»Ja.«
Es folgte eine Pause.
»Mr. Quatermain«, sagte Sir Henry plötzlich, »ich nehme an, Sie wissen nichts Näheres oder haben keine weiteren Anhaltspunkte, die auf die Beweggründe für die Reise meines.... von Mr. Nevilles Reise hindeuten; er ging nach Norden, aber wohin genauer - was war das Ziel?«
»Ich habe etwas läuten gehört«, antwortete ich und schwieg sofort wieder. Das war ein Thema, über das ich nicht zu sprechen wagte.
Sir Henry und Captain Good blickten einander an, und Captain Good nickte.
»Mr. Quatermain«, sagte ersterer, »ich werde Ihnen gleich eine Geschichte erzählen und erbitte Ihren Rat, vielleicht auch Ihre Hilfe. Der Agent, der mir Ihren Brief übersandte, schrieb mir, ich möchte mich unbedingt darauf verlassen, da Sie - wie er versicherte - gut bekannt und in Natal allgemein geachtet wären. Besonders bekannt aber für Ihre Verschwiegenheit.«
Ich verbeugte mich leicht und trank einen Schluck Whisky mit Soda, um meine Verlegenheit zu verbergen, denn ich bin ein bescheidener Mensch - und Sir Henry fuhr fort.
»Mr. Neville war mein Bruder.«
»Ach!«, sagte ich und sprang auf, denn nun wusste ich, an wen mich Sir Henry erinnert hatte, als ich ihn zum ersten Mal sah. Sein Bruder war zwar um ein gutes Stück kleiner und trug einen dunklen Bart, aber - und jetzt fiel es mir ein - er besaß Augen von der gleichen grauen Schattierung und den gleichen scharfen, durchdringenden Blick. Auch die Gesichtszüge waren nicht unähnlich.
»Er war mein einziger und jüngerer Bruder«, setzte Sir Henry seine Erzählung fort. »Bis vor fünf Jahren waren wir wohl kaum jemals länger als fünf Monate nicht beisammen. Nun eben vor ungefähr fünf Jahren geschah das Unglück, wie es halt manchmal in Familien passiert. Wir waren heftig ins Streiten geraten, und in meinem Zorn benahm ich mich meinem Bruder gegenüber recht unschön und war äußerst ungerecht.«
Hier nickte Good sehr nachdrücklich mit dem Kopf. Das Schiff schlingerte in diesem Moment gerade stark, so dass der Spiegel, der uns gegenüber steuerbord hing, kurz dicht über unseren Köpfen war. Ich saß mit den Händen in den Taschen und schaute nach oben. So konnte ich ihn gleich allem nicken sehen.
»Ich darf wohl annehmen, dass Ihnen folgendes bekannt ist«, fuhr Sir Henry fort. »Wenn ein Mann ohne Testament stirbt, und er besitzt kein Vermögen außer Grund und Boden - Grundeigentum nennt man es in England fällt alles seinem ältesten Sohn als Erbe zu. Gerade zu dieser Zeit, da wir in Streit lebten, starb unser Vater ohne Testament. Er hatte es immer wieder aufgeschoben, bis es zu spät war. Das Resultat: mein Bruder, der keinen Beruf erlernt hatte, blieb ohne einen Penny. Selbstverständlich wäre es meine Pflicht gewesen, für ihn zu sorgen. Aber damals tobte der Streit so heftig zwischen uns, dass ich - zu meiner Schande muss ich es gestehen (er seufzte tief) - mich nicht erbot, etwas für ihn zu tun. Es lag nicht daran, dass ich ihm etwas missgönnt hätte, aber ich erwartete von ihm als dem Jüngeren, dass er versuchen würde, einzulenken. Er dachte aber nicht daran. Es tut mir leid, Mister Quatermain, dass ich Sie mit all dem beschweren muss, aber ich muss diese Angelegenheit klären, nicht wahr, Good?«
»Ganz recht, stimmt«, sagte der Captain. »Ich bin sicher,
Mr. Quatermain wird diese Geschichte für sich behalten.«
»Ganz selbstverständlich«, erwiderte ich, denn ich brüstete mich gerne meiner Verschwiegenheit, der ich, wie Sir Henry gehört hatte, einigen Ruf verdanke.
»Nun«, fuhr Sir Henry fort, »mein Bruder hatte damals ein paar hundert Pfund auf seinem Konto, und ohne mir einen Ton zu sagen, hob er diese lächerliche Summe ab, nahm den Namen Neville an und reiste in der abenteuerlichen Hoffnung nach Südafrika, dort sein Glück zu machen. Das erfuhr ich jedoch erst später. Etwa drei Jahre vergingen, und ich hörte nichts von meinem Bruder, obzwar ich ihm einige Male schrieb. Zweifellos erreichten ihn meine Briefe nicht. Aber als die Zeit verging, wuchsen meine Unruhe und meine Sorge um ihn immer mehr. Ich entdeckte, Mr. Quatermain, dass Blut dicker als Wasser ist.«
»Das stimmt«, sagte ich und dachte an meinen Jungen Harry.
»Ich stellte fest, dass ich mein halbes Vermögen opfern würde, Mr. Quatermain, wenn ich erfahren könnte, dass mein Bruder George, der einzige Verwandte, den ich habe, heil und gesund ist und ich ihn wiedersehen könnte.«
»Aber gemacht hast du's nie, Curtis!«, fiel Captain Good ihm ins Wort und streifte mit einem Blick das Gesicht des Riesen.
»Nun, Mr. Quatermain, mit der Zeit wurde ich immer besorgter und versuchte mit allen Mitteln herauszubekommen, ob mein Bruder lebte oder ob er tot war. Wenn er am Leben war, wollte ich ihn wieder nach Hause holen. Ich stellte Nachforschungen an, und Ihr Brief war einer der Erfolge. Soweit sich die Spuren verfolgen ließen, konnte man zufrieden sein, denn es zeigte sich, dass George bis vor kurzem noch am Leben war. Dennoch habe ich nicht genug unternommen. Aber um die lange Geschichte abzukürzen--------------------------
Ich entschloss mich, mich aufzumachen und selbst nach ihm zu suchen. Captain Good besaß die Freundlichkeit, mich zu begleiten.«
»Na ja«, sagte der Captain; »nichts anderes zu tun, wissen Sie. Von den Lords der Admiralität weggejagt, darf ich bei halbem Sold verhungern. Und nun, Sir, erzählen Sie uns vielleicht, was Sie von dem Gentleman namens Neville wissen.«
Zweites Kapitel: Die Sage von Salomons Minen
»Was haben Sie eigentlich über die Reise meines Bruders nach Bamangwato erfahren?«, fragte Sir Henry, als ich eine kurze Pause machte, um meine Pfeife zu stopfen, bevor ich Captain Good antwortete.
»Folgendes«, antwortete ich, »und ich habe bis heute zu keiner Menschenseele darüber gesprochen. Ich hörte, dass er nach Salomons Minen aufgebrochen ist.«
»Salomons Minen?«, riefen meine beiden Zuhörer zugleich. »Wo liegen die denn?«
»Ich weiß es nicht«, sagte ich; »ich weiß nur, wo sie der Sage nach liegen sollen. Einmal sah ich die Gipfel des Gebirges, hinter dem sie sich angeblich befinden, aber damals lagen hundertdreißig Meilen Wüste zwischen mir und ihm, eine Wüste, die meines Wissens bisher kein Weißer durchquert hat, außer einer. Aber vielleicht ist es das gescheiteste, wenn ich Ihnen die Sage von Salomons Minen erzähle, so wie ich sie kenne. Sie müssen mir aber Ihr Wort geben, ohne mein Einverständnis nichts von dem verlauten zu lassen, was ich jetzt erzähle. Einverstanden? Ich habe meine Gründe dafür.«
Sir Henry nickte, und Captain Good erwiderte »gewiss, gewiss.«
»Nun«, begann ich, »es wird Ihnen wahrscheinlich nicht ganz unbekannt sein, dass Elefantenjäger im allgemeinen eine raue Sorte von Männern sind, die sich nicht viel um andere Dinge kümmern als um das nackte Leben und die Sitten und Gebräuche der Kaffern. Ab und zu trifft man freilich einen, der sich die Mühe macht, bei den Eingeborenen alte, seit Generationen überlieferte Bräuche zu sammeln, und versucht, ein kleines Zipfelchen der Geschichte des schwarzen Erdteils zu lüften. Solch einer war es, der mir die Sage von Salomons Minen als erster erzählte; nahezu dreißig Jahre ist es jetzt her. Es war auf meiner ersten Elefantenjagd in der Gegend von Matable. Er hieß Evans und wurde ein Jahr darauf von einem angeschossenen Büffel angenommen und getötet; armer Bursche, er ist unweit der Sambesifälle begraben. Eines Abends, erinnere ich mich, erzählte ich Evans von einigen seltsamen Bergwerken, die ich bei einer Jagd auf Kudus (Schraubenantilopen) und Elenantilopen entdeckt hatte, dort, wo jetzt der Lydenburg-Distrikt von Transvaal liegt. Soweit mir bekannt ist, stieß man später beim Goldschürfen wieder auf diese Bergwerke, aber ich wusste schon Jahre vorher von ihrer Existenz. Eine prächtige, breite Straße ist dort durch den festen Felsen gehauen, die zum Eingang des Bergwerks bzw. dem Durchgang führt. Innerhalb des Schachtmundes lagen Stapel von Goldquarz, fertig zur Aufbereitung aufgeschichtet, ein Zeichen, dass die Arbeiter, wer immer sie auch waren, sie fluchtartig zurücklassen mussten. Etwa zwanzig Schritt dieses Durchgangs waren überdacht, und es war ein gutes Stück Mauerwerk.
Ja, sagte Evans, aber ich werde