Insel der Vergänglichkeit. George Tenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George Tenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750279124
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und meine Tochter hatte sich in den Westen abgesetzt.«

      »Das ist bitter.«

      »Ja. Das war es.«

      »Das Suchen ging von vorne los«, sagte Larsson.

      »Ja, denn es dauerte auch einige Monate, bis sie wieder Kontakt zu Selina aufnahm. Selina wiederum verständigte mich, dass der Kontakt zu Suzanne wieder bestünde. Doch da war sie schon verheiratet. Zwei Jahre später wurde Lilian, ihre Tochter, geboren.«

      »Da hatte sie es eilig«, sagte Larsson. »Besser wäre vielleicht gewesen, sie hätte sich erst ein wenig in der Welt umgeschaut.«

      »Suzanne hat einen sehr eigenen Charakter. Was sie unter umschauen verstehen, Herr Larsson, das hat sie sicher schon hier gemacht. Sie war relativ frühreif. Ich hatte in der Hinsicht schon einige Probleme mit ihr.«

      »Der Baum ist nicht mehr verantwortlich für die Frucht, ist sie erst einmal abgefallen« sagte Larsson.

      »Nein. Und dennoch hätte ich diese kleinen Probleme liebend gern auf mich genommen, wäre sie dageblieben.«

      »Wie haben Sie den Kontakt hergestellt?«

      »Ich fuhr nach Berlin. Ihre Freundin hatte mir erzählt, dass sie an diesem Tag zusammen zum Bummeln ins Europa Center gehen würden.«

      »Ein relativ kleines Einkaufszentrum«, stellte Larsson fest.

      »Es liegt genau neben der Gedächtniskirche am Kurfürstendamm. Es ist bestimmt einer der quirligsten Einkaufszonen Berlins.«

      »Es hat sie beeindruckt.«

      »Sehr. Ich sah, wie die beiden Mädels sich vor dem Weltkugelbrunnen am Breitscheidplatz trafen.«

      *

      Sie hatten schon sämtliche Modegeschäfte in der Umgebung abgeklappert, das Zara am Anfang der Tauentzienstraße, waren über die Rankestraße hinweggegangen bis zum Levis Store, um nach Hosen zu sehen, hatten die Tauentzienstraße überquert. Am Breitscheidplatz blieben sie vor dem Weltkugelbrunnen einen Augenblick stehen. Dann gingen sie langsam die Treppe hinunter in Richtung Europacenter.

      Rosa Makowski stand vor der Treppe und schaute den beiden Frauen entgegen. Am rechten Steinlauf war ein riesiges Krokodil, dessen Kopf ihr entgegenschaute. Hoffentlich ist das kein schlechtes Omen, dachte sie. Ihr Herz klopfte, sie fürchtete, dass Suzanne nicht mit ihr sprechen würde.

      Kurz vor dem letzten Treppenabsatz blieben die Frauen stehen. Suzanne sah ihre Mutter an dem schmalen schmiedeeisernen Zaun sitzen, der zum Abschluss vor dem Café im Untergeschoss zur Sicherung stand.

      »Mama, was machst du denn hier!«, rief Suzanne. Ihre Freundin Selina war stehen geblieben und schaute, wie sich Mutter und Tochter umarmten.

      »Ich bin gekommen, um dir zu sagen, wie unendlich leid es mir tut, dass du weggegangen bist. Und vor allem, wie du erfahren hast, was in unserer Familie schiefläuft.«

      Selina kam hinzu. Sie begrüßte Rosa Makowski. »Ich glaube, ihr beide habt euch viel zu erzählen.«

      Suzanne ließ ihre Mutter kurz los, und die beiden Frauen gaben sich die Hand.

      »Danke, Selina. Vielen herzlichen Dank. »Ja, wir haben uns sehr viel zu erzählen. Und ich glaube, wir dürfen die Gemeinsamkeiten, die wir haben, nicht einfach über Bord werfen, ganz gleich, welche Wurzeln ihnen zugrunde liegen.«

      »Du bist mir schon eine«, sagte Suzanne und schüttelte den Kopf. Sie lachte. »Lässt mich ohne Vorbereitung in die Falle laufen.«

      Selina verabschiedete sich und ging die Treppe zum Weltkugelbrunnen wieder hoch. Sie drehte sich noch einmal um und winkte kurz. Doch Suzanne und ihre Mutter nahmen das gar nicht mehr wahr.

      Das schwarze Gebäude mit der Saturn-Werbung beherbergte verschiedene Geschäfte. Doch die beiden Frauen liefen durch die Gänge an den Geschäften vorbei, ohne sich an den Auslagen zu erfreuen. Zu sehr waren sie miteinander beschäftigt. Vorbei ging es am Modelabel Soccx und Tchibo. Plötzlich standen sie am Ausgang.

      »Ich hab eine Idee«, sagte Suzanne.

      »Wir sollten uns irgendwo eine Ecke suchen, in der wir uns setzen und in Ruhe unterhalten können«, sagte Rosa.

      »Genau daran habe ich auch eben gedacht. Du hast doch sicher noch nichts gegessen.«

      »Nein.«

      »Eigentlich hatte ich vor, mit dir irgendwo essen zu gehen. Es kommt nicht so oft vor, dass ich allein durch die Gegend laufen kann«, sagte Suzanne. »Gleich gegenüber ist Mings Garden, ein tolles China-Restaurant. Ich kenne es von meiner Zeit, bevor es Muzafer Beganovic gab.«

      Die beiden Frauen überquerten die Tauentzienstraße. Sie liefen direkt auf die Ecke zur Marburger Straße zu, an der sich das Restaurant befand.

      »Du redest von deinem Mann?«

      »Ja. Und ich weiß, was du sagen willst.«

      Suzanne kannte ihre Mutter genau und wusste in diesem Augenblick auch, was sie bedrückte.

      »Muzafer Beganovic. Ist es das?«

      Rosa Makowski nickte.

      Inzwischen waren sie an Mings Garden angekommen.

      »Sieht sehr gut aus« sagte Rosa und senkte ihren Blick in die Speisekarte, die sorgfältig unter Glas vor dem Eingang angebracht war. »Teuer zumindest.«

      »Mit dem teuer hält sich das in Grenzen, Mama. Mings Garden ist eines der gehobenen China-Restaurants in Berlin. Und da sind sie ihrem Ruf etwas schuldig.«

      Draußen wallte der Verkehr.

      »Eigentlich wollte ich hören, wie es dir nach deinem Weggang von uns geht. Aber zuerst will ich dir sagen, dass ich sehr froh bin, dass du dich mit mir triffst.«

      »Ich bin auch froh, Mama.«

      Sie setzten sich an einen Vierertisch. Das Restaurant war so kurz nach der Öffnungszeit um zwölf erst mäßig besetzt. Der Kellner kam und gab beiden eine Karte.

      »Liebst du ihn?«, fragte Rosa Makowski, als sie wieder allein waren.

      »Muzafer Beganovic?«

      Suzanne nickte.

      »Sonst hätte ich ihn kaum geheiratet. Obwohl es mit ihm nicht immer einfach ist.«

      »Und er, liebt er dich?«

      »Auf seine Weise schon. Aber lass uns erst einmal etwas bestellen, sonst verhungern wir noch.«

      »Was hältst du von Rindfleisch mit Morcheln und Spargel an Reis?«, fragte Rosa Makowski. »Ich lade dich dazu ein.«

      »Das klingt richtig gut. Und ich weiß, dass es hier sehr gut schmecken wird.«

      »Dein Vater lässt dich grüßen. Es tut ihm unendlich leid, was passiert ist. Er hat es sicher nicht so gemeint.«

      »Du musst es nicht herabspielen, Mama. Er hat es so gemeint. Es wäre ihm lieber gewesen, ich wäre gestorben, und Helga wäre noch am Leben. Mir wäre übrigens das auch lieber gewesen.«

      »Suzanne.«

      Der Kellner kam wieder zum Tisch, und Rosa Makowski gab die Bestellung auf.

      »Was möchtest du dazu trinken, mein Kind?«

      »Am liebsten ein kleines Bier.«

      Der Kellner wiederholte die Bestellung und fragte: »Und Sie?«

      »Für mich bitte auch ein Bier.«

      Als der Kellner gegangen war, sagte Rosa: »Ich will mich nicht mit dir streiten, Suzanne, denn ich bin froh, dass wir uns getroffen haben. Dennoch möchte ich sagen, dass dein Vater euch immer gleich behandelt hat. Ihr seid beide seine Töchter. Und sicher gab es ab und zu eine Ausnahme, dann aber für beide Töchter.«

      Suzanne griff über den Tisch nach der Hand ihrer Mutter.