GMO. Andreas Zenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Zenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847606734
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Sie reichte ihm die Hand und ein Hauch ihres exotischen Parfüms kitzelte ihn in der Nase. Als er entdeckte, dass sie keinen BH trug, war ihm das peinlich, er versuchte sie nicht anzustarren, was nicht einfach war.

      „Ich bin Heinrich“, stotterte er nochmals verdattert. „Ich gehe mal vor.“

      Sie besichtigte das Zimmer, es war nicht besonders groß, bot Platz für ein Bett, einen Schrank und am Fenster Raum für einen schmalen Schreibtisch. Das Schönste war der zauberhafte Blick auf das Meer.

      „Wie schön“, jauchzte sie entzückt. „Ich liebe das Meer.“ Über die Miete wurden sie sich schnell einig und zum Ersten des nächsten Monats zog Cielo in das Haus in der Tolita Avenue. Schon in der Nacht nach ihrem Einzug stand er vor ihrer Tür, wagte aber nicht zu klopfen. Lauschte nur an der Tür, bevor er wieder in sein Zimmer tappte. Es dauerte über einen Monat, bis sie ihn einließ. So hatten sie sich kennen gelernt. Seitdem waren sie zusammen. Cielo studierte an der gleichen Universität wie Heinrich. Sie wollte Biologin werden, den Geheimnissen des Lebens nachspüren, doch nach vier Semestern gab sie entnervt auf. Sie hatte sich etwas anderes vorgestellt. Ihr Interesse galt dem Wachsen und Werden, nicht dem Zerlegen von einzelnen Pflanzen in ihre Bestandteile. Um sich ihr Studium zu verdienen, arbeitete sie nebenbei in einem Labor am Nancy Ridge Drive bei Necosar, einer kleinen Biotechnologiefirma. Sie betreute die Aufzucht von gentechnisch manipuliertem Mais. Der Umgang mit den Pflanzen schenkte ihr so etwas wie ein Heimatgefühl. Dort blieb sie nach dem abgebrochenen Studium als ungelernte Hilfskraft hängen. Was sie arbeitete, interessierte Heinrich nicht wirklich. Sie erzählte nur, sie betreue die Aufzucht von genetisch veränderten Pflanzen.

      Bald wurden die beiden ein Liebespaar. Zur Feier seines Abschlussdiploms, das Heinrich mit Auszeichnung bestand, flog der Vater nach San Diego. Heinrich stellte ihm seine Freundin vor. Der Vater wirkte bekümmert, was Heinrich nicht störte, verband die beiden doch eine innige Liebe.

       Selma

      Das Flugzeug schwebte zum Landeanflug in Montgomery ein. Heinrich seufzte lautlos. Die Begegnung mit der Familie ließ sich nicht mehr aufschieben. Die Boeing rollte aus und kam vor dem gemauerten Abfertigungsgebäude zum Stehen. Eine Gangway wurde herangeschoben, die Türen geöffnet. Schwüle Hitze schlug ihm entgegen, trieb ihm augenblicklich den Schweiß auf die Stirn. Heinrich atmete tief durch.

      „Nun denn“, sagte er. Er fischte seine Tasche vom Förderband, schlenderte betont lässig nach draußen. Am Ausgang lehnte sein Halbbruder an einer Säule. Eduard trug einen weißen Leinenanzug und einen breitkrempigen Strohhut. Seit ihrem letzten Treffen hatte er einige Kilo zugelegt und der Bauch quoll ihm über den breiten Ledergürtel. Um seinen Mund spielte ein überhebliches Grinsen, die Augen aber blickten Heinrich an wie ein Schaf. Er war im Süden aufgewachsen und die Arroganz der weißen Rasse spürte man in jeder seiner Gesten und Bemerkungen. Die beiden begrüßten sich förmlich mit Handschlag, wie sich zwei Geschäftsleute vor einem Meeting begrüßen und nicht wie Brüder die sich lange nicht gesehen haben.

      „Wie geht es Vater?“, wollte Heinrich wissen. Sie schritten durch die lichte Flughafenhalle, gemauert aus rotem Backstein, in den weiße Streifen aus Beton eingelassen waren. Vor den Säulen des Ankunftsbereiches parkte Eduards rote Corvette Stingray. Ein Oldtimer, den Eduard mit Hingabe wartete.

      „Ich weiß nicht“, der Halbbruder zuckte mit den Achseln. „Er hängt an diesen Schläuchen. Was die Ärzte faseln, habe ich nicht verstanden. Die mit ihren lateinischen Fachausdrücken können mir gestohlen bleiben. Mutter kann dir das besser erklären.“ Er schleuderte Heinrichs Tasche achtlos in den Kofferraum und klemmte sich hinter das Steuer. Heinrich wusste von früheren Besuchen, Eduard war ein erbärmlicher Fahrer. Er raste wie ein Verrückter, überfuhr jedes Stoppschild und musste er einmal bremsen, stieg er in die Eisen, dass sein Beifahrer unwillkürlich nach vorne geschleudert wurde. Er schnitt die Kurven, überholte auch an Stellen, an denen es jeder vernünftige Mensch gelassen hätte. Dass ihm die Polizei seinen Führerschein noch nicht weggenommen hatte, hing hauptsächlich mit dem Einfluss seiner Mutter zusammen. Heinrich standen kleine Schweißperlen auf der Stirn und seine Rechte umkrampfte den Haltegriff.

      „Musst du so rasen?“, presste er hervor.

      Eduard wieherte lauthals, fand die Bemerkung, ohne den Fuß vom Gaspedal zu nehmen, spaßig.

      Die Alleebäume der Selma Road flogen vorüber, die weiten Felder huschten gleich grünen Flecken an den Seitenfenstern vorbei. Aus den Augenwinkeln sah Heinrich die Arbeiter auf den Baumwollplantagen schuften.

      „Wie ist es passiert?“, fragte Heinrich um den Raser abzulenken.

      „Ein Herzinfarkt eben. Wäre auch nicht so schlimm gewesen, doch es gab ein Problem. Irgendein Medikament, das Vater genommen hat. Es führte zu einem Herz-Kreislaufkollaps. Sie wissen nicht ob sie ihn durchbringen, meint der Arzt.“

      Heinrich beschloss, sich im Krankenhaus zu erkundigen. Das Leiden des Vaters schien den Halbbruder nicht zu berühren. Er berichtete mit emotionsloser Stimme, als fasse er eine politische Diskussion zusammen.

      „Er hat Glück gehabt, dass die Ambulanz so schnell da war, sonst wäre er zuhause im Bett gestorben.“

      Heinrich schauderte bei dem Gedanken. Seit dem Tod der Mutter hasste er Krankenhäuser und vor dem Sterben hatte er eine Heidenangst.

      „Besteht Hoffnung?“

      „Ich glaube nicht, jedenfalls wirkten die Ärzte nicht sehr zuversichtlich.“

      Sie schwiegen minutenlang. Was hätten sie auch reden sollen. So nah standen sie sich nicht und Höflichkeitsfloskeln auszutauschen, dazu verspürte Heinrich nicht die geringste Lust. Unbehagliches Schweigen, unbequeme Gespräche, davor hatte sich Heinrich gefürchtet.

      „Mein Gott“, dachte er, „wie verschieden wir sind.“

      Heinrich hielt das Schweigen nicht lange aus und er begann ein belangloses Gespräch. Er erkundigte sich nach der Familie des Bruders. Dieser hatte ein Mädchen aus Montgomery mit zweifelhaftem Ruf geheiratet. Die Mutter, hätte ihn lieber an der Seite einer reichen Farmerstochter gesehen. Doch ihr zum Trotz blieb er stur. Die Frau gebar ihm zwei Kinder, an die sich Heinrich nur vage erinnern konnte. Sie wohnten in einem eigenen, von der Mutter bezahlten Haus in der Nähe der Farm. Der Stiefmutter wäre es lieber gewesen, das Paar wäre in das halb verwaiste Herrenhaus gezogen, schon um den Sohn von weiteren Dummheiten abzuhalten, doch dieses Ansinnen lehnte Eduard brüsk ab.

      Die fünfzig Meilen bis Selma zogen sich. Über den Feldern schwebte eine seltsame Melancholie. Flüchtig kam ihm der Marsch der Schwarzen von Selma nach Montgomery ins Gedächtnis. Er hatte davon in der Schule gehört. Dreimal brachen die ehemaligen Sklaven auf, um ihr Wahlrecht einzufordern. Es gab Tote und Verwundete. Erst beim dritten Anlauf mit Martin Luther King an der Spitze und unter dem Schutz der Bundespolizei konnten sie ihren Protestmarsch durchführen. Auf eben dieser blutgetränkten Chaussee schossen sie dahin. Heinrich glaubte die traurigen Lieder zu hören, die die Negersklaven damals auf den Baumwollplantagen sangen.

      „Mutter erwartet dich zum Essen“, informierte Eduard beiläufig. Eine unerwartete Wendung, mit der Heinrich nicht gerechnet hatte und die sein Unbehagen steigerte.

      „Ich dachte wir fahren ins Krankenhaus?“

      „Die Ärzte erlauben nur zwei Stunden Besuch täglich und die Besuchszeit ist am Nachmittag. Aber das macht nichts“, meinte der Halbbruder. „Mum hat das Gästezimmer schon herrichten lassen.“

      Heinrich sah sich in seinen schlimmsten Befürchtungen bestätigt. Innerlich seufzte er, doch was blieb ihm anderes, als sich in sein Schicksal zu fügen. Nach einer knappen Stunde passierten sie die Selma Bridge, sie durchquerten die kleine Stadt in unvermindertem Tempo. Etwas außerhalb bogen sie in die breite, gekieste, von alten Bäumen gesäumte Auffahrt. Mit weit ausholendem Schwung kurvte Eduard vor die weiße Freitreppe. Kies spritzte zur Seite, als er bremste. Die Treppe stieg von rechts und von links zu der mit korinthischen Säulen gesäumten Veranda empor. Das Haus zeugte vom verblichenen Glanz vergangener Zeiten und wirkte über die Maßen ehrfurchtgebietend. Unter normalen