Im Zentrum der Wut. Irene Dorfner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Irene Dorfner
Издательство: Bookwire
Серия: Leo Schwartz
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742731159
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etwas Schreckliches passiert sein musste. Sie setzte sich ihr gegenüber und versuchte, irgendetwas von dem Gespräch aufzuschnappen.

      „Ich bin hier sicher, mach dir keine Sorgen. Bei mir ist ein englischer Polizist, ich bin also nicht allein. Allerdings sind wir beide unbewaffnet und können nichts tun. Wir brauchen Informationen, was hier passiert ist.“

      „Warum ruft der Mann nicht einfach die Dienststelle oder sonstwo an?“

      „Er hat kein Netz. Bitte ruf Hans und Krohmer an, die beiden wissen, was zu tun ist.“ Der Engländer reichte Leo einen Zettel zu, auf dem er seine Handynummer notiert hatte. „Notier dir die folgende Handynummer. Die gehört dem Engländer…“ Leo sah den Mann an, dessen Namen er nicht kannte.

      „Kevin Sparks.“

      „Kevin Sparks“, wiederholte Leo. „Ich werde mein Handy ausschalten, um den Akku zu schonen. Ich werde zu jeder vollen Stunde einschalten. Sparks‘ Handy schalten wir vorsorglich zu jeder halben Stunde ein. Sparks hat momentan kein Netz, was hoffentlich nur ein vorübergehendes Problem ist.“ Kevin nickte zustimmend. Der Deutsche war ruhig und dachte mit, das war sehr gut. Ob er an den Akku des Handys gedacht hätte?

      Christine hatte die Handynummer mit zitternden Händen notiert.

      „Pass auf dich auf, Leo. Du gehst kein Risiko ein, hast du mich verstanden?“

      „Mach ich. Grüß alle von mir.“ Dann legte Leo auf. Er atmete tief durch, während er sein Handy ausschaltete. Hatte er etwas vergessen?

      „Gut gemacht“, sagte Kevin Sparks lobend, der ebenfalls das Handy ausschaltete. Sie waren hier vorerst sicher. Aber wie lange noch? Das Warten zerrte an seinen Nerven. Vor allem die Ungewissheit, was eigentlich passiert war, war schier unerträglich. Wäre es nicht seine Pflicht als Polizist gewesen, sich aktiv einzubringen, anstatt sich hier in diesem kleinen Raum zu verschanzen? Für Anschläge gab es eine speziell ausgebildete Einheit, denen er nur im Weg stehen würde. War das so oder schob er diese Annahme nur vor, um sich selbst aus der Gefahrenzone zu bringen? Wenn er doch nur seine Waffe bei sich hätte!

      Dass Leo ähnlich dachte, ahnte er nicht. Leo war keineswegs so ruhig, wie es den Anschein machte. Er war innerlich völlig aufgewühlt und versuchte angestrengt, etwas von dem Geschrei vor der Tür aufzunehmen.

      „Sollten wir die Tür nicht öffnen und Leute aufnehmen?“

      „Nein. Dafür gibt es spezielle Räume, die nach den Terroranschlägen im Juli 2005 eingerichtet wurden. Für den Flughafen Heathrow gibt es schon seit Jahren immer wieder Terrorwarnungen, wozu es zum Glück niemals Anschläge gab. Trotzdem sind Spezialeinheiten am Flughafen darauf eingerichtet, falls doch ein Terroranschlag stattfinden sollte. Es gibt die strikte Order, dass wir uns bei einem solchen Fall zurückhalten sollen und die Arbeit der Fachleute nicht behindern sollen. Aber warum erzähle ich Ihnen das eigentlich?“

      „Keine Ahnung.“ Leo empfand diese Anweisung als absolut dämlich. Der Raum hier war zwar klein und es gab kein Fenster, trotzdem könnten hier gut und gerne sechs bis sieben Leute Unterschlupf finden. Aber er hatte hier nichts zu sagen und war nur ein ganz gewöhnlicher Tourist, wie es sie täglich tausendfach in London gab.

      „Diese verdammten Araber!“, schimpfte Sparks.

      „Woher wissen Sie so genau, dass die es waren?“

      „Wer denn sonst? Auf der ganzen Welt, vor allem in Europa, gibt es immer wieder Anschläge von Fanatikern, bei denen es sich vorwiegend um Araber handelt. Ich könnte kotzen.“

      „Trotzdem wissen wir noch nicht, was passiert ist. Bevor Sie gleich den Arabern oder sonst irgendwem die Schuld zuweisen, sollten wir lieber abwarten. Einer der Gründe, warum dieser Hass niemals aufhört, ist der, dass vorschnell geurteilt wird. Das kotzt mich an.“

      „Ach ja? Vielleicht waren es nicht die Araber, sondern die Deutschen. Es wäre ja nicht das erste Mal, dass die Deutschen in anderen Ländern Unruhe stiften.“

      „Oh Mann! Jetzt kommen Sie mir nicht mit den zwei Weltkriegen! Die sind lange her. Ja, das war nicht gut, aber jedes Land hat irgendwo auf der Welt Blödsinn gemacht, die Engländer eingeschlossen.“

      Es entstand eine Auseinandersetzung, die sich gewaschen hatte. Leo dachte nicht daran, auch nur einen Hauch nachzugeben. Es hätte nicht viel gefehlt, und sie wären sich an die Gurgel gegangen.

      Sabine Kofler hatte geduscht und sich fertiggemacht. Sie hatte ein schlechtes Gewissen Leo gegenüber, der sehr viel Verständnis für ihren Job aufbrachte. Sie hätte ihm längst sagen sollen, dass ein Jobangebot für London vorlag, das sie gedachte, anzunehmen. Der Termin heute betraf diesen Job, denn heute würden Einzelheiten besprochen werden. Außer einer guten Bezahlung waren die Bedingungen sehr verlockend. Wäre sie alleine, hätte sie längst unterschrieben, aber sie hatte ihren Verlobten Leo, an den sie denken musste. Ja, er zweifelte an seiner Arbeit und eigentlich hätte sie die Gelegenheit am Schopf packen und ihn in seinen Zweifeln bestärken sollen. Es wäre nur ein kleiner Schritt und sie könnte Leo dazu überreden, zu ihr nach London zu kommen. Aber das brachte sie nicht übers Herz und das wäre ihm gegenüber auch nicht fair, denn daran würde Leo zugrunde gehen. Er war kein Typ für ein Abenteuer in der Fremde, sondern ein bodenständiger Deutscher, der sich in einem fremden Land niemals einleben würde. Außerdem war Leo bei der Polizei genau am richtigen Platz.

      Sie wischte ihr schlechtes Gewissen beiseite und tröstete sich mit Blick auf das nächste Treffen mit Leo, bei dem sie ihm das Jobangebot endlich beichten wollte.

      Nur noch eine Stunde bis zu ihrem Termin, das reichte für ein kleines Frühstück. Der Fernseher lief. Als sie begriff, worum es ging, war sie fassungslos. Sie drehte den Ton lauter und hörte wieder und wieder die Informationen rund um die Geschehnisse am Flughafen London Heathrow. Das Wort Attack schockierte sie und sie begann zu zittern. War es möglich, dass Leo bereits abgeflogen war? Sie kontrollierte mehrfach die Uhrzeit. Nein, Leo musste noch am Flughafen sein, es konnte nicht anders sein. Er war inmitten des Geschehens und damit in größter Gefahr. Sie setzte sich, denn ihre Beine versagten ihren Dienst. Sie rückte näher an das Fernsehgerät und suchte auf den wackligen Bildern fieberhaft nach Leo. Das und die neuesten Nachrichten waren jetzt wichtig, der bevorstehende Termin war völlig egal.

      Wo war Leo? Ging es ihm gut? Und was war in Heathrow eigentlich wirklich los?

      2.

      Die beiden Männer rannten so schnell wie möglich. Sie mussten zu ihrem Wagen und dann verschwinden, solange die Straßen noch nicht gesperrt waren. Keiner sagte auch nur ein Wort.

      Sam Brown startete mit zitternden Händen den Wagen, dann gab er Gas. Sein Komplize Tom Albert hatte die Tür noch nicht ganz zugezogen, da zeigte der Tacho bereits 40 Meilen.

      „Wenn du so weiterfährst, fallen wir auf! Da können wir uns ja auch gleich der Polizei stellen“, schrie Tom in Panik, während er ständig hektisch um sich blickte.

      „Halt‘s Maul!“

      Sam drückte das Gaspedal durch. Geschickt lenkte er den Wagen durch die Fahrzeuge, die alle zum Flughafen hin oder von diesem weg drängten. Dann ertönte der Alarm.

      „Das ging verdammt schnell“, murmelte Sam. Er hatte mit einer Reaktion frühestens nach zehn Minuten gerechnet – bis jetzt waren noch keine sieben Minuten vergangen. Ihm und auch Tom war klar, dass ihre Gesichter auf sämtlichen Überwachungskameras zu sehen waren. Aber das war kein Problem, dafür hatten sie sich Bärte wachsen lassen und Perücken aufgesetzt. Die Kleidung landete im Kamin, sobald sie ihren Unterschlupf erreicht hatten. Außerdem gingen sie wie jeder normale Tourist durch die Menschenmengen. Warum hätte die Polizei auf sie aufmerksam werden sollen?

      Sam hatte den rückwärtigen Verkehr ständig im Auge. Irgendwann beruhigte er sich, denn er war sicher, dass ihnen niemand folgte. Trotzdem blieb er wachsam. Nach zwanzig Minuten Fahrt verringerte er das Tempo und atmete tief durch. Tom suchte im Radio nach einer Meldung bezüglich des Flughafens, die nicht lange auf sich warten ließ.

      „Diese