„Tut mir leid, mein lieber Herr Richter“ antwortete Frieder Bergmann offensichtlich bedrückt „das Budget, Sie verstehen sicher. Ich würde Ihnen liebend gern helfen aber selbst mir sind die Hände gebunden. Aber ich schätze Ihre Einsatzbereitschaft sehr, haben Sie vielen Dank für Ihr Engagement. Vielleicht ist irgendwann mal eine Prämie drin.“
Der Mann strahlte, er drückte Frieder Bergmann die Hand und verließ den Raum.
Bergmann hatte genug erfahren, es gab für ihn also einen Freibrief der unbegrenzten Internetnutzung.
Bei der Einrichtung des Dienstzimmers hatte Geld keine Rolle gespielt und die teure Schrankwand und die edle Sitzgruppe sahen sehr repräsentativ aus. Ein ziemlich großer Fernseher hing an der Wand, er befand sich in idealer Blickrichtung von der Ledercouch aus in der Frieder Bergmann öfter Platz nahm.
„Wer als Funktionsträger nicht auf dem Laufenden bleibt bekommt schnell ein Problem“ hatte er diese Ausstattung begründet und im Verlaufe der Zeit war er von der anfangs noch disziplinierten Begrenzung auf bestimmte Sendungen abgewichen, wenn ihm langweilig wurde schaute er sich jetzt schon einmal eine Tiersendung oder eine Talkshow an. Rechts von der Couch stand auf einen Sideboard ein Aquarium. Dieses war kein Wunsch Frieder Bergmanns gewesen sondern stammte aus dem Nachlass seines Vorgängers. Notgedrungen hatte er sich mit dem Glasbecken angefreundet und nach einiger Zeit fand er sogar Gefallen daran, die Zierfische zu beobachten. Dazu kam, dass ihm der vorherige Amtsleiter eine absolut funktionierende Behörde hinterlassen hatte (weswegen Frieder Bergmann das Aquarium an seinem Platz ließ), was Bergmann aufgrund des Durcheinanders in den verschiedenen Bereichen nicht für möglich gehalten hatte. Natürlich hatte er selbst Anteil an dieser positiven Entwicklung gehabt, denn kurz nach seinem Amtsantritt hatte er auf einer Mitarbeiterversammlung folgendes verkündet:
„Liebe Kolleginnen und Kollegen,
natürlich kenne ich das Sprichwort „Neue Besen kehren gut“ aber Sie alle wissen, dass ich sozusagen ein Gewächs unseres Hauses bin. Ich bin hier groß geworden wenn man so sagen will und beziehe das nicht ausschließlich auf meine berufliche Entwicklung. Viele von Ihnen kenne und schätze ich seit Jahren und Sie haben alle mein Wort, dass es unter meiner Leitung zu einer Weiterentwicklung unserer Behörde kommen wird. Wir müssen effizienter werden, schneller, bürgernäher. Lassen Sie uns gemeinsam an diesen Zielen arbeiten. Das heißt auch, dass ich die strengen Hierarchien aufbrechen werde. Ja, ich meine mehr Eigenverantwortung in den Referaten. Warum soll ich als Amtsleiter alles reglementieren, wenn ich über solche hervorragenden Fachleute wie Sie verfüge die die Dinge allein klären können. Ich sehe meine Rolle als Strategieentwickler und Vordenker und dazu brauche ich Ihre Unterstützung. Geben Sie mir Zeit und Freiraum für die Entwicklung kreativer Ansätze, folgen Sie meinen Gedanken und setzen sie um. Dann wird uns alles gelingen!“
Nachdem der tosende Beifall abgeebbt war fuhr Bergmann fort:
„Als Sofortmaßnahme lege ich fest, dass der lange Behördenöffnungstag am Donnerstag abgeschafft wird. Diesen Anachronismus habe ich auf den Prüfstand gestellt und bin zu der Auffassung gelangt, dass wir andere Wege gehen müssen. Ich habe ein Arbeitszeitmodell entworfen das vorsieht, dass Sie Ihre Arbeitszeiten flexibel gestalten können, Stunden ansparen, Stunden verbrauchen können, je nach Bedarf. Als Kernarbeitszeit habe ich für den Publikumsverkehr 10 bis 17 Uhr am Dienstag und Mittwoch festgelegt, alles andere kann flexibel gestaltet werden. Wir werden die ersten sein, die die Behördenarbeit auf elektronischem Wege so rationalisieren, dass die Bürger immer weniger zu uns kommen müssen. Ich bin bereits in Verhandlungen mit einem renommierten Softwareanbieter und dessen Produkte werden Ihre Arbeit, meine sehr verehrten Damen und Herren, erheblich vereinfachen. Machen Sie mit bei der Modernisierung unseres Amtes, wir wollen die Nummer 1 in Deutschland werden! Für weitere Anregungen steht Ihnen mein Büro jederzeit offen, es sei denn, wichtige Arbeiten beschäftigen mich. Kommen Sie auf mich zu, ich bin für Sie da.“
Die Belegschaft erhob sich geschlossen und applaudierte heftig, Frieder Bergmann schritt durch die Reihen und grüßte jovial nach links und rechts, wenn er ein bekanntes Gesicht erblickte drückte er der Frau oder dem Mann die Hand. Bergmann war sicher, dass er seine Leute soweit motiviert hatte, dass der Laden eigentlich von ganz allein und ohne größeres Zutun seinerseits laufen würde. Das bestätigte sich eindrucksvoll, denn die Berge der Unterschriftenmappen, die ihn bei seinem Amtsantritt bald erschlagen hatten, schrumpften spürbar. Entscheidungen fielen jetzt in den Referaten und Frieder Bergmann wachte – da er die Struktur und die Abläufe im Haus ja selbst gut kannte – nur noch sporadisch über den Gang der Dinge. Tatsächlich fühlten sich die Mitarbeiter ernst genommen und deren neue Arbeitsfreude strahlte auch auf die Begegnungen mit den Bürgern aus, erste begeisterte Leserbriefe in den städtischen Zeitungen las Bergmann mit Wohlgefallen. Er gab dieser positiven Entwicklung einen nochmaligen Schub indem er über seine Büroleiterin die Information streuen ließ, dass er sich zwar weit aus dem Fenster lehnen aber dennoch aus dem Budget des Amtes Geld für ein Mitarbeiterherbstfest zur Verfügung stellen würde. Das Konzept für die Veranstaltung erarbeitete er selbst und wollte seinen Leuten zeigen, dass er auf der einen Seite bodenständig, auf der anderen aber keineswegs ein staubtrockener und verknöcherter Beamter wäre, er würde sich an diesem Abend ausgesprochen locker geben. Das richtige Podium dafür wäre eine Lokalität die urige Küche bot und von irgendwelchem Mittelalterkram umrahmt wurde – also der bodenständige Part. Der Knaller des Abends sollte der Auftritt von zwei Stripteasetänzern und vier gut gebauten und minimalistisch bekleideten Kraftsportlern werden, schließlich sollten beide Geschlechter seiner Mitarbeiter etwas von der Sache haben.
Der Abend begann verheißungsvoll, denn Frieder Bergmanns Eröffnungsrede trug zur guten Stimmung erheblich bei, weil er charmant, witzig und humorvoll dienstliche Belange mit kleinen Anekdoten vermischte und viele Lacher produzierte. Genauso hatte er auftreten wollen: der fachlich hochqualifizierte Amtsleiter, der aber fest auf dem Boden und im Leben stand und dem nichts Menschliches fremd war. Natürlich war ihm klar, dass er sich an diesem Abend an den Tischen seiner Mitarbeiter blicken lassen musste und bald nach dem Essen pendelte er von Gruppe zu Gruppe. Das in der Gaststätte angebotene und in 1-Liter Humpen servierte Bier hatte sagenhafte 11,5 Prozent Alkoholgehalt und nachdem Frieder Bergmann schon zweimal von seinem Leuten eingeladen worden war verspürte er eine leichte Benommenheit. Auch die ihm wenig später angebotenen Schnäpse konnte er nicht ausschlagen, so dass er in relativ kurzer Zeit 2 Liter Bier und ungefähr 4 Schnäpse intus hatte. Beschwingt rauchte er vor der Gaststätte eine Zigarette und unterhielt seine Mitarbeiter mit schon unsicherer Zunge indem er jetzt Witze erzählte. Frau Hauswald aus dem Referat IV stand mit in der Runde und Bergmann richtete seine glasigen Augen verstärkt auf sie, denn die 30jährige Frau war eine Augenweide. Es war warm an diesem Herbstabend und Manja Hauswald trug einen kurzen Rock und eine weit ausgeschnittene Bluse (die einen üppigen Busen mehr schlecht als recht verbarg), blondes Haar fiel ihr wallend über die Schultern. Bergmann gab sich wie ein Gockel und brillierte mit treffsicheren Analysen zur Eurokrise, verwies auf seinen österreichischen Verdienstorden und behauptete einen Ruf aus dem Kanzleramt zu haben, man wolle ihn dort wohl im Stab der Bundeskanzlerin haben, aber er sei unentschlossen, denn mit den politischen Ränkespielen könne er wenig anfangen, lieber sei er eben direkt am Menschen (und starrte Manja Hauswald dabei beziehungsvoll an). Wieder an seinem Tisch ließ er sich noch ein Bier bringen und mit einem Blick auf die Uhr stellte er fest, dass in Kürze der Auftritt der Tänzerinnen stattfinden sollte. Bergmanns Tisch stand direkt vor der kleinen Bühne und erwartungsvoll drehte er seinen Stuhl in diese Richtung. Das Bühnenpodest hatte eine Abmessung von gut 5 Meter Breite und 3 Meter Tiefe, ein Stuhl stand in der Mitte, links und rechts waren Lautsprecherboxen und Scheinwerfer aufgebaut. Eine Minute vor der vereinbarten Zeit kam Musik vom Band, die Beleuchtung der Gaststätte wurde gedimmt und die Bühnenscheinwerfer gingen an. Zwei junge Frauen schlängelten sich zwischen den Tischen durch und betraten die Bühne, beide waren nur mit wenigen Sachen bekleidet, aufwendig geschminkt und besaßen – wie zu erwarten – sagenhafte Figuren. Die linke Brünette war recht klein und schlank, die rechte Blonde größer und auch wesentlich üppiger. Frieder Bergmann ließ seine Blicke zwischen den Frauen wandern, Mann, waren das scharfe Geräte! Als die Tänzerinnen begannen die ersten Kleidungsstücke abzuwerfen kochte die Stimmung