War sie nicht mehr ganz bei Sinnen, sich an einem Traum zu orientieren? Sie musste schnellstens wissen, was wirklich passiert war, bevor diese Unwissenheit ihr Leben in den Griff bekam und es verdüstern würde.
Wenn du mir nicht erzählst, wer mein Vater war und was euch wirklich auseinander gerissen hat, dann…. ja dann…! Womit konnte sie ihrer Mutter drohen? Sie wusste es, und sie würde diese Drohung aussprechen.
Noch konnte Luz nicht ahnen, dass ihre Mutter, auf Grund dieser Drohung, erkranken und sie außerdem nur mit einem Teil der Wahrheit konfrontieren würde, verwoben mit einer großen Unwahrheit. Und, dass sie wenig später, wegen dieser Aussagen, bei der Entschlüsselung ihrer Vergangenheit, lange Zeit in die falsche Richtung galoppieren würde. Ein Riss in ihrem Dasein.
Doch vorerst wurde Luz von diesen Ereignissen noch verschont, sie genoss den Beginn einer Liebe, die mit Marlons Werbung in ihre Startlöcher gehuscht war.
Das war ihre erste Nacht im Haus des Lehrers, am zweiten Abend kam Karl dazu. Er kam angehechtet und ohrfeigte den Lehrer noch im Lauf. Jemand hatte, wie es sich für ein echtes Camp-Mitglied gehört, am Abend zuvor des Pädagogen Liebeserklärung und Annäherungen an Luz belauscht und dieses Gut am nächsten Tag, Karl zugetragen. Mit Schadenfreude gewürzt.
Karl nahm, nachdem er für ein rot geschwollenes Lehrerohr gesorgt hatte, seine Luz del Mar bei der Hand, er riss sie einfach aus dieser Situation heraus und befahl ihr ins Auto zu steigen. Sie protestierte nicht, und er brachte seine Herzallerliebste wohlbehalten nach Hause, nicht in ihr einsam gelegenes Häuschen außerhalb des Dorfes, sondern ins Pfarrhaus. Dorthin würde dieser Wüstling ihr nicht folgen. Karl sprach unterwegs kein Wort. Sie sagte ebenfalls nichts, war aber weit weniger bedrückt als er. Sie wirkte fast fröhlich.
Am nächsten Tag war Helen zurück, mit ihrer Mutter im Schlepptau. Sobald sich die erste Gelegenheit dazu bot, zog Luz del Mar ihre Freundin zur Seite und beichtete Küsse und heftige Umarmungen.
Ich weiß, Marlon hat mir davon berichtet, auch dass der prüde Karl ihn geohrfeigt hätte. Helen lachte. Ich kann es Marlon nicht übelnehmen, dich zu lieben, Luz, sagte sie mit glänzenden Augen, ich liebe dich ja auch.
Damit nahm sie Luz del Mar in den Arm und küsste sie leidenschaftlich. Bis Marlon ins Zimmer trat und gespielt hüstelte. Nun waren sie wirklich zu Dritt, wobei sich allerdings sehr bald herausstellte, dass die Leidenschaft immer nur paarweise gelebt werden konnte. Ihre sexuellen Zuneigungen versiegten in Lachsalven, sobald sich alle Drei gleichzeitig zu diesem Spiel trafen. Zu dritt genossen sie alles Erdenkliche was ein Tagesablauf bereithielt, nur nicht das Liebesspiel. Das spielte sich innig und aufregend nur zwischen jeweils zwei Partnern ab und ebenfalls niemals mit Luz im Elternschlafzimmer, sondern ausschließlich im Gästezimmer, in dem Luz nun auch teilweise nächtigte. Manchmal unterlag dies der Kombination, Luz und Helen und manchmal, Luz und Marlon. Der Lehrer und seine Frau vereinigten sich, wenn es sie danach verlangte, ohne Luz im king size bed des ehelichen Schlafzimmers. Diese Version ergab sich, in den Anfängen des Luz del Mar Eintritts in das Liebesleben der Krügers, eher selten. Luz war der Joker und meist am Einsatz beteiligt. Dann saßen währenddessen, jeweils der Lehrer oder seine Gattin auf der Terrasse und blickten geduldig in den klaren Sternenhimmel. Doch diese abwechselnden Lustgewinne wurden erst ins Haus des Lehrers gehoben, als die Schwiegermutter wieder abgereist war. Zunächst einmal war sie gerade erst angekommen und Marlon musste sich vorübergehend mit hektisch gestohlenen Küssen begnügen. Diese übergestülpte Zurückhaltung galt nur für Marlon, Helen hatte mehr Gelegenheit für die Bekanntmachung der Zungen auf ihren Körpern. Sie konnte tagsüber, ohne Verdacht zu erregen, in Karls Haus schlüpfen und ihre Freundin besuchen.
Pfarrer Nestor hatte die unwiderrufliche Order erhalten, noch vor Ablauf des Jahres, wieder von der Bischofsresidenz aus zur Verfügung zu stehen. Dieser Order konnte er sich nicht entziehen, ohne sich die größten Probleme einzuhandeln. Eigentlich sah er seine Mission als fast beendet an, wenn sie ihm auch nicht auf jedem Gebiet gelungen war.
Luz war jahrelang erfolgreich von ihm unterrichtet worden, später mit begleitenden Fernkursen und den anschließend staatlichen Prüfungen, die sie alle mit gutem Abschluss bestanden hatte. Nun sollte sie ihrem größten Wunsch, Archäologin zu werden, noch näher rücken. Nestor wollte bei der Wahl der Universität beratend wirken, wobei ihm Lima vorschwebte. Das war nicht ganz ohne Eigennutz, denn dadurch würde sie vorerst noch in seiner Nähe bleiben. Sie sollte seiner Ansicht nach auch viel reisen und eventuell einige Semester im Ausland verbringen. Nestor hatte keine Zweifel, ihre innige Verbindung zueinander würde niemals verblassen. Was mit Begoña geschehen sollte, war noch nicht entschieden, doch auch das würde sich ergeben. Seine Mission, in der hintersten Provinz, eilte also ihrem Ende entgegen.
Nun sollte Luz die Patin dieses deutschen Kindes werden. Sie hatte Nestor von der wenig konventionellen Freundschaft zu dem Elternpaar erzählt. Sogar, dass sie verwirrt sei, da sie beide gleich liebe. Ihm stand kein Urteil über gleichgeschlechtliche Liebe zu, er hatte auch kein Bedürfnis darüber zu urteilen.
Und was geschieht nun mit Señor Karl, hatte er nur gefragt. Den liebe ich auch, irgendwie, meinte Luz unsicher, aber das ist etwas anders.
Sie liebte anscheinend das ganze Camp, besonders die Menschen mit hellen Augen. Es wurde allerhöchste Zeit, dass sie mit diesem Unsinn aufhörte und auch nicht mehr die Häuser anderer Leute putzte, sondern an die Universität kam und sich wieder ihren eigentlichen Talenten widmete. Dieses Camp hatte sie lange genug davon abgehalten.
Der Zustand ihrer Mutter verschlechterte sich dramatisch. Sie war seit Luz´ Drohung von der Angst besessen, ihre Tochter könne sie verlassen, sie zurücklassen, um dem Pfarrer in die Großstadt zu folgen, was ja auch dem Plan entsprach. Doch nicht so bald, versuchte man sie zu beruhigen, erst im nächsten Oktober, und natürlich ließe man sie niemals allein zurück.
Es war nur eine Drohung gewesen, aus der Not heraus, Luz hatte sich damit einige Angaben zu ihrem verstorbenen Vater erhofft, und sie nicht bekommen. Sobald sie dieses Thema nun anschlug, und wenn es noch so vorsichtig geschah, kam Panik auf. Der Zustand ihrer Mutter verschlechterte sich bedrohlich, sie faselte von Blut, Feuer und Toten und von einem toten Baby. Ihre Worte ergaben für Luz keinen Sinn, sie musste einen lichten Moment abwarten. Nach dem letzten Gespräch mit ihrer Mutter, verirrte sich die Erkrankte für mehrere Tage in beängstigenden Erinnerungen, sie versank darin so tief, dass sie nicht mehr ansprechbar war. Der Pfarrer schlug vor, sie in ein privates Sanatorium für Geisteskranke zu bringen, da wäre wenigstens ständig ärztliche Versorgung gewährleistet. Doch davon hielt Luz del Mar zunächst gar nichts, sie fühlte sich schuldig und glaubte, durch ihre Fragen diese Ängste ausgelöst zu haben. Schließlich musste man die Verwirrte doch für einige Tage zur Untersuchung in ein Sanatorium bringen. Der Facharzt sprach von einem schweren Trauma, das sie in dem aktuellen Zustand nicht in den Griff bekommen könnten. Man könne sie im Moment nur mit Medikamenten beruhigen. Es ginge um außergewöhnlich heftige Verlustängste, die vermutlich durch einen Schock an die Oberfläche gekommen seien, es hätte mit der Tochter zu tun. Genaueres könne er noch nicht beurteilen, das alles sei nur eine Vermutung, auf Grund der Fantastereien, die sie in geistiger Umnachtung deutlich zum Ausdruck brächte. Sie blieb weitere zwei Wochen dort und kam dann zurück ins Pfarrhaus, ihr Zustand hatte sich nicht verbessert. Man riet zu einer permanenten Einweisung.
Die kleine Regina wurde getauft, mit Pomp und weißen Spitzen, einem Festmahl und wenigen aber netten Gästen. Luz liebte auch das Kind. Sie war nun Tante, zweifache Geliebte und begehrte verwehrte Geliebte Karls. Drei Menschen liebten sie also, heiß und innig. Dazu der Pfarrer väterlich und ihre Mutter, die sich mit beiden Händen an Luz festkrallte, wann immer sie ihre Tochter zu sehen bekam.
Luz war beinahe glücklich. Die Sorge um ihre Mutter und deren krankhafte Blockade die Vergangenheit zu lüften, um von ihrem verstorbenen Ehemann zu erzählen, war der Schatten in diesem jugendlich unbeschwerten Glück. Die Unwissenheit begann sich aufzublähen, an manchen Tagen rumorte sie beinahe schmerzhaft in Luz.
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