Später erfuhr ich nämlich, dass Sir Henry Curtis, so hieß dieser baumlange Kerl, dänischer Abstammung war. Er erinnerte mich noch stark an jemanden, aber damals fiel mir nicht ein, an wen.
Der andere, der neben Sir Henry stand und sich mit ihm unterhielt, war klein, stämmig, dunkel und besaß eine ganz andere Physiognomie. Meine erste Vermutung war: ein Seeoffizier; ich weiß nicht warum, aber es ist schwer, sich bei einem Seemann zu irren. Ich habe im Laufe meines Lebens mit einigen von ihnen Jagdausflüge unternommen, und sie haben sich immer als die besten, kühnsten und nettesten Kameraden erwiesen, die ich je traf, obgleich einige von ihnen arg lästerlich fluchen.
Ich stellte einige Seiten vorher die Frage, was ein Gentleman sei. Ich will die Frage jetzt beantworten: ein Offizier der Königlichen Flotte ist in der Regel einer, mag es natürlich auch unter ihnen mal ein schwarzes Schaf geben. Ich stelle mir vor, dass es gerade das weite Meer und der Hauch von Gottes Winden sind, die ihre Herzen reinigen und die Bitterkeit aus ihrem Herzen blasen und sie so machen, wie man sich Männer vorstellt.
Na, um darauf zurückzukommen, ich hatte wieder einmal recht. Ich ermittelte: der dunkle Mann war Seeoffizier, Leutnant von 31 Jahren, der nach siebzehnjähriger Dienstzeit im Rang eines Kapitäns aus Ihrer Majestät Dienste wegen mangelnder Beförderungsmöglichkeiten verabschiedet worden war - eine Ehre, die absolut nichts einbrachte. Das also haben die Männer, die der Königin in Treue dienen, zu erwarten: hinausgestoßen zu werden in die teilnahmslose Welt, ihren Lebensunterhalt gerade dann zu suchen, wenn sie ihr Geschäft wirklich zu verstehen beginnen und in der Blüte ihrer Mannesjahre stehen. Ich schätze, sie machen sich nichts daraus, für meinen Teil aber habe ich mir lieber mein Brot als Jäger verdient. Das Kleingeld ist zwar manchmal arg knapp, dafür bekommt man nicht so viele Tritte. Er hieß, wie ich an Hand der Passagierliste herausfand, Good - Captain John Good. Er war breitschultrig, von mittlerer Größe, dunkel, kräftig und im Übrigen ein ziemlich seltsamer Vogel. Er war unwahrscheinlich ordentlich, immer ganz glatt rasiert und trug stets im rechten Auge ein Monokel. Es schien hier angewachsen zu sein, denn er trug es weder an einer Schnur, noch nahm er es je heraus, ausgenommen, um es einmal zu putzen. Anfangs glaubte ich, er schlafe auch damit, entdeckte aber später, dass dies denn doch ein Irrtum gewesen war. Wenn er zu Bett ging, steckte er es nämlich mit seinen falschen Zähnen in die Hosentasche. Ja, seine falschen Zähne, oben wie unten, sie waren wunderschön. Meine eigenen sind nicht die besten, und so verstieß ich öfters gegen das 10. Gebot. Doch eben habe ich wieder vorgegriffen.
Kaum waren wir auf hoher See, brach der Abend herein und mit ihm sehr schlechtes Wetter. Eine scharfe Brise kam von Land auf und eine Art schottischer Nebel, nur noch schlimmer, die jeden bald von Deck vertrieben. Was die Dunkeld betraf, war sie ein flachbodiges Schiff mit geringem Tiefgang und schlingerte daher heftig. Fast schien sie kentern zu wollen, ließ es aber dann doch sein. Es war völlig unmöglich, herumzulaufen; so stand ich nahe bei der Maschine, wo es warm war, und vergnügte mich damit, ein mir gegenüber aufgehängtes Pendel zu beobachten, das langsam vor- und rückwärts schwang, im Rhythmus, wie das Schiff schlingerte. Es zeigte so den Neigungswinkel an, den das Schiff bei jedem Überholen annahm.
»Das Pendel zeigt falsch an, es ist nicht richtig beschwert«, sagte eine ziemlich verdrießliche Stimme hinter mir. Ich sah mich um, hinter mir stand der Seeoffizier, den ich bemerkt hatte, als die Passagiere an Bord kamen.
»So? Und warum glauben Sie das?«, fragte ich.
»Glauben? Ich glaube nicht. Wenn nämlich«, fuhr er fort, als sich das Schiff nach einem starken Überholen wieder aufrichtete, »der Kahn wirklich so geschlingert hätte, wie das Ding da anzeigt, dann würde es bestimmt nie wieder schlingern, das ist's. Aber das sieht diesen Handelsmarineschiffen ähnlich, die sind ja immer so verflucht nachlässig.«
Da läutete gerade die Dinnerglocke, und ich war heilfroh, denn es ist schrecklich, einem Offizier der Königlichen Marine zuhören zu müssen, wenn er auf dieses Thema zu sprechen kommt. Ich weiß nur ein Ding, das noch schlimmer ist: einen Kapitän der Handelsmarine seine offene Meinung über die Offiziere der Königlichen Marine äußern zu hören.
Captain Good und ich gingen miteinander zum Dinner hinunter. Sir Henry Curtis saß schon bei Tisch. Er und Captain Good saßen nebeneinander, und ich saß ihnen gegenüber. Der Captain und ich kamen bald in ein Gespräch über die Jagd und so weiter; er stellte mir eine Menge Fragen, denn er ist sehr interessiert an allen Dingen, und ich beantwortete sie, so gut ich konnte. Bald kam er auf Elefanten zu sprechen.
»Oh, Sir«, rief jemand, der neben mir saß, »da sind Sie gerade an den richtigen Mann gekommen. Wenn überhaupt jemand, dann dürfte Jäger Quatermain in der Lage sein, Ihnen über Elefanten zu erzählen.«
Sir Henry, der bisher unserem Gespräch ganz still gefolgt war, fuhr sichtlich zusammen.
»Entschuldigen Sie, Sir«, sagte er und bog sich weit über den Tisch. Er hatte eine leise, tiefe Stimme, eine sehr angenehme Stimme, die, so schien mir, aus mächtigen Lungenflügeln kam.
»Verzeihen Sie, Sir, aber ist Ihr Name Allan Quatermain?«
Ich bejahte.
Der Riese schwieg wieder, ich hörte jedoch, wie er »Schicksal« in seinen Bart murmelte.
Bald darauf ging das Dinner zu Ende, und als wir gerade den Speiseraum verlassen wollten, kam Sir Henry auf mich zu und fragte mich, ob ich Lust hätte, mit ihm in seiner Kajüte eine Pfeife zu rauchen. Ich nahm die Einladung an und folgte ihm zur Deckkabine der Dunkeld. Es war eine sehr gute Kabine. Eigentlich waren es zwei Kabinen gewesen, aber als Sir Garnet oder einer von diesen vornehmen Stutzern auf der Dunkeld die Küste entlang fuhr, hatte man die Zwischenwand einfach herausgeschlagen und sie nie wieder eingebaut. In der Kabine stand ein Sofa, davor war ein kleiner Tisch. Sir Henry schickte den Steward nach einer Flasche Whisky. Wir drei setzten uns und zündeten unsere Pfeifen an.
»Mister Quatermain«, sagte Sir Henry Curtis, als der Steward den Whisky gebracht und die Lampe angezündet hatte, »im vorvorigen Jahr um diese Zeit waren Sie, glaube ich, an einem Ort namens Bamangwato im Norden von Transvaal.«
»Stimmt«, antwortete ich, ziemlich überrascht, dass dieser Gentleman meine Unternehmungen so genau kennen sollte, die meines Wissens für die Allgemeinheit doch nicht von besonderem Interesse sein konnten.
»Handelsgeschäfte haben Sie dorthin geführt, nicht wahr?« schaltete sich Captain Good in seiner lebhaften Art ein.
»Ja. Ich nahm eine Wagenladung Waren mit, schlug mein Lager außerhalb der Siedlung auf und blieb dort, bis ich alles verkauft hatte.«
Sir Henry saß mir gegenüber in einem Madeira-Stuhl und stützte die Arme auf den Tisch. Nun schaute er hoch und heftete seine großen grauen Augen voll auf mein Gesicht. Da flackert eine merkwürdige Angst in ihnen, dachte ich.
»Haben Sie zufällig da oben einen Mann namens Neville getroffen?«
»Oh, ja; er spannte für vierzehn Tage direkt neben mir aus, um seinen Ochsen etwas Ruhe zu gönnen, bevor er ins Innere weiterzog. Vor ein paar Monaten bekam ich von meinem Rechtsanwalt einen Brief mit der Frage, ob ich wüsste, was aus ihm geworden ist. Ich habe damals nach bestem Wissen und Gewissen geantwortet.«
»Ja«, sagte Sir Henry, »Ihr Brief wurde mir zugeschickt. Sie schrieben, der Gentleman namens Neville habe anfangs Mai Bamangwato verlassen, und zwar mit einem Wagen, einem Fuhrmann, einem Voorlooper und einem Kaffernjäger namens Jim. Angeblich hätte er beabsichtigt, wenn möglich bis Inyati, dem vorgeschobensten Handelsposten in der Makabelegegend, zu trecken. Dort wollte er seine Wagen verkaufen und zu Fuß weitergehen.
Sie schrieben auch, dass er seinen Wagen tatsächlich verkauft habe, denn sechs Monate später sahen Sie den Wagen im Besitz eines