GMO. Andreas Zenner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Zenner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847606734
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spät es war wusste er nicht, die Gäste waren gegangen. Heinrich lag noch immer bekleidet auf dem Bett. Als er sich ausgekleidet hatte und ins Bad huschen wollte, hörte er den Vater und Michelle heftig streiten. Lautstark warfen sie sich Schimpfwörter an den Kopf. Der Vater hatte zu viel getrunken. Mit lallender Stimme beschuldigte er Michelle mit einem anderen Mann geflirtet zu haben. Bekümmert schlüpfte Heinrich zurück unter die Decke. Michelle und seine Mutter waren gegensätzlich wie Feuer und Wasser. Er vermisste die Mutter, die immer sanft und zärtlich zu ihm war, die nie ein lautes Wort über die Lippen brachte.

      Knapp ein Jahr später wurde sein Halbbruder geboren. Ein fettes kleines Kind, das ununterbrochen schrie und an dem Michelle mit einer wahren Affenliebe hing. Sie nannten ihn Robert Eduard, nach dem berühmten Südstaatengeneral der Sezessionskriege. Und tatsächlich zeigte der Kleine im Laufe seiner Entwicklung ein herrisches Gehabe, welches Heinrich auf den Tod nicht ausstehen konnte. Mit dem Familienleben stand es nicht zum Besten. Vater und Michelle gerieten immer öfters in Streit, der Vater konnte die Ansprüche seiner jungen Frau nicht befriedigen. Heinrich fand ihn wieder öfters über einem Glas Whiskey brütend im Arbeitszimmer. Er sah müde aus und verloren. Es schmerzte ihn in der Seele, den Vater so elend zu sehen, doch er konnte ihm nicht helfen. Er selbst besuchte inzwischen die University of California in San Diego, hatte sich für ein Architektur-Studium entschieden. Nicht von ungefähr, denn durch seine Leidensgeschichte war es ihm eine Herzenssache geworden, in seinem Leben etwas aufzubauen, etwas Festes, im Boden Verankertes, das Halt gab und Schutz, in dem man sich geborgen fühlen konnte. Seine Dozenten sagten von ihm, das Talent wäre ihm wohl in die Wiege gelegt worden. Es machte ihm Freude, klar abgegrenzte Räume zu entwerfen, funktionelle Abläufe zu gestalten und in Zeichnung und Modell umzusetzen.

      Eines Tages, Heinrich präsentierte stolz das Modell eines Fabrikgebäudes, sagte der Vater:

      „Dein Großvater war zu seiner Zeit ein bekannter Architekt.“ Dann verstummte er. Als Heinrich mehr wissen wollte meinte er abwehrend:

      „Später mein Junge, später.“ Damit musste sich Heinrich zufrieden geben. Zu seinem achtzehnten Geburtstag schenkten sie Heinrich sein erstes Auto. Einen gebrauchten orangeroten VW Käfer. In Kalifornien waren diese Fahrzeuge bei den jungen Leuten in Mode. Er fuhr mit dem Wagen über das Land, genoss seine Unabhängigkeit, zeichnete Gebäude, besichtigte alte Kirchen und Klöster, Wohnhäuser und Wolkenkratzer. Besonders hatte es ihm der Architekt Frank Lloyd Wright angetan. Das von ihm entworfene Haus „Fallingwater“ liebte er über alles.

      Als er eines Abends von einer mehrtägigen Exkursion zurückkehrte, fand er die Stiefmutter in Schwarz mit rot verweinten Augen. Ihre Mutter war gestorben, den Vater hatte sie schon in jungen Jahren verloren. Am nächsten Tag flog sie mit dem Vater und dem Halbbruder nach Selma, um die Beerdigung zu arrangieren. Michelle war die einzige Tochter und, wie sich bei der Testamentseröffnung herausstellte, die Alleinerbin eines beträchtlichen Vermögens. Zu ihrem Besitz gehörten ein Herrenhaus von schlossähnlichen Ausmaßen nebst einer Baumwollfarm und eine Firma zur Vermarktung von Agrarprodukten. Im Haus dienten eine schwarze Köchin, ein schwarzer Diener, ein Zimmermädchen und ein Gärtner, der den weitläufigen Park in Ordnung hielt. Heinrich, den eine dringende Klausur hinderte, konnte nicht mitfahren. In Selma erwartete Michelle ein Leben im Überfluss, wie sie es aus ihrer Kindheit kannte. Die Frage, ob sie die Farm weiterführen würde, stellte sich für sie nicht. Hier war sie aufgewachsen, herrschte wie eine Königin. Es bedurfte nur minimaler Überredungskünste und einer leidenschaftlich verbrachten Nacht, schon stimmte der Vater einem Umzug nach Alabama zu. Zwei Wochen später, die beiden kamen kurz zurück, wurde Heinrich vor vollendete Tatsachen gestellt. Es kränkte ihn, dass sie ihn nicht gefragt hatten, andererseits war er froh, die ungeliebte Stiefmutter und den lästigen Halbbruder loszuwerden. Für ihn kam eine Übersiedelung nicht in Betracht, er wollte sein Studium auf keinen Fall unterbrechen und in Alabama wären seine Möglichkeiten als Student nicht annähernd so gut gewesen. Nach kurzer Beratung entschieden sich die Gerstones für eine Trennung. Heinrich blieb in Coronado, behielt das Haus, das ursprünglich seiner Mutter gehört hatte. Der Vater, die Stiefmutter und Eduard zogen nach Alabama. Jahrelang hatte er davon geträumt sein eigener Herr zu sein. Jetzt konnte er tun und lassen was er wollte, doch die ungewohnte Stille im Haus ängstigte ihn. Ein halbes Jahr ließ er die Räume unverändert, eine heilige Scheu hinderte ihn, die Möbel zu verrücken oder das verschlissene Sofa wegzuwerfen. Jedes Stück erinnerte ihn an die verstorbene Mutter. Den Vater vermisste er weniger. Er fühlte sich sogar erleichtert, denn noch immer lastete die Verantwortung für den Vater auf ihm, auch wenn er diese Bürde nicht mehr tragen musste. Heinrich erkannte rasch, dass ihm das Alleinsein nicht gut tat und er pinnte einen Zettel an das schwarze Brett der Universität.

      „Zimmer in ruhiger Umgebung an Studenten zu vermieten.“

      Schnell hatten sich zwei Kommilitonen gefunden und das Leben kehrte zurück in das stille Haus in der Tolita Avenue. Sie feierten wilde Partys mit Mädchen und jeder Menge Alkohol oder sie lagen gemeinsam faul am Strand in der Sonne. Ab und zu brachte Heinrich eine Studentin mit nach Hause, die blieb eine Nacht, manchmal auch einen Monat oder zwei. Etwas Ernsteres entwickelte sich nicht daraus. Trotz des lockeren Lebens vernachlässigte Heinrich nie sein Studium. Der Kontakt zu seiner Familie blieb spärlich, selten nur, in den Ferien flog er nach Alabama, sah den Vater, ging er mit ihm im Park spazieren und sie sprachen über belanglose Dinge. Am bekannten Geruch merkte er, der Vater trank wieder, und sie hatten sich nicht viel zu sagen. Heinrich spürte eine gewisse Lethargie bei ihm. Der viele Bourbon tat ein Übriges. Heinrich erlebte den Vater öfters mit triefenden Augen und manches Mal musste er ihn bei den gemeinsamen Spaziergängen stützen. Die ständige Alkoholfahne, schon am frühen Morgen, ekelte ihn und er fragte sich mehr als einmal: „Warum tust du dir das an?“ Seine Stiefmutter hingegen entwickelte sich mehr und mehr zu einer tüchtigen Geschäftsfrau. Sie kommandierte die Arbeiter auf der Farm herum, wirbelte durch das Kontor und hielt alle auf Trab. Ihren Gläubigern gegenüber verhielt sie sich knallhart. Mehr als eine Rechtsanwaltskanzlei war damit beschäftigt, ihre Streitigkeiten auszufechten und Außenstände einzutreiben. Eduard, der Sohn zeigte immer mehr sein hässliches Gesicht. Vom Nichtstun war er so fett geworden, dass ihm der Hemdknopf über dem Bauch abgeplatzt war, seiner Mutter ähnlich scheuchte er das Personal herum. Er bemühte sich nicht um Bildung, lungerte lieber mit anderen gelangweilten Jugendlichen auf dem Tennisplatz herum und führte angeberische Reden. Einen Schläger nahm er nicht in die Hand. In dieser Umgebung fühlte sich Heinrich nicht heimisch und seine Besuche wurden von Mal zu Mal kürzer, bis sie schließlich ganz aufhörten.

      Einer von Heinrichs Mitbewohnern hatte sein Studium abgeschlossen und war nach Salton City zu seiner Familie zurückgekehrt. Also befestigte Heinrich seinen Zettel wieder am schwarzen Brett.

      „Mitbewohner gesucht.“

      Die Universität hatte in den letzten Jahren eine Reihe von günstigen Studenten-Appartements gebaut, trotzdem herrschte ein Mangel an billigen Unterkünften.

      An einem Samstagmorgen, Heinrich trug noch seine Schlafshorts, klingelte es an der Tür. Draußen stand eine junge Frau, sie trug ein kurzes geblümtes Sommerkleid. Ihre dunkelbraunen, fast schwarzen Haare fielen ihr bis über die Schultern hinab. Zwei große brennende Augen über einem vollen, sinnlichen Mund, die Lippen rosafarben betont. Die kleine Nase saß genau richtig, unterstrich die leicht vorgewölbten Wangenknochen. Die braune Haut wies auf ihre mexikanische Herkunft hin. Die buschigen Augenbrauen zusammengezogen, blickte sie ihn erwartungsvoll an. Heinrich stockte der Atem. Sie musterte die traurige Gestalt von oben bis unten, konnte sich ein Lachen nicht verbeißen. Es stand ihr bezaubernd.

      „Sind Sie Heinrich? Ich komme wegen des Zimmers, oder störe ich?“

      Heinrich stotterte: „Ja, äh, schon.“

      Verlegen wischte er sich die Hände an den Shorts ab.

      „Verdammt hübsch“, schoss es ihm durch den Kopf. Sie gefiel ihm auf den ersten Blick, obwohl er die Augen kaum aufbrachte.

      „Kann ich das Zimmer sehen?“

      „Oh ja, ja natürlich. Entschuldigen Sie meinen Aufzug, aufgeräumt habe ich auch noch nicht.“

      „Keine Angst, ich putze schon nicht für Sie.“

      Unschlüssig