Sichelland. Christine Boy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Boy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783844236200
Скачать книгу
nicht denke. Ich halte das zumindest für möglich und ich habe großes Vertrauen in dein Feingefühl. Aber da gibt es noch etwas, was mindestens ebenso wichtig ist...“

      „Und was ist das?“

      „Das Protokoll. Oder vielmehr das, was Beema und viele andere unter 'angemessenem höfischen Verhalten' verstehen. Bitte Sara, übertreibe es damit nicht. Lennys wird nicht dulden, dass du in ihrer Gegenwart auf den Knien herum rutschst und ihr das Essen vorschneidest. Ich werde nachher mit ihr reden und sie bitten, dass sie einige Verhaltensweisen akzeptiert, solange andere dabei sind. Schließlich sollst du keinen Ärger bekommen. Aber solange ihr allein seid, halte dich mit solchen Formen der Unterwerfung zurück. Sie mag in euren Augen mit anderen hohen Staatsbesuchern gleichzusetzen sein, aber vergiss nicht, was ich dir über den Grund ihres Besuches gesagt habe.“

      „Nicht gesagt.“ Jetzt musste selbst Sara lächeln. „Aber ich verstehe schon. Und ich bin froh, dass du sie so gut kennst, sonst hätte ich sicher noch mehr Fehler gemacht als es ohnehin der Fall sein wird.“

      Der Heiler seufzte.

      „Wenn es dich tröstet, so sei dir gesagt, dass es mehr als schwierig ist, bei ihr alles richtig zu machen. Vielleicht ist es besser, wenn ich sage, es ist unmöglich. Finde es selbst heraus. Aber auch, wenn meine Worte jetzt nicht gerade ermutigend waren – mach dir keine Sorgen. Ich bin ja auch noch da und eigentlich bin ich ganz zuversichtlich was die nächsten Tage angeht.“

      „Wie lange wird sie denn überhaupt bleiben?“

      Menrir zuckte die Achseln. „Das kann man jetzt noch nicht genau sagen, es hängt von vielen Dingen ab. Es ist sogar möglich, dass du das erst erfährst, wenn sie schon fort ist. Sie wird wohl oft unterwegs sein und ob sie dich auf ihre Ausflüge mitnimmt, kann ich nicht sagen. Wohl eher nicht. Ich will dir jetzt auch nicht zuviel erzählen, das Meiste wird sich ohnehin erst zeigen, wenn sie da ist.“

      „Beema meinte, sie würde gegen Mittag eintreffen.“

      „Das würde ich nicht unterschreiben. Sie kann ebenso gut in der nächsten Stunde ankommen oder auch erst am späten Abend. Lennys reist allein und nur sie bestimmt das Tempo. Wie lange sie braucht, hängt einzig und allein von ihrer Laune ab. Dass ihr überhaupt im Vorfeld von ihrem Besuch erfahren habt, verdankt ihr mehr oder weniger meiner Überredungskunst. Normalerweise legt sie sich nämlich nicht gerne so fest. Aber jetzt versuch noch, ein wenig den Tag zu genießen, bevor es soweit ist. Wir werden uns heute ohnehin noch sehen und manche Fragen werden sich dir erst stellen, wenn du einige Zeit mit ihr verbracht hast.“

      „Wenn sie das überhaupt zulässt. Vielleicht wirft sie mich auch sofort hinaus.“

      Menrir lächelte wieder.

      „Glaub mir, das möchtest du nicht wirklich.“

      Der Vormittag verging und die Sonne wanderte immer höher, doch noch schien sich niemand dem Tempel zu nähern, so sehr die aufgeregten Novizinnen und Vorsteherinnen auch Ausschau hielten. Die Oberin Beema, die sonst die Ruhe selbst war und ihre Untergebenen immer wieder zur Gelassenheit mahnte, lief heute nervös durch die Gänge und spähte ihrerseits verstohlen durch die Fenster, die in Richtung Norden und Westen wiesen.

      Sara versuchte inzwischen, Menrirs Rat zu befolgen und alles auf sich zukommen zu lassen. Sie beobachtete nicht die menschenleere Pfade, die zum Tempel führten und sie beteiligte sich auch nicht an den Spekulationen, die tuschelnd von den anderen Mädchen ausgetauscht wurden. Stattdessen hielt sie sich die meiste Zeit in der Eingangshalle auf, um sogleich zur Stelle zu sein, wenn man sie brauchte. Sie suchte sich eine ruhige Ecke unter der hohen Treppe zur Galerie, setzte sich auf eine alte Truhe im Halbdunkel und versuchte, sich zu entspannen und an gar nichts zu denken. Als das nicht funktionierte, rief sie sich die letzten Lektionen aus Menrirs Unterricht ins Gedächtnis oder zählte die Steine in den Wandmosaiken. Es wurde Nachmittag.

      Menrir war vor einer Weile an ihr vorbeigegangen und nach einem kurzen aufmunternden Lächeln hatte er den Tempel durchs Hauptportal verlassen.

      'Seltsam', dachte Sara. 'Seltsam, dass er gerade jetzt hinausgeht. Will er denn nicht hier sein, wenn sie kommt?'

      In diesem Moment legte sich von hinten eine Hand auf ihre Schulter und Sara fuhr zusammen. Es war der Heiler, der vermutlich durch die Nebenpforte zurückgekommen war.

      „Sara, komm bitte mit.“

      „Aber was ist wenn....?“

      „Keine Sorge, du bist rechtzeitig zurück. Bitte komm jetzt, es dauert nicht lange.“ Menrir lächelte immer noch vielsagend, als würde er einem Kind gleich ein besonders großes Spielzeug schenken und Sara hoffte inständig, dass sie wirklich nicht lange fortbleiben würde und dass die Botschafterin nicht ausgerechnet jetzt eintreffen würde. Sie folgte dem Heiler, der nun wieder den Gang in Richtung Kräuterküche einschlug.

      „Wo gehen wir hin?“

      „Nur kurz nach draußen.“

      „Aber... Menrir, ich glaube nicht, dass ich gerade jetzt hinaus...“

      „Du musst dir wirklich keine Sorgen machen, Sara, verlass dich auf mich. Hier entlang...“

      Im Garten herrschte dieselbe Stille wie am Morgen, niemand hatte an diesem Tag vor, im Beet herumzustochern, während drinnen ein Ehrengast empfangen wurde. Der Heiler zog Sara ein Stück weiter, bis die Tempelmauer in einen Turm überging und sie von den Kräuterbeeten aus nicht mehr zu sehen waren. Doch jetzt waren sie nicht mehr allein.

      Hier, hinter dem Ostturm des Gebäudes, lehnte eine Frau an der Mauer und musterte Sara mit ausdruckslosem Gesicht. Sie trug schwarze lederne Hosen, die in hohen Schnürstiefeln steckten, ein dazu passendes miederartiges Oberteil und einen glatt fallenden schwarzen Umhang, der irgendetwas verdeckte, das an ihrem Gürtel baumelte und dessen Spitze nur gefährlich silbern hervorblitzte.

      Die Augen der Unbekannten waren ebenso schwarz, wie die zu einem straffen Zopf gebundenen langen Haare, doch einen Moment lang schienen sie seltsam zu funkeln, um dann sofort wieder zu erlöschen. Sara zweifelte keinen Moment daran, wem sie gegenüberstand.

      Natürlich hatte sie keine Ahnung gehabt, was für ein Mensch die Botschafterin aus Cycalas war, wie alt sie war oder wie sie aussah. Sie wusste sehr wohl, dass die eigentümliche schwarze Augenfarbe auf der Sichelinsel in einigen Regionen verbreitet war, das hatte sie schon in einer der Tempellehren gelesen. Auch die robuste Kleidung hätte die Novizin eigentlich nicht überraschen dürfen, war es doch bekannt, dass beinahe alle Cycala, die nach Süden reisten, ausgebildete Krieger waren. Kein schutzloser Händler oder Gelehrte hätte sich alleine ins Mittelland gewagt, dazu war die Vergangenheit wohl doch noch zu lebendig.

      Sara wusste selbst nicht, womit sie gerechnet hatte, aber sicher war eines: nicht damit. Die junge Frau war wohl nur einige Jahre älter als sie selbst und sah eher so aus als würde sie am liebsten jedem die Kehle aufschlitzen, der dafür verantwortlich war, dass sie sich gleich mit Menschen wie Sara, Beema oder den anderen Tempelbewohnern herumärgern musste.

      Bevor die Novizin in irgendeiner Form auf diese unvorbereitete Begegnung reagieren konnte, kam Menrir ihr zuvor.

      „Lennys, das ist Sara.“ Er erklärte nicht, weshalb er Sara hierher gebracht hatte und die Cycala fragte auch nicht. Sie zeigte überhaupt keine Reaktion, sondern sah ihre neue Dienerin nur weiter unverwandt an. Der Heiler wartete einen kurzen Augenblick, dann fuhr er fort.

      „Sara, wir halten es für besser, den Empfang in der Halle auf das Nötigste zu verkürzen. Vielleicht könntest du hinaufgehen in das Zimmer, das für Lennys ausgesucht wurde? Ich werde Beema erklären, dass es der Wunsch der Botschafterin war, dass du dort wartest. Wir werden dann gleich nachkommen.“

      Sara nickte stumm, doch dann besann sie sich ihrer Pflicht und senkte den Kopf in Richtung Lennys. „Wie ihr wünscht, Herrin.“

      Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Lennys die Augen verdrehte.

      „Du kannst gehen.“ sagte sie dann. Ihre Stimme klang kalt und obwohl sie sehr leise gesprochen