"Der Kollege von der Streife?"
"Nein, der da hinten."
Birtele blickte sich um und sah Ko hinter dem Steuer seines Cabrios, wie er versuchte, sein Verdeck in Schwung zu bringen, denn es hatte erneut das Regnen begonnen. Er schmunzelte in sich hinein. "Der Philosoph wird nass!", spöttelte er. Beide grinsten.
Auf der Dienststelle richtete sich der Neue häuslich ein: Akkurat legte er seine eigenen Büroutensilien, die er leicht angefeuchtet aus seinem Auto herausgeholt hatte, auf den blank geputzten Tisch. Allerdings war die Fläche nicht groß genug. Der Tisch hatte auch keine Schubladen, denn Birtele hatte ihn aus der Kantine holen müssen, weil ein richtiger Schreibtisch nicht aufzutreiben gewesen war. Birtele hatte sich aber auch nicht besonders bemüht, sich nicht angelegt mit irgendwelchen Kollegen der Schutzpolizei, die im selben Gebäude etliche Räume und Schreibtische hatten.
Amüsiert sahen die beiden dem Neuen zu, wie er überlegte, welche Auswahl seiner Utensilien auf der Tischplatte Platz finden könnte. Ein Techniker kam im Verlauf des Tages hinzu und installierte ein Telefon und einen Computeranschluss. Dafür mussten andere Utensilien wieder weichen. Offensichtlich schien es aber so, als ob der Neue sich auf einen längeren Aufenthalt einrichtete.
"Ich müsste einen Schreibtisch beantragen", sagte er kurz vor Dienstschluss zu Flinker.
Der zuckte nur mit den Schultern und sagte: "Probieren Sie ihr Glück!" Dabei grinsten sich Birtele und Flinker zu.
Am nächsten Tag stand ein nagelneuer Schreibtisch an der Wand, größer als der von Birtele und auch größer als Flinkers Tisch. Den beiden Kommissaren verging das Grinsen. So schnell war ihnen noch nie etwas genehmigt worden. Das trug Ko nicht gerade mehr Sympathie ein.
4
Diesmal war Ko der Erste. An dem Wehr, vor dem sich der Regen staut und dann in malerischen Katarakten einige Höhenmeter über abgeschliffene kleine Felsen hinabstürzt, sollte sich zusammen mit viel Geäst und allerlei Unrat eine Leiche verfangen haben. Flinker und Birtele nahmen an, dass dies der Tote sein musste, der vor Tagen von dem Felsen herabgespült und davongetrieben war. Ko jedoch hatte Zweifel, aber er teilte sie nicht den Kommissaren mit, sondern beeilte sich nur, der Erste zu sein. Und er schien auch gar nicht besonders überrascht, dass wiederum nichts zu finden war.
Erneut war der Anruf anonym an eine Dienststelle gegangen und Flinker war sich sicher, dass es derselbe Mann gewesen sein musste, der die Polizei foppte. Noch während er seinen Blick über das rauschende Wasser schweifen ließ, nahm er sich vor, das nächste Mal nur die Schutzpolizei hinzuschicken und nicht wieder selbst an eine vermeintliche Leichenfundstelle zu fahren - bei aller Schönheit der oberpfälzischen Natur.
"Das wird nicht funktionieren!", sagte Ko, als hätte er Flinkers Gedanken erraten.
"Was?", fragte Flinker.
"Beim nächsten Mal nicht hinzufahren."
Flinker war erstaunt, dass Ko wusste, was er dachte. Und Birtele, der bisher nur seinem Chef eine solche Begabung zugetraut hatte, flüsterte ihm zu: "Haben Sie das gerade gedacht?"
Doch Flinker reagierte auf Ko: "Wieso sollte das nicht funktionieren?"
Ko wich aus: "Ach nur so. Hoffentlich gibt es kein nächstes Mal."
Es dauerte nicht lange. Ko hatte mit stundenlanger Sorgfalt seinen Schreibtisch samt aller Schubladen perfekt eingerichtet und auf seine dafür vorgesehene Ablage zwei alte Fälle gelegt bekommen, damit er nicht unter negativen Stress geriete. Doch bevor er sich am nächsten Tag in die Cold Cases einarbeiten konnte, kam der befürchtete Anruf.
Statt die Schutzpolizei hinzuschicken, beauftragte Flinker seinen neuen Kollegen, der doch alles besser wusste, am Regen nach dem Rechten zu sehen. Doch Ko rief eine Stunde später von seinem Auto aus an, dass er sich wohl total verfahren habe. Birtele meinte, der habe wohl Regen ins Navi eingegeben, nicht wissend, dass es eine Stadt dieses Namens viel weiter flussaufwärts gibt. Flinker erläuterte Ko nochmals ausführlich den Weg. Einfach ein paar Kilometer weiter flussabwärts als beim letzten Mal. An das Wehr habe er doch auch schnell hingefunden ...
In der Zwischenzeit bekam Flinker einen weiteren Anruf, diesmal von einer besorgten Bürgerin, die eine Schwimmweste im Regen treiben sah. Eine halbe Stunde darauf - Ko war wohl immer noch nicht angekommen - erhielten die Kommissare einen dritten Anruf, der sich wohl auch auf dasselbe Vorkommnis bezog: Ein Kanu-Verleiher berichtete, dass eines seiner Boote abgängig sei. Der Tourist, der das Boot gemietet habe, hätte sich nicht wie vereinbart gemeldet. Nun musste sich auch Flinker aufraffen. Er fuhr mit Birtele zu dem vom anonymen Anrufer und von der besorgten Bürgerin beschriebenen Stelle, einem gefährlichen Schwall im Regen, wo schon mancher Kanufahrer gekentert war. Ko hatte also Recht gehabt: Das Ignorieren der Anrufe funktionierte nicht!
Ko war inzwischen da. Die besorgte Bürgerin, eine Radlerin, war längst weitergefahren. Ko stand alleine am Regen, diesmal nicht im Regen, denn die Wolken hatten sich in der Nacht verzogen und die Sonne strahlte am frühen Nachmittag von einem blauen Himmel. Ko schaute gebannt auf die Schwimmweste, die vom Sog des Schwalls festgehalten wurde und lustig auf und ab tanzte. Ein Kanu war nirgends zu entdecken. Der anonyme Anrufer hatte ja wiederum behauptet, es läge eine Leiche im Schwall - und zwar unter Wasser!
Flinker dachte nach und entschied sich dann doch dafür, aus Regensburg Polizeitaucher anzufordern. Er schickte Birtele ins nächste Dorf zu einem Supermarkt, um drei "Leberkassemmeln" zu besorgen. Er strengte sich an, dieses Lieblingsgericht der Altbayern in besonders breitem Dialekt auszusprechen, was Birtele zu einem Grinsen motivierte. Er solle möglichst auch alkoholfreies Bier mitbringen und irgendetwas, auf das man sich setzen könnte. Flinker rechnete mit ein bis zwei Stunden, bis die Taucher hier wären. Ko fragte nach, ob nicht vielleicht er selbst einen Tauchversuch wagen sollte. Das untersagte Flinker strikt.
Birtele kam mit der gewünschten Verpflegung und drei einfachen Campinghockern. Die drei Kommissare machten es sich auf der Wiese gemütlich, die sich hier am Fluss entlangzog. Sie blickten über den Streifen rötlichen Springkrauts, der zwischen Weiden und Erlen das Ufer säumte, auf eine enge und deshalb eher tiefe Stelle des an sich harmlosen Regens. Hier war durch auf dem Grund versteckt liegende Felsen ein Schwall mit einem tückischen Strudel entstanden. Das dunkle Regenwasser rauschte und die rote Schwimmweste tanzte dazu.
"Gut, dass Sie nicht schon vor einer Stunde in der Dienststelle die Taucher angefordert haben!", sagte Ko, "sonst könnten wir hier nicht die Idylle genießen."
Flinker wusste nicht, ob diese Bemerkung ironisch gemeint war, als eine erneute Kritik an seiner Arbeitsmoral. Birtele aber stimmte sofort zu:
"Unser Chef weiß sehr gut, wann er welche Schritte einleiten muss, damit alles zusammenpasst."
Mit einem großen Biss verkleinerte Birtele seine Leberkassemmel gleich mal um die Hälfte. Es war für Ko nicht zu erkennen, ob Birteles Aussage eine Rüge für ihn und ein Lob für Flinker sein sollte, oder ob sich der Kollege über seinen Chef lustig machte. Flinker ging von einem Lob aus.
"Wunderschön ist es hier!", sagte er. "Und das Wetter passt auch."
"Dafür kann er aber nichts!", raunte Birtele Ko zu. Und der Neue registrierte zum ersten Mal einen Verbündeten.
"Wenn da jetzt wirklich eine Leiche drinläge ...", sinnierte Flinker.
"Ach, glauben Sie jetzt doch an diese Möglichkeit?", erwiderte Ko.
Flinker zuckte mit den Schultern. Dann schaute er den Neuen an: "Woher wussten Sie eigentlich, dass wieder ein anonymer Anruf reinkommt, den wir nicht ignorieren können?"
Ko wurde verlegen. Es fiel ihm nichts ein.
"Das ist Intuition, Chef", kam ihm Birtele zu Hilfe.
"So was haben auch die Schriftsteller!"
Flinker schaute skeptisch und sein Blick schien Ko zu durchdringen: "Schon am Felsen, auf dem ein Toter liegen sollte, haben Sie irgendetwas bemerkt und sind stutzig