Ortsgruppenleiter von Istanbul. Carsten Brandau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carsten Brandau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746748498
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      Davon rede ich doch die ganze Zeit! Wie wunderbar das wäre! Wäre ich wirklich krank.

      Bist du.

      Und warum bin ich dann immer noch arbeitslos?

      Dein Selbstmitleid kotzt mich an.

      Du willst es einfach nicht wahrhaben.

      Weil es nicht stimmt. Die Geschichte wiederholt sich nicht.

      Hab ich das jemals behauptet?

      Und wovor versteckst du dich dann?

      Es gibt Parallelen!

      Du bist nicht nur paranoid. Du bist völlig gestört.

      Weil ich dich schütze? Weil ich nicht will, dass du meinetwegen Probleme kriegst?! Dass sie dich abholen? Demütigen?! Sie werden uns alle ins Gas schicken!

      Das ist doch Schwachsinn!

      Ich bin einfach nur nicht so naiv wie du.

      Dieser ewige Nazi-Scheiß.

      Aber er hat recht.

      Sei mal still.

      Sie sollten auf ihn hören.

      Wie?

      Ich?

      Irgendwann ist es dann zu spät.

      Da ist doch was.

      Nicht schon wieder.

      Dann hat niemand was gesehen.

      Hörst du das nicht?

      Hustet dein Publikum wieder?

      Wehret den Anfängen!

      Psssst!

      Rhythmisches Brummen.

      Dieses Brummen. Das musst du doch hören! Dieses rhythmische –

      Scheiße. Wo hab ich es nur.

      Das glaub ich jetzt nicht. Wie oft hab ich es dir gesagt!? Das Handy gehört in den Kühlschrank! Nicht rangehen!

      (ins Handy) Ja? Hallo? Ja. Natürlich bin ich –

      (zischt) Wer ist es denn?

      (ins Handy) Wen wollen Sie sprechen?

      (zischt) Ich bin nicht da!

      (ins Handy) Der ist nicht hier. Da muss ich Sie leider. Und woher wissen Sie das?

      (zischt) Leg auf!

      (ins Handy) Bitte? Das ist ja wohl die Höhe!

      Hab ich es nicht die ganze Zeit?

      (ins Handy) Dazu haben Sie überhaupt kein Recht! Schon mal was von Menschenrechten gehört? Privatsphäre?! Freie Entfaltung der Persönlichkeit!?

      Nein.

      (ins Handy) Und seit wann soll die eingeschränkt sein? Notverordnung gegen was?!

      Stille.

      (ins Handy) Ich scheiß auf Hindenburg!

      (zischt) Mach jetzt Schluss!

      (ins Handy) Aber der ist nicht hier!

      (zischt) Du sollst das Handy ausmachen!

      Fuck.

      Was denn!?

      Sie kommen hoch.

      Nein.

      Doch! Wenn er nicht raus kommt. Dann kommen wir rein. Das haben sie gesagt.

      Willst du immer noch behaupten, dass ich paranoid bin!?

      Du musst weg!

      Und wohin!?

      Ich weiß es doch auch nicht.

      Über den Balkon?

      Bist du wahnsinnig?!

      Dort rein!

      In den Schrank?

      Fällt dir was Besseres ein?!

      Das ist doch lächerlich.

      LOS jetzt!

      Nein. Nicht in den Schrank!

      Haben wir eine Wahl?

      Stille.

      Nun mach schon.

      Ich?

      Es ist DEINE Entscheidung.

      Sind sie etwa hinter MIR her?! DU musst in den Schrank. Los!

      Und wenn ich niesen muss?

      Dass dir selbst in so einer Situation noch nach Witzen ist.

      Ich meine es völlig ernst! Wenn ich im Schrank niesen muss. Was dann!?

      Dann sehen wir uns nicht wieder.

       2.

      Eine Menge Arbeit und Vorbereitungen verursachten die einige Male vorgenommenen Wahlen, oder richtiger gesagt: Volksbefragungen. Da diese auf türkischem Hoheitsgebiet nicht stattfinden durften, wurde ein Frachter unserer Linie gechartert und mit diesem die große Masse der Wähler außerhalb der Dreimeilen-Zone, also ins Ausland verbracht. Zum Wahlbüro im Zwischendeck führte eine extra angefertigte breite Treppe mit Geländer. Letzteres erwies sich als zweckmäßig, denn im Schwarzen Meer herrschte dieses Mal eine hohe Dünung, gegen die unser Wahlschiff „Milos“ unentwegt mit halber Kraft anstampfte, und eine ganze Anzahl unserer Passagiere hatten die Haltung verloren. Auf sie konnten wir aber nicht verzichten, und so wurden sie, flankiert von je zwei kräftigen SA-Männern, nach unten gelotst. Das Wahlresultat war dann auch ein entsprechend erfreuliches: 98,5% Ja-Stimmen.

      Unter Aufbietung der gesamten Frauenschaft hatte ich in der Teutonia unter der Leitung des Schiffskochs ein Eintopfessen für die vielen hundert Wähler bereiten lassen. Es gab Labskaus, der in Fässern an Bord gebracht, dort wieder aufgewärmt und in der Kombüse in Portionen verausgabt wurde. Das Gericht war delikat, aber die Magennerven einer Anzahl der Fahrgäste revoltierten und überließen es lieber den Makrelen. Nicht das etwas unruhige Schwarze Meer, sondern mein Küchenzettel wurde für die „Katastrophe“ verantwortlich gemacht.

       3.

      Ah!

      Entschuldigen Sie.

      Was soll denn das?!

      Ich wollte Sie nicht erschrecken.

      DAS ist Ihnen gelungen.

      Bitte?

      Und WIE Sie mich erschreckt haben!

      Eben.

      Zu Tode!

      Aber ich WOLLTE Sie doch gar nicht erschrecken. Es ist mir also NICHT gelungen.

      Was?

      Sie NICHT zu erschrecken.

      Natürlich nicht!

      Nur weil Sie das eben sagten.

      Sie haben mich zu Tode erschreckt!

      Gelingen können uns lediglich die Dinge, die wir auch beabsichtigen.

      Habe ich was anderes behauptet?

      Haben