Annes Gezeter hatte ihm gerade noch gefehlt, nachdem er miserabel geschlafen hatte, nur noch eine Prise Kaffeepulver im Schrank gefunden und sich beim Rasieren geschnitten hatte. Am besten ging er wieder ins Bett und zog sich bis Montagmorgen die Decke über den Kopf.
Außerdem regnete es draußen. Echt Klasse.
Spengler kam herein, vergnügter als je zuvor an einem Samstag. Den schien das Singledasein förmlich aus dem Bett zu jagen! Joe gestattete sich einen kurzen Gedanken, was der Chef mit seiner Freundin wohl sonst so trieb, wenn er alleine gar nicht mehr schlafen konnte, aber er wurde schnell davon abgebracht: „Wo ist die Magnettafel?“
Mist! Joe enteilte und rüttelte vergeblich nebenan bei der Kerner an der Tür – ausnahmsweise hatte die Putzkolonne mal abgesperrt. Okay, dann die andere, die leider doppelt so groß und entsprechend doppelt so schwer war. Er zerrte sie in das Büro, das sofort klein, eng und vollgestellt wirkte.
„Vor den Aktenschrank“, wies Spengler ihn an, der gerade die Papierstapel vom dritten, als Ablage benutzten Schreibtisch räumte und ihn dann mit dem Ärmel abstaubte.
Als Anne Malzahn kam, ganz in Schwarz und mit kleinen Rauchwölkchen, die aus ihren Ohren aufstiegen, wartete ein recht netter Schreibtisch auf sie, sogar mit einem Telefon, allerdings noch ohne Computer, und Joe und Spengler hatten schon an der Magnettafel herumgespielt und Zettelchen mit den bereits gesicherten Informationen daran befestigt – in rot; die offenen Fragen in blau.
„Dich krieg ich noch“, zischte sie Joe statt einer Begrüßung zu und nickte knapp in Spenglers Richtung.
„Beruhigen Sie sich wieder“, versuchte Spengler zu begütigen, „es ist sonst einfach niemand frei. Und ein richtig schöner Mordfall mit Ehefrau, Geliebter, Nachbarn und Kollegen könnte für Sie doch mal ganz interessant sein. Ich habe den Kollegen Schönberger gezwungen, Sie so früh aus dem Bett zu klingeln.“
Anne brummte etwas und richtete sich an ihrem Schreibtisch ein, dann stand sie wieder auf und inspizierte die Tafel. Mit spitzem Zeigefinger deutete sie auf die Kärtchen mit Iris Wenzel und Cora?? und fragte: „Wussten die voneinander?“
„Keine Ahnung“, antwortete Spengler. „Die Ehefrau wollten wir nicht unmittelbar nach der traurigen Nachricht damit überfallen, und die Freundin haben wir noch nicht ausfindig gemacht. Wie wär´s, wenn Sie beide zuerst noch mal einen der Saufkumpane auftreiben und versuchen, wenigstens den Nachnamen dieser Cora rauszukriegen? Dann nehme ich mir die Ehefrau noch mal vor. Und die Nachbarn – ist das ein Angebot?“
Anne brummte weiter. „Diese Saufkumpane kann ich bestimmt auch alleine.“
„Lieber nicht“, meinte Spengler freundlich. „Das sind so richtige Sexisten, wenn man ihrem Geschwätz glauben darf.“
„Mit denen werde ich doch mit links fertig!“ Anne war entrüstet.
„Eben“, meinte Joe, in Anwesenheit des Chefs wieder mutiger. „Was nützen uns Zeugen mit gebrochenem Kiefer?“
„Depp. Na gut, packen wir´s!“ Sie schwang sich ihre Tasche über die Schulter. „Holen wir die Machos aus ihren weichen Bettchen, warum sollen wir alleine leiden?“
„Mit den Brummschädeln haben wir bestimmt leichtes Spiel“, stimmte Joe zu.
Samstag, 16.4.2005: 08:30
Die Dusche war furchtbar. Laura hatte den Duschkopf schon dreimal abgeschraubt und insgesamt bestimmt eine ganze Flasche Entkalker – die umweltfeindliche, aber angeblich hochwirksame Sorte – daran verschwendet, aber der Strahl war immer noch dünn und bestimmt ein Drittel des Wassers spritzte nutzlos seitlich weg. Endlich hatte sie sich das Duschgel und das Shampoo wieder abgespült und stieg aus der Wanne. Ach, war das Bad in der Carolinenstraße schön gewesen! Riesengroß und ein toller Wasserdruck. Gut, hier hämmerte Sylvia nicht an die Tür und plärrte Ich muss mal, brauchst du noch lange?, aber das war auch der einzige Vorteil.
Unlustig wickelte sie sich ins Badetuch und begann damit, ihre nassen Haare auszukämmen. In der Carolinenstraße hätte jetzt jemand Semmeln geholt. Und nachher konnte man ein bisschen durch die Geschäfte rund um die Uni bummeln, vielleicht etwas essen gehen, jederzeit etwas kopieren... man traf überall Leute, die man kannte und hatte im Handumdrehen lauter nette Sachen vor. Und hier?
Ich bin eine weinerliche Pute, schalt Laura sich selbst, ich kann doch nachher trotzdem an der Uni einkaufen gehen. Der böse Feind hatte bestimmt keinen Sinn für Wohnschnickschnack oder schöne Schreibwaren, Taschenbuchkrimis oder Gummibärchen zum Selbstabwiegen. Und wenn doch? Den wollte sie auf keinen Fall treffen! Diesen düsteren, eingebildeten, arroganten, besserwisserischen, puristischen, raffgierigen, blöden Hund. Was der für ein Geschiss wegen der paar Dübellöcher und der Unordnung in der Küche gemacht hatte. Korinthenkacker.
Ach, mit Sonnenbrille und Baseballkappe würde er sie sowieso nicht erkennen, er hatte sie in dieser dürftigen einen Woche ja praktisch nie angesehen. Dabei war sie durchaus sehenswert – auch wenn sie das selbst sagen musste. Wenn man auf dunkle Typen mit so gut wie keinem Busen stand, hieß das. Der war schon ein Manko. Sie ließ das Handtuch fallen und betrachtete sich, soweit das in diesem mickrigen Spiegel möglich war. Sonst war alles okay, doch. Bisschen blass allerdings. Fast schon gruftiartig zu den schwarzen Haaren.
Egal, trocken wären sie wieder dunkelbraun, und sie musste sich ja nicht komplett in Schwarz stylen – wie der Feind. Nein, Jeans und das kuschelige rosa Sweatshirt. Und die rosa Turnschuhe.
Sie zog sich an, band die feuchten Haare zum Pferdeschwanz und schob den Vorhang beiseite. Mist – Nieselregen! Musste sie überhaupt raus?
Doch, es war kein Essen mehr im Haus. Und kein Waschpulver. Bei dem Wetter war Fahrradfahren auch keine besondere Freude. Außerdem war der Reifen immer noch halb platt. Okay, Radlrichten im Nieselregen. Schönes Wochenende, Laura!
Sie beschloss, abzuwarten, vielleicht ließ der Regen ja noch irgendwann nach. Vorläufig konnte sie auch zu Fuß einkaufen gehen. Bei ihrem momentanen Glück war wahrscheinlich ohnehin alles ausverkauft, was sie haben wollte. Und diese Tussi von gestern wollte immensen Schadensersatz wegen der Schlammspuren auf dem Abendkleid. Und Marc machte sie ausfindig und verlangte, dass sie ganz alleine die Renovierung der Wohnung bezahlte. Und ein anderer schnappte ihr das Dissertationsthema weg, obwohl sie es schon reserviert hatte. Vielleicht gab es ja ganze Horden, die scharf darauf waren, sich über das Fortleben des Willehalm-Stoffs auszulassen!
Sie trottete misslaunig zum Supermarkt zwei Ecken weiter, und ihre Laune hob sich auch nicht, als sie feststellte, dass dort schon so viele Fahrräder angekettet standen, dass sie ihr Rad sowieso nicht mehr hätte unterbringen können. Als sie mit zwei Plastiktüten in den Händen wieder herauskam, ermahnte sie sich zum wiederholten Male, endlich mit diesem kindischen Selbstmitleid aufzuhören. Genau genommen war doch gar nichts passiert – nur die WG hatte sich aufgelöst und der Besitzer der Wohnung hatte Eigenbedarf angemeldet. Er hatte sie, wenn sie ehrlich war, nicht mal rausgeschmissen, er hatte sich nur überdeutlich anmerken lassen, dass er die Wohnung gerne ganz für sich alleine hätte, um sie – wie hatte er es genannt? – um sie in eine menschenwürdige Behausung zu verwandeln. Arrogantes Arschloch. Geld verdarb eben doch den Charakter.
Pech, Laura – aber sie war nicht pleite, sie hatte ein Dissertationsthema, eine neue Wohnung, auch wenn die nicht halb so schön war wie... Schluss, verflixt! Und sie hatte einen guten Job. Dreimal die Woche Büroarbeiten und hilfsweise Lektoratsdienste in einem Schulbuchverlag, das wurde gar nicht mal so schlecht bezahlt. Und Papi schoss auch noch jeden Monat etwas zu. Wenn sie ehrlich war, hätte sie gar nicht in ein solches Loch ziehen müssen, sie hatte diesem unsäglichen Marc nur feurige Kohlen aufs Haupt häufen wollen. Dabei kriegte er das ja überhaupt nicht mit!
Sie tippte sich an die Stirn, weil sie sich selbst so