Politische Rhetorik der Gewalt. Dr. Detlef Grieswelle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dr. Detlef Grieswelle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783844281552
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und für das Publikum einen großen Unterhaltungswert besitzt. Den Gegner durch den Schmutz zu ziehen, ihn zu schmähen, zu denunzieren, das alles ist allerdings nicht erst seit Existenz moderner Massenmedien Realität, politischer Unflat hat vielmehr eine lange Tradition, man denke nur an die „Pasquinaden“ und an die „Mazarinaden“ im 16. und 17. Jahrhundert, wo die Beleidigung in der Politik einen gewissen Höhepunkt erreichte und zu einer hohen Kunst entwickelt wurde.

      Da in der Bundesrepublik Deutschland eine aggressive Polarisierung von der Bevölkerung eher abgelehnt wird, ist hiermit eine Grenze gezogen gegen sprachliche Konfliktverschärfungsformen und erst recht gegen gezielte Angriffe auf die Würde des politischen Gegners. Empirische Forschungen haben denn auch bestätigt, dass im internationalen Vergleich die politische Auseinandersetzung sowohl im Parlament als auch außerhalb nicht von außergewöhnlicher Schärfe gekennzeichnet ist. Britische Sprachwissenschaftler konstatierten hierzulande eher Scheu vor rhetorischer Akzentuierung und eine Ablehnung konfrontativer Umgangsformen, das zeige sich besonders in den Bundestagsdebatten im Gegensatz zum britischen Unterhaus. Vielleicht ist eine mittlere Lösung die beste: Leidenschaftliche Kontroversen mit voller Hingabe und scharfen Meinungsverschiedenheiten einerseits, aber auch Vermeidung von stillosem Streit, geistlosem Machtinteresse, sklavischer Parteilichkeit und phraseologischer Propaganda andererseits; angewandt auf das Parlament, muss man sich abgrenzen von bloßem Schlagabtausch, bezüglich der Wahlkämpfe von Schlammschlachten und Verunglimpfungen75. Allerdings ist die parlamentarische Debatte keineswegs normativ zu überfrachten76, indem man sie vor allem als Veranstaltung zur Suche vernünftiger Lösungen betrachtet: Die Debatte hat längst keine sachliche Überzeugungsfunktion mehr, wie sie in Ausschüssen und Fraktionen von großer Bedeutung ist; das Plenum steht vor allem für deklaratorische Debatten zur Verfügung, die der Veröffentlichung und Rechtfertigung von im Wesentlichen parteipolitisch geprägten Positionen dienen. Debatten haben primär nicht die Funktion der Suche nach Entscheidungen, sondern die ihrer Legitimierung.

      Die weitgehende Einhaltung der Normen eines maßvollen Umgangs miteinander erlaubt eine fruchtbare Nutzung der Gegensätze. Die Gemeinwesen bedürfen immer auch des sozialen Wandels und der Innovation, und nur über soziale Konflikte und ihren produktiven Austrag sind wesentliche Probleme zu lösen. Der Gegner im politischen Kampf fordert durch Widerspruch heraus, zwingt, fremde Überlegungen einzubeziehen, verlangt Beweglichkeit und schöpferische Kraft: Was Antoine des Saint-Exupéry77 als anthropologische Grundkonstante formuliert, gilt auch für den politischen Kampf: Wachsen durch den Gegner, der einem alles abverlangt, um überlegen zu werden, d. h. – in unserem Fall – um Mehrheiten zu gewinnen.

      Entscheidungen in der parlamentarischen Demokratie gründen ihren Verbindlichkeits-anspruch letztlich auf Verfahren, nicht auf inhaltliche Richtigkeit; ansonsten gäbe es für eine unterlegene Minderheit keinen Grund, sich zu fügen. Dieser Grundkonsens kann in Gefahr geraten, wenn soziale Bewegungen, Protestgruppen etc. Misstrauen gegen etablierte Parteien und vor allem gegen Institutionen und Verfahren der parlamentarischen Demokratie hegen und für ihre Alternativprogrammatik die Möglichkeit plausibler Infragestellung durch den politischen Gegner bestreiten. Gefahren für eine vernünftige Konfliktaustragung drohen nicht durch den Typus der Volkspartei, der sowohl innerparteilich zur Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit zwingt, um die diversen Meinungen und Interessen zu bündeln, als auch nach außerhalb den Diskurs offenhalten muss, z. B. um Koalitionen zu bilden, in staatlichen Organen Mehrheiten zu finden und auf die politische Öffentlichkeit in aller Breite erfolgreich einzuwirken. Hingegen stellen kleinere Gruppierungen wie Alternativ- und Protestbewegungen gesonderte Provinzen politischer Sinnstiftung und Kommunikation dar, und solche Segmente verfolgen eher geschlossene, ideologisierte Politikangebote und sind nach außen viel weniger kommunikations- oder gar kompromissfähig. Es entwickeln sich hier milieuspezifische Selbstverständlichkeiten, Denk- und Sprechweisen, und es entfalten sich häufig Strukturen mit beträchtlichem Exklusivitätsanspruch. Nicht selten kommt es zu elitären Anmaßungen, das höhere Bewusstsein zu haben, das leidenschaftlichere Engagement zu zeigen, allein im Besitz der richtigen politischen Agenden und der richtigen Diagnosen und Problemlösungen zu sein. Bei derartigem Wahrheitsanspruch wird konsequenterweise nach Freund und Feind geschieden. Es entstehen im Selbstverständnis dieser Minoritäten Grundkonflikte, die kaum befriedbar, Wertkonflikte, die nur schwer kompromissfähig sind. Wenn es angeblich um Existenzbedrohungen geht wie in Bereichen von Friede und Umwelt und die Situation als Not- und Ausnahmezustand empfunden wird, verlieren – zumindest für einzelne Mitglieder solcher radikalen Gruppierungen – fundamentale Bindungen ihre Kraft; politisch für allgemeingültig erklärte Wahrheitsansprüche sprengen dann den politischen Grundkonsens, die Spielregeln der Demokratie und den Friedensrahmen der Gesetze. Allerdings wird zumeist nur ziviler Ungehorsam in Form eines kleinen Widerstandsrechts und einer begrenzten Rechtsverletzung eingefordert. Schwärmerisches Moralisieren, namentlich bei Kontroversen über Friede und Ökologie, birgt immer die Gefahr in sich, umzuschlagen von scharfem Meinungskampf und aggressivem Protest sowie begrenzter Regelverletzung in eine grundlegende Legitimitätsaufkündigung durch die Tat, letztlich in Gewalt und Terror.

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