzte sich an den Küchentisch.
Früher hättest du zumindest Whiskey getrunken.
Früher ist vorbei.
Das stimmt. Aber es liegt noch viel vor uns.
Es gibt kein „uns“.
Ach, wir sind also getrennte Personen?
Was?
Ist dir aufgefallen, dass sich keine weiteren Personen im Raum befinden? Du und ich, wir sind eins.
Aber ich will nichts mit dir zu tun haben!
Das glaubst du doch selbst nicht. Ich weiß genau, dass du dich danach sehnst, es wieder zu tun.
Nein, tue ich nicht.
Doch, tust du. Und das weißt du auch. Du willst es so sehr. Warum glaubst du wohl, bin ich wieder da? Weil du ein unstillbares Verlangen hast. Und ich bin hier, weil ich dir dabei helfen kann.
Ich habe damit aufgehört. Ich will das alles nicht mehr. Ich habe jetzt ein neues Leben.
Ein neues Leben? Pah! Dass ich nicht lache. Du versuchst dir nur einzureden, du hättest ein neues Leben. Eine neue Wohnung, eine neue Freundin, ein neues Land. Das ist kein neues Leben, das sind nur neue Umstände.
Nein. Ich habe mit meinem früheren Leben abgeschlossen.
Du hast kein früheres Leben. Du hast nur dieses eine. Und davor kannst du nicht davon laufen. Ich werde immer bei dir sein, Roy, verstehst du? Immer. Egal wo, egal wann. Ich bin bei dir.
Roy drückte seine Hände gegen den Kopf, so fest er nur konnte, und legte seine Stirn auf den Küchentisch vor ihm. Er verfluchte sich selbst und hatte nur noch den Wunsch, dass diese mörderischen Schmerzen seinen Kopf verlassen würden. „Ist alles in Ordnung mit dir?“ Er schrak hoch. Siska stand mit einem Bademantel über ihrem Schlafanzug in der Küchentür. Roy hatte nicht bemerkt, dass sie die Tür geöffnet hatte. Ob sie wohl etwas bemerkt hatte? Oder vielleicht sogar gehört? „Schon in Ordnung, danke. Warum bist du denn auf?“ „Na ja“, antwortete sie. „Ich bin aufgewacht, und du warst nicht da. Da hab ich mir Sorgen gemacht und ich bin aufgestanden, um zu sehen, wo du bist. Ich habe gesehen, dass Licht in der Küche brennt und wollte nachsehen, ob alles in Ordnung ist.“ „Tut mir leid, mein Schatz“, sagte Roy mit einem leichten Lächeln. „Ich wollte dich nicht erschrecken. Ich habe nur ein wenig Kopfschmerzen und habe ein Glas Wasser getrunken, das ist alles. Kein Grund zur Sorge.“ Offensichtlich erleichtert, lächelte Siska und ging zu ihm. Sie legte ihm einen Arm um die Schulter und drückte ihre Wange gegen seinen Kopf. „Armer Schatz. Willst du nicht eine Tablette nehmen?“ Er blickte zu ihr auf. „Du weißt doch, was ich von diesem ganzen Pharma-Zeug halte.“ „Tja, dann wirst du wohl mit den Schmerzen leben müssen. Ich gehe wieder ins Bett. Kommst du mit?“ Roy zögerte kurz. „Ich…äh…ich bleibe noch ein wenig hier und trinke noch ein Glas Wasser. Vielleicht hilft das.“ „Na gut“, sagte Siska und küsste ihn auf die Stirn. „Gute Nacht und gute Besserung.“ „Gute Nacht“, erwiderte Roy, während sie bereits wieder die Tür schloss. Roy starrte auf die verschlossene Tür, als würde Siska noch einmal zurück kommen, doch nichts rührte sich. Er hörte das leise Klacken, als sie das Licht auf dem Flur ausschaltete. Dann murmelte er noch einmal: „Gute Nacht, mein Engel.“
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Siska hatte nicht mehr weiter nachgefragt.