Insel der Vergänglichkeit. George Tenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George Tenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750279124
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Kurdirektor und eine Freundin von ihrer Mutter gebeten, einen Kontakt herzustellen. Wir trafen uns das erste Mal 2002 in Berlin Weißensee zum Essen bei einem Italiener und später einige Male in ihrer Wohnung. Einmal hat sie mich auch besucht, als ich gerade in einer Pension auf einem Pferdehof übergangsmäßig gelebt habe. Daran erinnere ich mich allerdings nicht besonders gern.«

      »Warum?«

      »Ihr damaliger Lebensgefährte setzte mich unter Druck. Ich sollte für die Anschaffung eines Autos bürgen.«

      »Und das haben Sie?«

      »Ja. Jede Gefälligkeit rächt sich.« Er erläuterte der Kommissarin, wie sich sein Engagement zusammensetzte.

      »Wann haben Sie Ihre Tochter das letzte Mal lebend gesehen.«

      »Ich nehme an, dass Sie bei ihr das Smartphone gefunden haben.«

      Die Kommissarin nickte.

      »Dann werden Sie sicher auch wissen, dass ich mit ihr seit dem 27. Dezember vorigen Jahres WhatsApps ausgetauscht habe.«

      »Ja.«

      »Ich habe zwei Handys«, sagte Thun. »Ein altes Nokia, mit dem wir hin und wieder telefonierten. Und ein Smartphone, um uns über WhatsApp auszutauschen.«

      »Sie haben schon recht, wir können das auch über das Gerät Ihrer Tochter verfolgen. Dennoch wollen wir gern vergleichen. Am besten wäre es, Sie geben uns die Geräte mal mit, damit unsere KT die Daten ausliest und sichert.«

      Thun lächelte. »Das Nokia können Sie gerne mitnehmen. Ich sage Ihnen aber gleich, da ich nicht wusste, dass wir die ganzen Verbindungen noch brauchen, werden Sie dort nichts mehr finden. Ich habe regelmäßig alles gelöscht, was den Speicher zum Überlaufen gebracht hätte.« Er nahm das Handy und schob es ihr über den Tisch zu.

      »Ich werde dafür sorgen, dass Sie es in der nächsten Woche noch zurückbekommen.«

      »Ich brauche es wirklich schnellstens zurück, denn alle Bankdaten laufen über die Nummer 128«, sagte Thun.

      »Und was ist mit dem Smartphone? Das würde ich auch gerne mitnehmen.«

      »Das werde ich Ihnen aber nicht mitgeben«, sagte Thun. »Ich habe einen anderen Vorschlag, wir werden sämtliche Nachrichten, die über WhatsApp zwischen meiner Tochter und mir ausgetauscht wurden, in Ihren Mail-Briefkasten übertragen. Dann haben Sie es bei sich in Neubrandenburg, und das braucht nicht einmal jemand abzuschreiben.«

      »Ja, das geht«, mischte sich Daniela Herzogs Begleiter ein. »Ich kenne mich damit aus.«

      Er rief den Chat-Kontakt auf, den er mit Suzanne gehabt hatte. Als er auf ihr Eingangsbild drückte, erschien ein Ostseebild und darüber die Schrift.

      »Ein ›Danke‹ oder ein ›Es ist schön, dass es dich gibt‹ ist so viel mehr wert als etwas Materielles.«

      Jedes Mal, wenn er das aufrief, gab es ihm einen Stich ins Herz. Er schob dem Kommissar das Smartphone zu, der sich eine Weile damit beschäftigte.

      »Kommen wir zurück zu meiner Frage. Wann haben Sie Ihre Tochter das letzte Mal lebend gesehen?«

      »Am 27. April dieses Jahres. Ich traf sie am Neuen Markt in Stralsund und war mit ihr in der Osteria Dell‘Oca zum Essen. Ich habe darüber eine Rechnung und kann das nachweisen. Wir waren zwischen 11:15 Uhr und 11:30 Uhr verabredet. Sie kam etwa 11:25 Uhr. Sie konnte nur schleppend laufen, da einer ihrer Füße einen Verband trug. Sie sagte, sie sei mit dem Fuß so unglücklich umgeknickt, dass er angebrochen sei. Sie kam gerade vom Arzt.«

      »Haben Sie über Remy Günner gesprochen?«

      »Ich muss dazu sagen, dass ich sie jedes Mal, wenn wir uns in Stralsund verabredet hatten, nach der Adresse gefragt habe, um sie abzuholen. Doch immer ist sie ausgewichen. Die Wohnung wäre nicht anzusehen, weil sie noch Umbauten vornehmen würden. Das ging etwa zweieinhalb, drei Jahre so. Aber am Vorabend dieses Treffens hatte ich ihr gesagt, dass ich nunmehr unbedingt wissen möchte, wo ich sie abholen könnte, wenn es mal dazu käme. Daraufhin sagte mir sie die Adresse, und als ich nach dem Namen fragte, der an der Klingel stünde, sagte sie Güner. Offensichtlich hatte ich sie nicht richtig verstanden, denn ich schrieb mir den Namen Remzi Güner anstatt Remy Günner auf. Misstrauisch wie ich bin, habe ich am Abend vor dem Treffen noch bei meinen Freunden in Tornesch bei Hamburg recherchiert. Remzi steht für Symbol, Geheimnis oder auch hohes Ansehen bei den Türken, und Güner ist sowohl als weiblicher als auch als männlicher Vorname sowie als Familiennamen in der Türkei gebräuchlich.«

      Thun macht eine kleine Denkpause.

      »Ich wusste von ihren Erzählungen her, dass sie ihr geschiedener Ehemann, ein muslimischer Bosnier, geschlagen hat. Er hat sie auch mehrfach ans Bett gefesselt, um sich an ihr zu vergehen, wenn sie sich ihm verweigerte. Aus diesem Grund und mit der Recherche über den Namen Güner sprach ich sie auf ihre Verbindung an. Sie hatte mir in einem Telefonat, das sie aus Rostock geführt hatte, geklagt, dass ihre Eltern den Mann nicht ausstehen konnten und es deshalb auch kaum gemeinsame Besuche in Lohme auf Rügen gegeben habe. Als sie mich fragte, was ich dazu sagen würde, habe ich ihr gesagt, dass ihre Eltern wohl bei ihrer Aussage Dinge berücksichtigt hätten, die mir nicht bekannt seien. Aber eine Frau mit 42 Jahren Lebenserfahrung, die bei Verstand sei, müsse selbst über ihr Leben und ihre Beziehungen zu Partnern entscheiden können. Im Nachhinein ärgere ich mich natürlich darüber. Dennoch, niemand ist des anderen Eigentum.«

      Wieder diktierte die Kommissarin das Gehörte in ihr Aufzeichnungsgerät. Dann nickte sie ihm zu.

      Als sie fertig war, gab der Beamte Thun das Smartphone zurück. »Es hat geklappt«, sagte er zu der Hauptkommissarin. »Es ist komplett in deinem Briefkasten.«

      »Ich sprach Suzanne auf ihren Partner an. Wir sprachen etwa fünfzehn Minuten über die Beziehung«, sagte Thun. »Dabei sagte ich ihr, dass zweierlei Kulturen auch zweierlei Umgangsformen zwischen den Geschlechtern beinhalten. Sie möge sich doch daran erinnern, wie sie von ihrem Ehemann Muzafer Beganovic behandelt worden sei. Daraufhin sagte sie nur, ihr Lebenspartner wäre nicht so einer. Er käme aus einer ganz anderen Richtung. Sie erwähnte aber nicht, dass er nicht muslimisch sei. Wie auch, sie konnte ja nicht wissen, dass ich Günner mit einem n aufgeschrieben hatte. Inzwischen habe ich das natürlich durch die Zeitungsartikel mitbekommen und meine eigenen Recherchen angestellt. Und die besagen, dass der Mann ein Deutscher und gebürtig in Stralsund ist.«

      »Wann gab es den letzten Kontakt auf dem Smartphone?«, fragte die Kommissarin.

      Thun nahm das Smartphone hoch und rief die WhatsApp-Verbindungen auf, die er mit Suzanne gehabt hatte.

      »Die letzte Nachricht von ihr kam am 7. Mai um 19:25Uhr. Ruf mich bitte an. Es kotzt mich an, immer zu schreiben. Daraufhin habe ich, soweit ich mich erinnern kann, einen Tag später, also am 8. Mai, gegen 17:00 Uhr mit ihr telefoniert. Um 17:27 Uhr kam die letzte Mail von ihr. Tut mir leid. Ich konnte mich nicht richtig at kulturellen. Habe meinen zu dicht. Den Abschluss bildete ein sehr negativ schauendes Smiley.«

      »Wie lief das Gespräch zwischen Ihrer Tochter und Ihnen ab?«

      »Hallo Dad.«

      Thun machte eine kurze Pause. Er merkte, wie sein Herz wieder anfing zu schmerzen.

      »Sie hatte wohl auf einen Anruf gewartet und mich an der eingehenden Telefonnummer erkannt. Zu dieser Zeit war aufgrund von Schwierigkeiten mit meinem Anschluss, mein Festnetz und das Internet bei mir ausgefallen. Ich fragte, warum sie mich nicht anrufen würde, sie könnte mich doch jederzeit über eine der beiden Handynummern erreichen.«

      »Was hat sie geantwortet?«, fragte die Kommissarin.

      »Hier passiert gleich ‘was. Entweder … er ersticht mich, oder … ich ersteche mich selbst«, sagte Thun leise.

      »Wie haben Sie auf diese Aussage reagiert?«

      »Ich habe versucht, sie mit Worten von dieser Tat abzubringen und sie dahingehend zu beruhigen, dass sich alles wieder einrenken würde.«

      »Was