Ich bin eine Reisende.
Klar. Und bin ICH erst mal weg, so müssen SIE sich nicht mehr im Schrank verstecken. Kein Wort von Familiennachzug! Als wenn ich Ihre Absicht nicht gleich –
Morgen Abend müssen Sie in Wien sein. Von dort aus bringt Sie der Orient-Express über den Balkan direkt nach Istanbul.
Die Behörden haben meinen Pass eingezogen.
Um die entsprechenden Papiere kümmer ich mich.
Ich kenne Sie überhaupt nicht.
Aber passen Sie auf. Die Balkan-Route ist in der Hand der organisierten Kriminalität.
Mafia?
Ich werde in Ihrer Nähe bleiben.
Ich muss doch noch packen!
Du reist mit nichts als der Wahrheit nach Istanbul.
7.
Als ich im Spätsommer 1934 meine neue geschäftliche Betätigung in Istanbul begann, meldete ich mich als Parteimitglied und überzeugter Nazi bei dem Ortsgruppenleiter Dr. Guckes. Diese Bezeichnung kam ihm offiziell nicht zu, denn die Türkei hatte mit Rücksicht auf ihr Bündnis mit England eine Betätigung der NSDAP innerhalb ihrer Grenzen verboten. Es wurde deshalb seitens der Auslandsabteilung der Partei in Berlin der Ausweg gefunden, dass man ihm den Titel eines Koloniechefs verlieh. Offizielle Parteiveranstaltungen konnten deswegen nur in den Räumen des Generalkonsulats abgehalten werden. Die Türken waren zwar in ihrer Mehrheit auf unserer Seite, aber die offiziellen Stellen waren doch bemüht, irgendwelche augenfällige Betätigung der Partei zu unterdrücken.
Herr Dr. Guckes, ein stattlicher und aufgeschlossener Mann, hatte bald raus, dass ich keinesfalls ein Opportunist oder ein „Mitläufer“ war. Er eröffnete mir denn auch nach kurzer Zeit, dass er mich der Parteileitung in Berlin als Schlichter der Ortsgruppe vorgeschlagen habe. Das passte mir an sich nicht, da ich überreichlich mit dem Ausbau meiner geschäftlichen Position zu tun hatte. Aber eine Weigerung gab es nach den Parteibestimmungen nicht. Da der Schlichter jedoch eine weitgehende Unabhängigkeit gegenüber dem Ortsgruppenleiter besaß und letzten Endes nur der Zentrale in Berlin verantwortlich war, sagte ich zu.
Nach einiger Zeit der Zusammenarbeit entdeckte ich aber doch an Dr. Guckes eine ganze Anzahl Unzulänglichkeiten in charakterlicher und auch in parteilicher Eignung als Hoheitsträger. So hatte er aus rein persönlichen Gründen mit seiner Clique meinen Vorgänger L., einen charakterlich hochstehenden Menschen, zu Fall gebracht. Er unternahm es weiterhin, sich auf einem Koloniefest mit einigen seiner Getreuen in Mönchskutten zu kleiden und mit umgehängten Holzkreuzen in läppischer Weise die Anwesenden zu segnen. Gegen diese und andere Unwürdigkeiten setzte ich mich zur Wehr und setzte es durch, dass L. wieder als Schlichter eingesetzt wurde.
Meinem Einschreiten in Berlin kam eine Mitteilung des Gauleiters Bohle von der Auslands-Organisation der NSDAP in Berlin zuvor, worin mir der Besuch eines Bevollmächtigten angezeigt wurde. Dieser war beauftragt, eine Untersuchung gegen Dr. Guckes einzuleiten, von dem inzwischen festgestellt worden war, dass er seinen Doktortitel zu Unrecht führte. Ich wurde um Stellungnahme ersucht und konnte nicht umhin, meine Bedenken gegen die Eignung von Guckes als Hoheitsträger im Ausland zum Ausdruck zu bringen. Er wurde abgesetzt.
In dieser Situation, die der deutschen Kolonie nicht unbekannt geblieben war, begab sich als Sprecher derselben Herr W., Direktor der Filiale der Deutschen Bank in Istanbul, zu Herrn Bohle nach Berlin und bewirkte meine Bestallung als Ortsgruppenleiter – selbstverständlich ohne mein Zutun. W. war selbst kein Pg, verfügte aber als Wirtschaftsführer über gute Beziehungen und großen Einfluss.
So sah ich mich plötzlich mit der Menschenführung einer Kolonie von etwa 1200 Mitgliedern (davon nur 200 Parteimitglieder) betraut. Die hierfür wünschenswerte Übereinstimmung mit dem Reichsvertreter, Generalkonsul Geheimrat Dr. Toepke, wurde unschwer erzielt, da er – wie auch seine von unserer Mutti und mir sehr verehrte Gattin – passionierter Jäger war. Herr Toepke, alter Corps-Student mit einem zerhackten Gesicht, wollte seine bevorstehende Pensionierung gerne ohne Konflikte mit der Partei erreichen und war froh, die ganzen Scherereien mit der bunt zusammengewürfelten Kolonie auf meine Schultern abwälzen zu können.
Ich konnte mich somit von dieser Seite unbeschwert der Reorganisierung des Parteiapparates widmen, dessen Ansehen durch den Fall Guckes erheblich gelitten hatte. Die mir danach verbleibenden politischen Leiter, Zellen- und Blockleiter, waren alles Burschen mit untadeliger Weste. Allerdings war die politische Tönung unter ihnen eine sehr verschiedene. Es gab unter ihnen 150prozentige Hitzköpfe und dann auch wieder mehr liberal gefärbte. Uns alle beseelte aber das gleiche Ideal: „Alles für Deutschland!“
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