GMO. Andreas Zenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Zenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847606734
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Treppe wucherten in den Winkeln Moose und Flechten. In der Dachrinne wuchs ein Baum und das Dach selbst war an vielen Stellen mit den farblich unterschiedlichsten Schindeln ausgebessert worden. Die schmiedeeisernen Balkongitter zeigten Rost und an den Ecken des Hauses bröckelte der Putz. Das Anwesen strahlte den morbiden Charme vergangener Zeiten aus. Heinrich konnte sich, trotz seines Herzklopfens, dem Zauber des Landhauses nicht entziehen. Vor seinem geistigen Auge sah er Michelle in einem weiten Reifrock mit geflochtenem Strohhut, an dem ein rotes Seidenband im Wind flatterte, oben auf der Terrasse stehen und winken. Statt ihrer eilte ein livrierter Diener die Treppe hinunter.

      „Willkommen auf Cahors Maison, Master Heinrich“, freute sich der alte Schwarze. Er griff diensteifrig nach Heinrichs Reisetasche, doch dieser wehrte freundlich aber bestimmt ab.

      „Die Misses gleich kommen.“

      Er führte die Halbbrüder in den Salon. Hier hatte sich seit seinem letzten Besuch nichts verändert, noch immer die alten schweren Möbel mit den altrosafarbenen Bezügen, die bunten Teppiche und die verschossenen blauen Plüschvorhänge. Heinrich kam sich wie in einem Museum vor, erwartete gleich einen Südstaatengeneral in grauer Uniform aus der Kulisse treten zu sehen.

      „Was zu trinken?“, fragte Eduard.

      Heinrich schüttelte den Kopf. Der Halbbruder goss einen Bourbon in ein schweres Kristallglas. Die Marke des Vaters.

      „Es ist schon wieder kein Eis da“, herrschte er den unterwürfig wartenden Diener an. Dieser zuckte erschrocken zusammen, murmelte eine Entschuldigung und hinkte in die Küche.

      „Der verdammte Nigger wird auch immer fauler“, giftete Eduard.

      Der Alte brachte einen silbernen Kübel mit frischem Eis und mit ihm erschien Michelle. Sie trug einen taubenblauen Hosenanzug, die dunklen Haare streng nach hinten gekämmt.

      „Noch immer eine schöne Frau“, dachte Heinrich, „auch wenn sich um ihre Mundwinkel ein harter Zug eingegraben hat.“

      „Heinrich“, rief sie mit ihrer dunklen Stimme, „schön, dass du da bist.“

      Sie schloss ihn in die Arme, drückte ihn fest.

      „Ich freue mich auch, Michelle.“

      Behutsam machte er sich los, ihre Nähe berührte ihn unangenehm. Sie hatte etwas Besitzergreifendes. Vor Heinrichs Auge tauchte die nächtliche Szene in der Küche auf. In der Umarmung schwang etwas anderes mit als nur die freundschaftliche Begrüßung einer Stiefmutter.

      „Wie geht es dir und Cielo?“, erkundigte sie sich. Heinrich erzählte, beobachtete sie aus den Augenwinkeln. Ihm fiel auf, ihr Gesicht zeigte kaum Anzeichen von Trauer oder Sorge.

      „Tom bringt deine Reisetasche ins Gästezimmer. Du kannst dich ein wenig frisch machen und dann wollen wir essen. Am Nachmittag nehme ich dich mit ins Krankenhaus.“

      Heinrich nickte und folgte dem Diener, froh der misslichen Situation fürs erste entronnen zu sein. Im Gästezimmer ließ er lange kaltes Wasser über die Hände laufen, kühlte die Stirn, fiel auf das Bett und schloss die Augen. Er dachte an Cielo und bedauerte, dass er sie nicht mitgenommen hatte. Ihre Anwesenheit hätte Vieles erleichtert. Er suchte in seiner Jackentasche nach seinem Handy und wählte ihre Nummer. Es klingelte drei, vier Mal, endlich ihre Stimme. Heinrich seufzte erleichtert.

      „Du fehlst mir.“

      „Ist es so schlimm?“

      „Schlimmer.“

      „Du Armer, ich denke an dich. Wann kannst du zurückkommen?“

      „Ich hoffe, ich kann morgen wieder fliegen.“

      „Wie geht es deinem Vater?“

      „Ich weiß nicht, im Krankenhaus war ich noch nicht und Eduard ist ahnungslos.“ Er merkte, er wollte nicht über seine Familie sprechen. Er schämte sich für sie.

      „Du bist so einsilbig“, meinte sie.

      „Ja, tut mir leid, aber es ist so unangenehm. Ich kann mit Michelle und Eduard nichts anfangen. Erzähl mir lieber wie es dir geht.“

      „Ich habe heute einen Termin bei Dr. Brown vereinbart. Du weißt schon, der Gynäkologe. Eigentlich wollte ich alleine hingehen, aber er sagte, das habe keinen Zweck. Du musst mitkommen.“

      „Wann ist der Termin?“

      „Nächste Woche Dienstag. Du kommst doch mit?“

      Der Gedanke behagte Heinrich nicht. Was, wenn es sich herausstellen sollte, Cielos Kinderlosigkeit läge an ihm, nicht auszudenken. Sie spürte sein Zögern.

      „Bitte“, sagte sie. „Es ist mir wichtig.“ Heinrich schluckte.

      „Natürlich komme ich mit.“

      „Danke, ich hab dich lieb.“

      Aus einem unerfindlichen Grund trat Heinrich das Wasser in die Augen.

      „Es wird schon werden.“

      „Ja.“

      Sie schwiegen ein paar Augenblicke, fühlten sich trotzdem verbunden wie selten.

      „Bis morgen“, flüsterte Cielo schließlich. „Ich hole ich dich vom Flughafen ab, wenn du mir Bescheid gibst, wann du landest.“

      „Ich rufe dich an, aber mach dir keine Umstände.“

      Er schickte ihr einen Kuss durch das Handy. Sie lachte befreit.

      „Alter Kindskopf, so verliebt wie am ersten Tag.“

      „Was dachtest du denn“, scherzte er. Er fühlte sich leichter.

      „Wenn ich nach Hause komme, dann...“

      „Was dann?“, versuchte sie ihn aus der Reserve zu locken.

      Es klopfte an der Tür.

      „Es ist angerichtet, Master Heinrich“, krächzte der alte Diener.

      „Ich muss Schluss machen“, sagte er hastig zu Cielo. „Sie warten mit dem Essen auf mich.“

      „Lass es dir schmecken. Bis morgen.“ Sie trennten sich.

      „Ich komme“, rief er zur Tür gewandt. Die schlurfenden Schritte des Dieners verhallten im Gang. Schwül-heiße Luft hing drückend über Cahors Maison, kein Lüftchen spielte in den Blättern der Bäume, sogar die Grillen schwiegen ermattet. Es war zu heiß, um etwas zu essen, doch die Stiefmutter legte Wert auf Stil. Pünktlich jeden Mittag um ein Uhr wurde im Esszimmer diniert.

      „Da bist du ja“, meinte Michelle mit einem vorwurfsvollen Blick.

      „Entschuldige, ich habe noch schnell mit Cielo telefoniert.“

      „Setz dich“, kommandierte die Stiefmutter. „Die Suppe wird kalt.“

      Auf der langen, ovalen Tafel hatte das Personal zwei Gedecke aufgelegt, nebeneinander.

      „Ich finde es albern, soweit auseinander zu sitzen“, meinte Michelle und lächelte vielsagend.

      „Wo ist Eduard?“, wollte Heinrich wissen.

      „Der musste nach Hause, zu Frau und Kindern.“

      Heinrich beschlich ein unangenehmes Gefühl, ohne dass er dafür einen bestimmten Grund hätte nennen können. Was sie aßen, Heinrich vermochte es im Nachhinein nicht mehr zu sagen. Es gab eine Suppe, als weiteren Gang ein Stück Fleisch in einer scharfen Soße, dazu dicke Bohnen und danach eine dampfende Tasse Kaffee. Michelle nützte die Gelegenheit Heinrich ihr Herz auszuschütten, dazu hatte sie nur selten die Gelegenheit. Er hörte ihr geduldig zu, nickte verstehend mit dem Kopf.

      „Weißt du“, berichtete sie, „die Farm läuft nicht gut. Ich glaube die beste Zeit der Baumwolle ist vorüber. In Indien und in China produzieren sie mittlerweile viel billiger. Bekämen wir nicht die Subventionen vom Staat, wir wären bankrott. Die Regierung möchte nicht, dass wir von Importen aus der Dritten Welt abhängig werden, also