Wie ein Dornenbusch. Wilfried Schnitzler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Wilfried Schnitzler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783847659693
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Gelegenheit, irgendwo feines Panama-Gewebe, Jamaika Rum oder kubanische Zigarren zu erstehen, die es hier angeblich zu Schleuderpreisen geben sollte, alles Dinge, die Cornelius nicht im Geringsten interessierten, wozu er sowieso kein Geld hatte. Nachdem er ein Billett bis Panama Stadt gelöst und ein leeres Abteil am Zugende gefunden hatte, versuchte er sich so gut es ging in der feuchten Hitze zu akkommodieren, ohne dass auch nur ein einziges kühlendes Lüftchen durch die offenen Fensterlöcher des Abteils wehte.

      Schaffner und Lokomotivführer waren weiße aus der Hauptstadt, die offensichtlich Hitze, Insekten, Schlamm und Fluten, Malaria und Gelbfieber ausgestanden und gemeistert hatten. Sie waren wahre Helden, die jeden Tag die Lokomotive von Panama bis Aspinwall und zurück in Gang hielten. Cornelius wollte während der Fahrt draußen auf der Plattform des letzten Waggons zubringen, um diese, bis dahin nie erlebte einzigartige Landschaft und überwältigende Natur in sich aufzusaugen. Ein anderer Passagier hatte sich zu ihm gesellt, der offensichtlich auch hoffte, der stickigen Luft im Wagon zu entrinnen. Neben ihm hatte sich ein schokoladenbrauner, kleiner, ziemlich gut gekleideter Mann mit einem schicken Panamahut, unter dem die vollen schwarzen Haare hervorlugten, platziert. Ein Kreole, wie Cornelius erst später zu unterscheiden lernte.

      Ein letzter offener Ausblick auf die glitzernde Bucht, und der Dschungel verschlang den Zug. Schon kurz außerhalb Colóns sah Cornelius einen Hügel aus dem Dickicht emporragen, auf den der Einheimische neben ihm mit ausgestreckter Hand deutete und 'Monkey Hill' sagte. An den aufmerksamen Blicken, wie sich sein weißer Nachbar mit der, diesem Klima so absolut nicht angepassten Kleidung, für seine Umgebung interessierte, hatte der kleine Mann unschwer geschlossen, dass er es hier mit einem Fremden zu tun haben musste. Auf den nächsten Kilometern überquerten sie sehr gemächlich einen breiten Mangroven-Sumpf. Die Schienen wackelten nur wenige Zentimeter über dem Wasser. Ein kleiner Weiler mit nur wenigen Hütten, die Dächer mit Zuckerrohrstroh gedeckt, unterbrach die unglaublich üppige Vegetation. Der Einheimische neben ihm glaubte erklären zu müssen, dass dies Gatun sei, was sogar Cornelius verstand. Gigantische, über 100 Meter hohe, kerzengerade Cedro Bäume, mit ihren grauen, glatten Stämmen, Säulen wie aus Zement geformt, hingen voller blühender Lianen, verwoben mit roten Hibiskusblüten, vielfarbigen Orchideen und purpurnen Passionsfrüchten. Aus dem grünen Blätterdach ragten schwankend riesige Cluster haushoher, armdicker, gelber Bambusstangen. Der Zug wand sich durch eine grüne Schlucht aus Pflanzen, mit nur einem Spalt von azurblauem Himmel zwischen den Baumwipfeln über ihnen. Ab und zu sah man eine Hütte vorbeihuschen, auf einer kleinen Lichtung aus dem Dschungel frei gehauen, umgeben von einigen Bananenstauden und Kokospalmen, so schnell vom Auge gefangen, wie alles auch schon wieder im Dickicht verschwand.

      Kilometerlang zogen die Gleise durch Sümpfe, darunter auch den berüchtigten 'Schwarzen Sumpf', von dem man sagte, dass keiner seine Sohle kannte. Als man das Bahnbett dort verlegte, sank es immer und immer wieder ein, bis heute, es muss ständig auf- und nachgefüllt werden. Cornelius fühlte buchstäblich, wie vorsichtig und tastend der Zug sich vorwärts schlängelte.

      Immer wieder erhaschte er einen flüchtigen Blick auf den mächtigen 'Chagres' Fluss, der in großen Windungen um den 'Tiger Hügel', dann um den 'Löwen Hügel', um den 'Ahorca Lagorto', und später um den 'Bohio Soldado' und den 'Frijoles' mäanderte. Dann verlangsamte der Zug seine Fahrt und stoppte endlich mit lautem Quietschen, 23 km weg von Colón und noch weit entfernt von Panama-Stadt. Als er endlich zum stehen kam, lief der Schaffner draußen am Zug entlang und forderte die Passagiere mit lauter Stimme auf, ins Freie zu treten und alles Gepäck mitzunehmen. Cornelius verstand kein Wort, folgte aber dem Beispiel der Mitreisenden. Man hatte gerade 'Barbacoas' erreicht, was in der Indianersprache Brücke bedeutete. Die Eisenbahn musste hier den 'Chagres' überqueren, der an dieser Stelle bestimmt eine Breite von einhundert Metern von einer Uferseite zur andern hatte, reißend aus schlammigem, dunkelbraunem Wasser, heimtückisch, voller Stromschnellen. Die Brücke war bei einem Unwetter vor fünf Wochen weggespült worden, obwohl sie mit schweren Eisenträgern auf Steinstützen errichtet worden war, stark genug, wie man glaubte, um die zweihundert Meter Spanne in 15 Metern Höhe über dem Fluss zu tragen. Man ging davon aus mit einer solch stabilen Konstruktion gegen jede Flutwelle des ‚Chagres’ gewappnet zu sein. Es hatte aber in den letzen Wochen sintflutartig geregnet, was ein bis dahin nie dagewesenes Anschwellen des Flusses mit einer Überflutung endete. Der 'Chagres' war über 15 m angewachsen. Riesige Mengen Treibholz überrollten letztendlich die Brücke und spülten sie davon. Das Wasser war zwar inzwischen zurückgegangen, aber seit Wochen erreichte nicht eine einzige Warenladung von Colón über den Isthmus die Hauptstadt. Zugreisende, so sie denn mutig und schwindelfrei waren, konnten es wagen über grob gezimmerte, vom Regen glitschige Planken den Fluss balancierend zu traversen. Cornelius blickte fassungslos, wie auch alle anderen, die Böschung hinunter auf dieses schier unüberwindbare Hindernis. Man hatte sie mit keinem Wort vor der Abfahrt über diese Katastrophe gewarnt. Das war unerhört! Aber welche Alternative hatten sie? Man konnte mit dem Zug im Rückwärtsgang langsam nach Colón zurückfahren, allerdings gab es dort, nach Cornelius Wissen, keine vernünftige Herberge. Es würde noch Wochen, ja Monate dauern, bis die Brücke repariert und für Züge befahrbar war. Was blieb also anderes übrig, als den schlammigen Abhang auf dem Hosenboden hinunterzurutschen und sich, einer hinter dem anderen, vor der Behelfsbrücke aufzureihen. Cornelius schwitzte aus allen Poren. Er hatte bereits im Zug die Hemdsärmel hochgekrempelt, Jacke und Weste zusammengerollt, und auf seinen Sack gebunden. Schon auf dem Schiff entledigte er sich des Kragens und der Manschetten vom Hemd. Trotzdem bangte er um seine Klamotten am Leib, die einzige Hose und die Schuhe, ohne Aussicht diese zu bald ersetzen zu können. Lehmverschmiert, wie er bereits war, zog er wenigstens seine schweren Knöchelschuhe und Strümpfe am Ufersaum aus, knüpfte die Schuhriemen aneinander und hängte sich, zusammen mit seinem Sack, alles vor dem Bauch baumelnd, um den Hals. Er achtete wohlweislich darauf, den Schritten eines wendigen Einheimischen vor ihm zu folgen, dem offensichtlich ein solches Ungemach nicht unüblich war. Zögerlich, ja ängstlich, versuchte Cornelius seinen ersten Schritt, barfuss wie er war, auf den schwankenden, schmalen und schlüpfrigen Steg zu setzen. Zwischen den Planken sah er etliche Ellen unter sich den schäumenden Fluss. Da kam ihm eine Idee. Er tastete sich die wenigen Schritte vom Steg zurück auf die Böschung, entrollte seine Decke, von der er annehmen konnte, dass er diese sobald nicht mehr brauchen würde und warf sie vor sich über die rutschigen Planken. Schritt für Schritt betrat er nun die Bretter, auf denen er sich nun sicherer fühlt, denn sie waren weniger rutschig und er sah unter sich nicht mehr die reißende Flut. Am Ende der Decke angelangt, zog er sie an sich vorbei und warf sie einige Schritte weiter nach vorne. Das dauerte seine Zeit, aber er kam nach und nach unbeschadet am anderen Ufer an. Die schmutzig Decke war allerdings ruiniert. Er ließ sie einfach zurück, in der Annahme, dass vielleicht ein Waldbewohner sie finden und noch gebrauchen konnte. Wieder einmal dankte er seinem Herrgott für seinen handlichen Seesack, den er mit Mühe, aber doch glimpflich über den Fluss gehievt hatte. Passagiere mit sperrigen Gepäckstücken waren in einer viel misslicheren Lage. Kein Kuli gab eine hilfreiche Hand. Tatsächlich hatten es am Ende aber doch alle, ohne in den Fluss zu stürzen, geschafft. Schlammbesudelt, wie sie waren, wartete am anderen Ufer, wohl organisiert und nur wenige Schritte entfernt, bereits der Anschlusszug für die restliche Strecke zur Hauptstadt.

      Eine Anhöhe, die stampfend von der Lokomotive erklommen werden musste, versperrte auf den nächsten 10 Kilometern die Sicht auf die Landesmetropole, bevor sich der Zug allmählich hinunter zum Pazifik schlängelte. Die Szenerie, die an ihnen vorbeizog, erinnerte an ein chinesisches Landschaftsgemälde mit zarten grünen Hügeln in weichen Konturen, flimmernd in der Mittagshitze, hinein in die Ferne. An einer Wegbiegung hing plötzlich eine Basaltwand aus dunkelgrünem Fels über ihnen, schien dem Zug für einen kurzen Moment den Weg zu versperren und auf sie herabzustürzen. Atemberaubend! Der Weg folgte auf seinem letzten Stück dem 'Rio Grande', einem laut rauschenden Fluss, der sich durch den dichten Dschungel seinen engen Weg bis zum Pazifik bahnte. Sie fuhren an 'Paraiso' vorbei, einem kleinen Eingeborenendorf, eingebettet zwischen Hügeln, die wie umgestülpte Teetassen aussahen. Dann kam 'Pedro Miguel' und 'Miraflores' in Sicht, und hinein ging es in die schwammige, schlammige Niederung, gleich einer Sode, so schwarz wie Kohle, bis sie endlich die baumlose Anhöhe des 'Ancon Hills' vor sich sahen, der die Stadt überragte. Der Lokführer war überglücklich die Ankunft anzukündigen, denn die letzten Kilometer bis