Ortsgruppenleiter von Istanbul. Carsten Brandau. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Carsten Brandau
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746748498
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      Hier. Tief in mir drinnen. Da kommt eine Figur um die Ecke! Bloß schnell die kalte Schulter zeigen. Bloß schnell wegducken. Bin nicht da! Ab auf die Metaebene. Die Figur hat ja menschliche Züge. Die ist ja genauso gestört wie ich! Hilfe! Am Ende wird das Publikum noch mich in meiner Figur erkennen! Ist das nicht eklig? Wie ich dir mit meinem figürlichen Gequatsche meine Seele entblättere? Bis ich dann nackt auf der Bühne. Und so weiter. Nein! Darum geht es ja gerade! Deine Rolle muss immer dieser räudige Köter da in dir drinnen sein. Verstehst du? Aus dem Bauch raus musst du spielen. Kein Kopf. Leiche im Keller! Verwesungsgeruch. Das ist Theater.

      Dürfte ich es vielleicht noch einmal versuchen?

      Wenn dieser räudige Köter in dir allerdings nur ein gestriegelter Zuchtpudel ist –

      Eine letzte Chance!

      Ich wüsste nicht warum.

      Ich BITTE Sie!

      Stille.

      Danke!

      Aber mit DIESEM Text hier. Nun mach schon! Jetzt oder gar nicht.

      Gleich. Moment.

      Also gar nicht.

      Warten Sie!

       1.

      „Der häufige Wechsel an der Spitze des Volkes beschädigt die Autorität der Partei. Noch dazu darf nicht alle paar Jahre die Person und das Werk eines Menschen, der ja ein nationaler Führer ist, in Frage gestellt werden. Eine Diskussion in dieser Richtung schadet dem Ansehen der Person. Deshalb muss ein nationaler Führer ein unabänder­licher, ewiger, lebenslanger Führer sein. Die Politik, die der Nationale Führer vorgibt, ist die einzig Richtige und den Interessen des Volkes dienende. Mit seiner Stellung steht er aber zugleich außerhalb jeder Verantwortung und kann nicht belangt werden. Es wird nur dann ein neuer Nationaler Führer gewählt, wenn der bisherige stirbt oder so krank wird, dass er die Nation nicht führen kann oder selbst zurücktritt.“ Mein Urgroßvater war. Also. In der Partei.

      Welcher Opa war das nicht.

      Ur-Opa. Er war Nazi.

      Reichsjugendführer war er ja wohl nicht.

      Bitte?

      Stinknormaler Nazi-Opa ist keine Leiche im Keller. Wen interessiert das denn noch!?

      Könnte das nicht meine Verbindung zu diesen Texten hier sein?

      Als wenn das Nazi-Texte wären.

      Natürlich sind das –

      Das ist die Satzung der CHP.

      CH was?

      P. Türkische Regierungspartei. Ende der Dreißiger. So kommen wir nicht zusammen.

      Das Stück spielt kurz vor dem Zweiten Weltkrieg in der Türkei?

      Darum geht es doch gar nicht.

      Wenn das kein Zufall!

      Lass es mich SO formulieren. Ich werde mich nicht bei dir melden.

      Genau zu der Zeit hat mein Urgroßvater in Istanbul gelebt!

      Also doch Migrationshintergrund?

      Gewissermaßen.

      Eben war dein Opa noch Nazi.

      UR-OPA. Der räudige Hund. Hier. Tief in mir drinnen. Da.

      Gibt es etwas, was du für diesen Job nicht machen würdest?

      Er war dort Gauleiter.

      Bitte?

      GAULEITER.

      Dein Opa war dort Gauleiter?

      Mein Ur-Opa. Ja. Er war der Gauleiter von Istanbul. Hab ich die Rolle?

      Der Nächste bitte!

      Ich brauche den Job!

      Du sollst dich verpissen!

      Ich flehe sie an!

      Als wenn die Türkei ein deutscher Gau –

      Mein Urgroßvater war der Gauleiter von Istanbul!

      Du bist dir wirklich für nichts zu schade.

      Wenn es doch die Wahrheit ist!? Sie müssen mir diesen Job geben!

      Erzähl mir von ihm.

      Von wem?

      Von deinem Gauleiter!

      Ich habe ihn ja nie kennengelernt. Beziehungsweise. Es gibt da ein Foto. Da muss ich so. Ich konnte gerade laufen. Und da laufe ich an seiner Hand. Er war ja mein Urgroßvater. Aber daran kann ich mich natürlich überhaupt nicht mehr –

      Willst du nun den Job oder nicht!?

      Ja.

      Dann erfinde was.

      Jetzt? Ich meine –

      Guten Abend!

      Wieviel Zeit hast du noch?

      Keine.

      Eben.

      Bin ICH jetzt dran?

       0.

      Mein Istanbuler Hauswirt, Engländer, ein sehr würdiger älterer Herr, erzählte mir eines Tages, dass sein deutscher Mieter, ein „großer Nazi“, wie er sagte, ihm schon seit vielen Monaten die Miete schuldig geblieben sei. Ich ließ mir den Mann kommen und stellte fest, dass seine Geschäfte, von denen er sprach, nur aus Windbeuteleien bestanden. Ich schlug ihm vor, alsbald seine Koffer zu packen und in die Heimat zu fahren, andernfalls ich ihm durch das Generalkonsulat seinen Pass entziehen würde. Er fuhr, und der Engländer bekam aus der Parteikasse die rückständige Miete auf Heller und Pfennig auf den Tisch geblättert.

       1.

      Darf ich dich mal was fragen?

      Ist da was?

      Woher nimmst du dir eigentlich das Recht? Dass es immer um DICH gehen muss!? Die ganze Zeit stehst DU im Zentrum! Wann bin ICH dran?!

      Sei mal kurz still.

      Da ist nichts!

      Ich hab doch was gehört.

      Du bist ja paranoid.

      Psst!

      Rhythmisches Brummen.

      Hörst du das nicht?

      Höchste Zeit, dass du mal wieder einen Job kriegst.

      Als wenn es MEINE Schuld.

      Hört ein arbeitsloser Schauspieler sein Publikum husten.

      Meinst du das eigentlich ernst?

      Ich bin AUCH nur ein Mensch!

      Glaubst du das wirklich? Dass ich paranoid bin!?

      Guck dich doch an.

      Weißt du, was das heißen würde?

      Wie lange soll das eigentlich noch so weitergehen?!

      Das wäre meine Rettung!

      Du kannst doch nicht dein Leben lang abtauchen!

      Dafür gibt es Gründe.

      Nur