Politische Rhetorik der Gewalt. Dr. Detlef Grieswelle. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Dr. Detlef Grieswelle
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Социология
Год издания: 0
isbn: 9783844281552
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ihrer Selbstüberschätzung, ihres Wahns, brutal Menschen opfern zu dürfen für eine angeblich gute Sache;

       Bekämpfung aller Formen von Extremismus, sowohl von rechts wie von links, denn beiden Extremismen ist gemeinsam, dass sie wesentliche Prinzipien des demokratischen Verfassungsstaates in Frage stellen;

       Ablehnung einer öffentlichen Diskussion über die Unterscheidung zwischen Gewalt gegen Sachen und Gewalt gegen Personen; keine Nachsicht gegenüber jenen, die sich anmaßen, für sich und ihre Gewalt rechtsfreie Räume schaffen zu wollen;

       Bekämpfung des Extremismus- und Gewaltvorwurfs gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat, der strukturelle Gewalt ausübe, gegen den ein Widerstandsrecht gegeben sei, da er „politische Gefangene“ halte und diese zu Opfern staatlicher Rache mache etc. „Dieser Staat brauchte und braucht wieder fast nichts so sehnsüchtig wie den 'Terror', den Schrecken. Er braucht ihn, um von seiner eigenen tagtäglichen Gewalt abzulenken“ (Jutta Ditfurth)46;

       Vermeidung einer öffentlichen Diskussion (z. B. über Ausländer- und Asylpolitik), die Extremismus geradezu herausfordert und Extremisten in ihrem Denken bestärkt und dazu beiträgt, dass extremistische Personen und Gruppen sich nicht isoliert fühlen; zu denken ist hier vor allem an unsensible und hassfördernde Semantik, beispielsweise in Form pauschalisierender, verunglimpfender und dramatisierender Begriffe wie Asylanten, Wirtschaftsasylanten, Asyltouristen, Scheinasylanten, Asylschwemme, volles Boot47; weiterhin an unangemessene Euphemismen für moderne Gewalt wie beispielsweise Krawall, Ausschreitungen; an Instrumentalisierungen von vorhandenen Gewaltakten (z. B. gegen Asylbewerber und Ausländer schlechthin) für politische Forderungen (z. B. eine Reform des Asylrechts), aber auch an moralisierendes, bisweilen geradezu gesinnungsethisches Hintertreiben von notwendigen Reformen (z. B. im Asylrecht), was einen vernünftigen Diskurs unter Demokraten erschwert und zur Eindämmung von Extremismus und Gewalt nicht beiträgt;

       bei aller Differenzierung nach der Identifikation mit dem Extremismus (zuschauender Biedermann mit gewissem Teil-Einverständnis gegenüber extremistischen Zielen und Aktionen, Protestmitglieder bzw. –wähler, mehr oder weniger zustimmende Sympathisanten bzw. Gruppenmitglieder, überzeugte Aktivisten, ideologische Brandstifter, Gewalttäter mit oder ohne ausgeprägte Ideologie) keine Relativierung der Gefahren extremistischen Denkens, sondern eindeutige Verurteilung des Extremismus und Werbung für alle grundlegenden Prinzipien rechtsstaatlich-demokratischer Verfassung;

       Mut zur Sicht des Extremismusphänomens im Vergleich zu anderen westlichen Ländern, um Fehleinschätzungen zu vermeiden und Über- und Untertreibungen zu begegnen, wie sie ja im Anschluss an Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus und Kommunismus nicht selten gegeben sind;

       Aufklärung über wirkliche soziale Ursachen für Verunsicherungen und Ängste48 (wie z. B. Arbeitslosigkeit, Transformation im Osten Deutschlands, Zuwanderungen) und entschiedene Stellungnahme gegen falsche Sündenbockprojektionen;

       ernsthafte Debatte über Rückzugstendenzen des Staates aus verschiedenen Verantwortungsbereichen als Ursache für Extremismus (Sozialstaat, innere Sicherheit, soziale Fürsorge, Jugendpolitik etc.);

       bei aller Anerkennung sozialer Bedingungen für Extremismus (Arbeitslosigkeit und Armut, Bedrohtfühlen durch Zuwanderungen, Erziehungsdefizite in Familie und Schule, mangelhafte Vermittlung kultureller Standards und sozialer Tugenden wie Selbstdisziplin, Anerkennung von Regeln, Rücksichtnahme, Hilfsbereitschaft im Gegensatz zu Ichbezogenheit und rücksichtslosem Durchsetzen) keine Akzeptanz dieser Faktoren als hinreichende Begründungen für Extremismus und Gewalt und deshalb keine Exkulpierung von Tätern, schon gar nicht eine größere Anteilnahme am Schicksal von Tätern als am Leiden der Opfer;

       Herausstellen der Grenzen politischer Einflussnahme, weil die Beseitigung sozialer Mängel (wie Arbeitslosigkeit, geringe Freizeitangebote, zu wenig gute Lehrer und Sozialarbeiter usw.) häufig nicht ausreicht für eine erfolgreiche Bekämpfung des Extremismus; weil weiterhin ein ganzes Bündel von Faktoren als Ursachenkomplex für Extremismus sich politischer und gesellschaftlicher Steuerung weitgehend entzieht und weil last not least die Extremisten und Gewalttäter kaum noch ansprechbar sind, wenn bei ihnen eine Erosion moralischer Werte stattgefunden hat und tiefere Schichten der Humanität und des zivilen Verhaltens zerstört sind; Gewalt wird ja heute häufig proklamiert und ausgeübt ohne große Begründung, ohne besondere Ziele, sie genügt sich weitgehend selbst;

       Forderung einer Begrenzung massenmedialer Gewaltdarstellung, weil diese verstärkend auf Gewaltbereitschaft wirken kann; bewegte Bilder entfalten oft ungleich emotionalere Kraft als Worte;

       Appell an die Massenmedien, speziell das Fernsehen, sich bei der Präsentation extremistischer Gewalt zurückzuhalten, da öffentliche Aufmerksamkeit Täter, auch potenzielle Aktivisten, bestärkt; Publizität illegaler Gewalt ist vielfach geradezu eine Droge für Extremisten; Vorsicht bei Auftritten von Extremistenführern in den Medien, die Angebote zur Selbstdarstellung nutzen, indem sie sich als unschuldig Verfolgte darstellen und in den Augen von Sympathisanten eine Art Legitimation erfahren; Gefahr einer auf die Zuschauer negativ wirkenden Behandlung von Extremisten durch Journalisten in Form reflexartiger Abgrenzung durch Hass, Empörung, Feindbilder etc., was dem Weltbild des Extremismus entspricht, nicht aber einer differenzierten Auseinandersetzung demokratischer Kultur;

       Demonstration demokratischer Mehrheit in Form von Aufrufen, Werbekampagnen, Kundgebungen, Lichterketten etc. als sichtbare Gegenwelt zu extremistischen Gruppierungen, auch wenn dies mehr zur Geschlossenheit und Selbstvergewisserung überzeugter Demokraten als zur Abschreckung von Extremisten dienen sollte;

       Vermeidung einer pauschalen Zusammenfassung von sehr unterschiedlichen Phänomenen unter dem Extremismus- und Fundamentalismusbegriff, die hier nicht hingehören; eine inflationäre Verwendung des Extremismusbegriffs führt zur Entgrenzung des Phänomens und Ununterscheidbarkeit von Bereichen; die Etikettierung als Extremismus wird zur Totschlagargumentation und damit zu einer stumpfen Waffe; gute Beispiele hierfür sind der sog. Extremismus der bürgerlichen Mitte49, wie er von eher linken Gruppierungen erhoben wurde, aber auch ein angeblich linker Extremismus, wie er vielfach eher von rechts demokratischen Mitgliedern von Protestbewegungen unterstellt wurde; eine solche Stigmatisierung politischer Gegner erfolgte z. B. im Herbst 1977 im Anschluss an den „Nachruf“ des Göttinger Mescaleros und dessen Aussage, er könne eine „klammheimliche Freude“ über den „Abschuss von Buback“ nicht verhehlen;

       bei aller Abgrenzung gegenüber dem Extremismus Offenhalten von Möglichkeiten, um mit Extremisten und insbesondere Extremismusgefährdeten zu sprechen; Signalisierung von Gesprächsbereitschaft auch an verurteilte Gewalttäter, insbesondere an jene, die der Gewalt und dem Terrorismus abschwören50.

      Es kommt darauf an, unfaire rhetorische Methoden der Extremisten zu erkennen und sie wirkungslos zu machen, vor allem gegenüber Dritten, die nicht den extremistischen Gruppen angehören bzw. deren Positionen nur eingeschränkt akzeptieren. „Man muss erkennen, wann und wie es sich um Unterstellungen, Verdrehungen, Ideologisierungen, Emotionalisierungen, Moralisierungen, Verdächtigungen und Ausweichmethoden oder auch schlichte Lügen handelt. Dabei darf man nicht dem Fehlschluss unterliegen, dass die Drittgruppe diese unfaire Dialektik gleichermaßen erkennt. Im Gegenteil: Man muss der Drittgruppe die Erkenntnis anbieten bzw. erleichtern. Das ist schon darum unerlässlich, weil damit die Glaubwürdigkeit auch der 'dialektisch geschulten' Agitatoren in Frage gestellt wird und die Sympathien auf die eigene Seite gezogen werden“51. Da Extremisten rationaler Argumentation kaum zugänglich sind, gilt es, die Provokation offen anzunehmen, in konfrontativer Rhetorik selbst anzugreifen, die eigenen moralischen und rechtlichen Grundsätze klar auszusprechen und totalitäres Denken und Verfassungsfeindschaft eindeutig zu verurteilen, sowie die unfairen Kampfmittel der Extremisten zu entlarven52. Dass Extremismus nicht allein mit Verteufelung zu bekämpfen ist, hat Jean Baudrillard im Falle Le Pens zum Ausdruck53 gebracht. Es bedarf immer eines breiten Arsenals rhetorischer Strategien.

      Demokratie muss also wehrhaft sein, sie fordert von den Demokraten, sich ihren Feinden entgegenzustellen. Freiheit im Sinne unserer demokratischen Verfassung und Unfreiheit sind klar zu unterscheiden, Bedrohung der Demokratie ist