Insel der Vergänglichkeit. George Tenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: George Tenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783750279124
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wieder auf. »So freundeten wir uns ein wenig an. Das Elend kam über uns, als ich zur Armee eingezogen wurde.« Makowski schwieg eine Weile, als müsse er sich sammeln.

      »Thun lebte zeitweise in einer Wohnung in Berlin, die seiner Mutter gehörte. Meine Frau und ich trafen uns in dieser Wohnung und hatten natürlich Sex. Also war ich anfangs überhaupt nicht im Zweifel darüber, wer der Erzeuger des Kindes ist, ich.«

      Larsson hörte ein Stöhnen aus der Ecke, in der Frau Makowski saß. Sie schien sehr schwer an ihrem Schicksal zu tragen.

      »Irgendeiner meiner Kollegen machte eine anzügliche Bemerkung. Er sagte, er habe meine Frau mit Gerd Thun in einem Edelschuppen auf Usedom gesehen. Sie hätten gemeinsam dort gegessen und reichlich sowjetischen Sekt getrunken. Sie wären auch gemeinsam gegangen. Und schon war mein Misstrauen geweckt. Es hatte mich auch nicht verlassen, als meine Frau mir sagte, es sei nichts gewesen.« Der Mann lachte auf. »Frauen können lügen, ohne rot zu werden.«

      Rosa Makowski verließ wieder den Raum. Larsson hörte, wie sie schluchzte.

      »Rosa ist die Liebe meines Lebens, trotz allem«, sagte Makowski. »Aber sie hat mich enttäuscht. Das geht tief, sehr tief.« Er stand auf, ging zu einem großen Büfett. Larsson sah und hörte ihn hantieren. Dann kam er mit zwei Wassergläsern und einer Flasche Korn zurück.

      »Eigentlich trinke ich nur Bier«, sagte Makowski. »Doch ich kann Ihnen gar nichts erzählen, wenn ich nicht einen gewissen Pegel habe. Dann ertrage ich das Leben nicht mehr. Aber ich möchte es noch ertragen. Schließlich bekommen wir eine Rente, mit der wir auskommen können.« Er schwieg einen Moment, als müsse er seine Gedanken sortieren. »Obwohl, groß an Veränderungen oder Restaurationen am Haus können wir gar nicht denken. Dazu reicht es nicht. Aber das brauchen wir auch nicht. Das letzte Hemd hat keine Taschen. Also versaufen wir unser Kleinhäuschen.« Er füllte die beiden Gläser mit dem Korn und kicherte vor sich hin.

      »Als ich es Jahre später erfuhr, habe ich lange an Rache gedacht. Ich hatte tatsächlich angenommen, ich würde ihn halb totprügeln, erwischte ich ihn.«

      Als Makowski schwieg, fragte Larsson: »Hat es sich nicht ergeben?«

      »Nein. Er war plötzlich verschwunden. Und es hieß, er sei über die Ostsee in den Westen geflohen. Ich wusste, dass er meinetwegen abgehauen war.«

      Makowski schob Larsson das Glas zu, sodass durch die Bewegung ein Teil der Flüssigkeit über den Tisch lief.

      »Rosa«, rief er. »Bring einen Lappen, ich habe ein wenig verschüttet.«

      Die Frau ging hinaus in die Küche, kam kurz darauf mit einem Tuch zurück und wischte den Tisch ab. Als sie wieder gegangen war, hob Makowski das Glas.

      »Prosit, Herr Larsson.«

      Während Larsson nur einen kleinen Schluck nahm, trank Makowski das Glas in einem Zug leer.

      »Sie wissen, warum ich hier bin?«, bohrte Larsson nach.

      »Warum kommt er nicht selbst?«

      »Er weiß, dass er eine Menge falsch gemacht hat. Wenn man jung ist, verliert man die Übersicht über das Machbare«, sagte Larsson.

      Makowski hob die Schultern. »Er hat mit einem Mal irgendwelche Gewissensbisse? Das kann ich nicht glauben.«

      »Ich weiß nicht, ob er Gewissensbisse hat. Nur eins weiß ich genau, er meint es ernst. Er sagte, er wolle sich bei Ihnen entschuldigen. Und er wolle ein Teil von dem wiedergutmachen, was er mit seinem Verhalten in der Jugend zerstört hat.«

      Makowskis Lachen war ein wenig hysterisch, wie immer, wenn er getrunken hatte. »Thun hat mir ein Stück meines Lebens geraubt, und nun glaubt er, er könne das mit einem Federstrich aus der Welt schaffen.«

      Larsson sah ihn ruhig an. »Als er mit mir sprach, hat er das sehr, sehr ernst gemeint.«

      »Dem glaube ich kein Wort.«

      »Ich hatte das Gefühl, man könne ihm glauben.«

      Makowski nickte. Er goss nach, und schaute Larsson fragend an.

      Larsson schüttelte den Kopf. »Ich bin nicht gewöhnt, so viel Alkohol zu trinken. Und ich möchte gern meine Gedanken beisammenhaben, wenn wir miteinander sprechen.«

      »Als Suzanne zur Welt kam, wohnten wir zwei Häuser weiter, in dem grauen Kasten, der nach dem Krieg entstanden war. Wir hatten zwei Zimmer, keine Zentralheizung, aber einen Badeofen, den wir mit Holz und Kohlen anheizen mussten.«

      Makowski stand schwankend auf. »Ich muss mal ins Bad.«

      »Manuel leidet sehr«, sagte die Frau, als der Mann aus dem Zimmer war. »Es ist nicht nur, dass Suzanne nicht sein Kind ist, das war sie in den ersten Jahren ihres Lebens trotz allem immer. Wir sind die Familie, in der der Tod zu Hause ist.«

      Larsson hatte das Gefühl, dass die Frau ihm etwas sagen wollte. Sie schaute ihn mit offenen Augen an.

      »Unsere Erstgeborene, Helga, fiel ganz plötzlich bei einem Besuch bei uns um und verstarb. Mein Mann fragte immer wieder, warum es Helga getroffen hat. Schließlich hätten wir doch zwei Töchter. Das hat Suzanne sehr getroffen. Die beiden Mädels waren zwar einige Jahre auseinander, aber sie waren unzertrennliche Freundinnen über ihre verwandtschaftlichen Verbindungen hinaus.«

      »Wann war das? In welchem Jahr ist Ihre Tochter Helga verstorben?«, fragte Larsson leise.

      »1988. Suzanne war damals 22 Jahre alt. Das war auch der Zeitpunkt, als sie erfuhr, dass sie nicht die leibliche Tochter meines Mannes ist.«

      »Wie genau hat Suzanne das erfahren?«

      »Ich glaube, es ist ihr bewusst geworden, als sie gerade dazukam, wie Manuel sagte, dass er nicht verstünde, warum Helga verstorben sei und nicht Suzanne ... Darüber hinaus hatte ich einen großen Fehler gemacht.«

      »Einen Fehler macht jeder einmal«, stellte Larsson lakonisch fest.

      »Erzähle etwas einer besten Freundin unter dem Siegel der Verschwiegenheit, und es wird garantiert unter die Leute gebracht werden.«

      »Wo ist ihr Mann eigentlich? Hoffentlich ist ihm nichts passiert«, wandte Larsson ein.

      »Das Gespräch geht ihm sicher sehr an die Nerven. Oftmals, wenn er etwas getrunken hat, legt er sich hin und schläft ein. Aber es dauert meist nie lange, dann ist er wieder da.«

      Sie stand auf, ging kurz hinaus auf den Flur und in das angrenzende Schlafzimmer. Es war, wie sie gesagt hatte.

      »Manuel hatte sich aufs Bett geworfen und ist eingeschlafen«, sagte sie, als sie zurückkam. »Was wir auf Usedom verheimlichen konnten, war plötzlich auf Rügen wie ein Gespenst aus einem Grab auferstanden. Wenn ich einkaufen ging, starrten mich die Leute an. Sie wussten also Bescheid. Was wir sehen, ist eine Ehebrecherin. Und selbst das ist kurz vor der Beerdigung Helgas bis zu Suzanne vorgedrungen.«

      Larsson konnte sich sehr gut vorstellen, was in einer jungen Frau vorgeht, die beim Tod ihrer Schwester plötzlich erfährt, dass sie ein Kuckuckskind ist.

      »Ist Suzanne manchmal von Ihrer Familie zurückgesetzt worden? Wurde Ihre ältere Tochter vorgezogen?«,

      »Manchmal schon. Doch als Kind hat sie das nicht ganz so gemerkt.«

      »Wie hat sie auf die Nachricht reagiert?«

      »Sie hat kurz nach der Beerdigung Helgas ein paar Sachen zusammengepackt und wortlos das Haus verlassen. Nicht einmal ihren Freund hat sie über ihre Abreise verständigt. Für uns löste sie sich von einer Minute zur anderen in Luft auf.«

      »Sie haben Ihre Tochter doch wiedergefunden«, stellte Larsson fest.

      »Einige Monate später habe ich durch eine Freundin meiner Tochter erfahren, dass Suzanne nach Berlin gegangen war.«

      »So ist das also. Die Kinder suchen das Weite, wenn sie einen verlassen, und gehen gleich bis in die Hauptstadt«, stellte Larsson lapidar fest.

       »Über