In den Vereinigten Staaten ist 2009 das Buch „Nimby Wars“ erschienen; Nimby – das ist die Abkürzung für „not in my backyard“, d. h. „nicht in meinem Hinterhof“, nicht in meinem Vorgarten, nicht in meiner Straße, meiner Stadt. Man ist also z. B. für die Windkraft, für den Ausbau der Elektrifizierung, für eine Umgehungsstraße, für Geothermie oder Pumpspeicherkraftwerke, für die unterirdische Speicherung von Kohlendioxid, für die Endlagerung des Atommülls, für den Ausbau einer S-Bahn – aber bitte nicht bei mir, sondern beim Nachbarn, in anderen Orten, in anderen Städten. Selbst Umwelt- und Klimaschutz werden häufig zweitrangig, wenn man sich von Veränderungen negativ betroffen fühlt, sprich: Gar bei grüner Wertorientierung dominieren dann häufig Eigennutz und Egoismus. Trotzdem ist der sprachliche Habitus häufig sehr aggressiv und gewaltbesetzt.
In Demokratien geht es nicht einfach nur um Sachlichkeit von Politik, um Rationalität von Strategien, um empirisch fundierte, Objektivität beanspruchende Auffassungen und Handlungen, um plausible Begründungen in Argumentationen, sondern auch um Emotionen wie beispielsweise Leidenschaft, Empathie, Empörung, Angst. Gefühle motivieren Handlungen, unterliegen Wertvorstellungen und prägen Situationsdeutungen. Entsprechend zielt die politische Rhetorik nicht nur auf rationale Auseinandersetzung über Interessen, Normen und Werte, auf kognitive Konzepte der Bürger, sondern auch auf Emotionen; Herz und Verstand gehören eng zusammen im Streit über politische Gemeinschaft und Gemeinwohl; überzeugend sind seit der antiken Rhetorik solche Argumente, die sachlich überzeugen, aber auch die Menschen emotional berühren. Oft sind es Gefühle, die einem kognitiven Inhalt Bedeutsamkeit verleihen. Da aber Emotionen, so z. B. Patriotismus, Liebe zur Heimat, zivilreligiöse Leidenschaft, Opferbereitschaft für das Gemeinwesen etc., nicht selten zu gefährlichen Übertreibungen und extrem negativen Formen neigen, müssen sie dort ihre Grenze finden, wo sie zu Einbrüchen des Irrationalen führen, vernünftige Argumentation eliminieren, individuelle Freiheit und Menschenrechte bedrohen und im Medium der Gewaltsprache zu Bevormundungen, Zwängen und Unterdrückungen führen. Die Respektierung solcher Grenzen und die Bekämpfung und Ächtung von verbaler Gewalt gehören zu den Essentials freiheitlicher Ordnung.
II. Phänomene rhetorischer Gewalt in demokratischer Ordnung
1. Extremisierung
Der Begriff des politischen Extremismus44 ist zu verstehen als Antithese zum demokratischen Verfassungsstaat und seinen fundamentalen Werten und Spielregeln sowie als umfassende Bezeichnung antidemokratischer Gesinnung und Bestrebung. Bei allen Unterschieden der verschiedenen Extremismen in Menschen- und Gesellschaftsbildern, programmatischen Einzelfragen sowie strategisch-taktischen Verhaltensweisen zeigen sich jedoch vielerlei Gemeinsamkeiten. Extremistisches Denken offenbart sich zunächst in der Ablehnung demokratischer Grundordnung und ihrer wesentlichen Elemente wie Gewaltenteilung, Mehrheits- und Repräsentationsprinzip, Anerkennung der fundamentalen Gleichheit aller Menschen, Schutz der Menschen- und Freiheitsrechte der Bürger, Rechtsstaatlichkeit und Gewaltmonopol des Staates. Der Anspruch, die alleinige Wahrheit zu besitzen und damit das Recht, als richtig erkannte Ziele kompromisslos zu verfolgen, verträgt sich nicht mit politischem und gesellschaftlichem Pluralismus der Überzeugungen mehrerer politischer Parteien und vieler einflussnehmender politischer Gruppierungen. Extremistisches Denken zeichnet sich zumeist aus durch einige ideologische Grundvorstellungen, denen zur Weltinterpretation und Problemlösung große Bedeutung beigemessen wird.
Die wesentlichen Merkmale für Extremismus sind folgende:
Anspruch von Weltanschauungen und Wertvorstellungen, als allein wahr zu gelten; grundlegende normative Meinungen, deren Wahrheitsanspruch als unumstößlich festgestellt wird; Dogmatisierung und Indoktrination als zentrale Kennzeichen; keine Zulassung von Widerspruch und Diskurs;
Verabsolutierung der Zugehörigkeit zu einer geglaubten Gemeinschaft eines Volkes, einer Nation, einer Rasse, Klasse, Ethnie, einer Religionsgruppe; Vereindeutigung der gesellschaftlichen Zugehörigkeit zugunsten einer einzelnen Gemeinschaft;
dichotome, polarisierte Weltanschauung, klare Differenzierung zwischen guter Eigen- und böser Fremdgruppe; große moralische Überlegenheit der eigenen Lehre und Gemeinschaft; Idee des Auserwähltseins; keine Zulassung von Kompromissen;
Auseinandersetzung mit Gegnern in Freund-Feind-Begriffen; Bedrohung Andersdenkender mit radikaler Ablehnung, Diskriminierung, Ausgrenzung, mit Hass, zum Teil auch Gewalt, bisweilen sogar mit Vernichtung und Tod;
aggressiver Kampf für die eigenen „hehren“ Ziele und die eigene Sendung; nicht selten Vorstellung eines Kampfes auf Leben und Tod, Bereitschaft zu Opfern, um angebliche Angriffe abzuwehren und Verschwörungen wirksam zu begegnen;
Enthusiasmus für geradezu „heilige“ Zukunftsaufgaben, der „befreiten Nation“, der „Herrschaft der überlegenen Rasse“, der „klassenlosen Gesellschaft“, der „Umma“, eines Kalifats etc.
Die Stereotypen der Auseinandersetzung mit pluralistisch-demokratischen Systemen beziehen sich vor allem auf die Ablehnung parlamentarischer Prozesse, die den „Volkswillen“ verfälschten, auf „bürgerliche“ Demokraten, die im Interessenwirrwarr verantwortungsloser Repräsentanten das Gemeinwohl mit Füßen träten, auf Massenmedien, die die öffentliche Meinung manipulierten, auf eine Demokratie als Ausgeburt des Lasters, des Sittenverfalls, der kulturellen Dekadenz.
Allerdings bekennen sich extremistische Personen und Organisationen in demokratischer Ordnung, so sie große Zustimmung erfährt unter der Bevölkerung, in der Regel nicht offen zu ihren Einstellungen und wahren Absichten, sie verstecken vielmehr ihre Ziele hinter plakativen Parolen für die demokratische Verfassung und passen ihre Diktion demokratischen Formen und Formeln an. Insbesondere ist die offizielle Programmatik oft von politischer Mimikry geprägt, und vielfach tarnt man sich durch Mitwirkung und Einflussnahme in demokratischen Organisationen und Bewegungen.
Der Unkultur des politischen Extremismus zur Zerstörung des Grundkonsenses haben Demokraten mit einer Umgangs- und Kommunikationskultur zu begegnen, die abstellt auf die Bestimmtheit der eigenen Position, die kategorische Ablehnung extremistischen Denkens und einen klugen Umgang mit den Feinden der Demokratie. Welche Elemente sollten zu einer solchen Rhetorikkultur wehrhafter Demokraten hinzugehören? Hier seien einige wichtige Grundsätze genannt:
Kampf der Politik und großer gesellschaftlicher Institutionen und Organisationen gegen Missachtung, Verhöhnung und Zerstörung von Elementarwerten des Rechtsstaates und der Demokratie;
Verteidigung des grundsätzlich universellen Geltungsanspruchs der allgemeinen Grund- und Menschenrechte; Argumentation gegen falsche Demokratieverständnisse45;
Pflege lebendiger Geschichtserinnerung, insbesondere an Nationalsozialismus und Kommunismus in Deutschland, mit dem Ziel, jedwedem Extremismus Einhalt zu gebieten und die historisch begründete Verpflichtung zu vermitteln, den Schutz der Menschenwürde und der Menschenrechte zu gewährleisten;
Entlarvung demokratischer Mimikry extremer Gruppen in öffentlichem Verhalten und die Enttarnung extremistischen Handelns im Verborgenen;
Zurückweisung angeblicher edler Motive und Gedanken der Extremisten (Befreiung von Unterdrückung, Fundamentaldemokratisierung