Fritz I - ein Knirps wehrt sich. Bernd Franzinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Franzinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016789
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du willst, könnten wir ihn zur Adoption freigeben«, sagte Dr. Hubert Wollenweber. Seine Stimme war kalt wie ein eisiger Nordwind.

      Fritz jagten Frostschauer den Rücken hinunter.

      »Was?«, zischte Bea mit entgeisterter Miene.

      »War nur ein kleiner Scherz am Rande«, ließ Hubi umgehend die Luft aus seinem Versuchsballon entweichen.

      Für derart makabere Scherze war Fritz ganz und gar nicht zu begeistern, ging es doch um nichts Geringeres als um seine Zukunft. Und da verstand er nun mal absolut keinen Spaß. Schließlich hatte er sich viel vorgenommen für sein Leben. Er wollte einiges erreichen, wollte berühmt und vor allem steinreich werden.

      Nach alldem, was er durch die Bauchdecke vernommen hatte, schienen die Voraussetzungen dafür durchaus gegeben zu sein. Zumindest, was die bildungsnahen, akademischen Sozialisationsbedingungen betraf, in die ihn die unergründlichen Mächte des Schicksals hineingeworfen hatten – dankenswerterweise.

      Die Tatsache, dass er kein Wunschkind war, ignorierte er großzügig. Fritz war froh, überhaupt das Licht der Welt erblickt zu haben. Zudem: Was nutzte es einem, wenn man von einer prekariären Patchwork-Family wegen der pekuniären staatlichen Transferleistungen zwar geplant worden war, man dafür aber in einem bildungsfernen Elternhaus aufwachsen musste? Wo blieben denn da die intellektuellen Anregungen? Wo die maßgeschneiderten Fördermaßnahmen? Und wo die Karrierechancen?

      Dann doch lieber bildungsnah-ungeplant!

      Friedrich Karl Eckstein hatte großes Glück, denn seine Eltern waren ausgewiesene Bildungsexperten. Sie beschäftigten sich sogar hauptberuflich mit der Erziehung und Bildung von Menschen. Zwar nur theoretisch, aber immerhin! Bea schrieb Elternratgeber, und der akademische Oberrat Dr. Hubert Wollenweber arbeitete am Lehrstuhl für innovative Erziehungswissenschaft an der Münchner Universität.

      Kigogadäp – eid Sisab red Noitasiliviz!, rief sich Friedrich Karl Eckstein einen Spruch seiner Eltern ins Gedächtnis. Er hatte ihn jeden Morgen gehört. Ob er nun gewollt hatte oder nicht. Immer beim Frühstück. Seine Chromosomenspender hatten sich an den Händen gefasst und im Chor diese rituellen Worte in den neuen Tag gehaucht. Immer genau fünfmal hintereinander.

      Den mehrgeschossigen Neubau hatte man mitten in die Innenstadt hineingepfropft, exakt dort, wo früher das alte Theater stand. Das klotzige Gebäude war trist und kalt, dafür aber konnte es mit einer Tiefgarage aufwarten – und mit einem Aufzug! Was Fritz egal war, den Babysherpas dagegen nicht.

      Gleich nachdem sich die Lifttür mit einem schmatzenden Geräusch geschlossen hatte, begann auch Hubi zu schmatzen. In der Wohnung schmatzte er weiter. Ob aus Lust auf ein Stück Fleisch oder aus Fleischeslust vermochte der kleine Fritz zunächst nicht einzuschätzen.

      Hubi stellte die Baby-Safety-Schale im Flur ab, direkt neben den Schirmständer. Fritz tat so, als ob er schlief. Dem war aber nicht so.

      Während der akademische Oberrat Dr. Hubert Wollenweber stöhnte und grunzte, schnupperte der kleine Fritz. Es roch moderig. Der üble Geruch strömte ihm aus Hubis Halbschuhen entgegen. Voller Abscheu stieß Fritz Luft durch die Nase und drehte den Kopf zur Seite – doch da stand der Eimer mit Biomüll.

      Irgendwann kehrte Bea zu ihm zurück. Sie war puterrot und sah ziemlich zerrupft aus. Fritz wurde auf den Küchentisch gehievt. Dort roch es nach Hundefutter. Obwohl es hier überhaupt keinen Hund gab. Denn das hätte er in den letzten Monaten ja wohl mitbekommen müssen.

      Oder vielleicht war es auch Katzenfutter? Das wiederum hätte Sinn gemacht, denn eine Katze wohnte hier. Jedenfalls hatte sie hier gewohnt, als er hier als Untermieter seiner Mutter gewohnt hatte.

      »Ow tsi eid Eztak?«, brabbelte er vor sich hin.

      »Was hast du eben gesagt?«, fragte Bea.

      »Ich habe nichts gesagt«, versicherte Hubi.

      »Doch, natürlich hast du eben etwas gesagt«, beharrte Bea.

      »Und was soll ich gesagt haben?«, fragte Hubi.

      »Ich habe nicht verstanden, was du eben gesagt hast.«

      »Klar, weil ich nichts gesagt habe.«

      Bea fing an zu weinen. »Warum sagst du mir nicht, was du eben gesagt hast?«, jammerte sie.

      »Ich habe nichts gesagt, mein Schatz«, stellte Dr. Hubert Wollenweber unmissverständlich klar. Er klatschte in die Hände. Und zwar so unvermittelt und laut, dass Fritz wie vom Blitz getroffen zusammenfuhr.

      Sein Oberkörper schnellte nach vorne. Er glitt aus der Baby-Safety-Schale, die allerdings zu diesem Zeitpunkt keine Baby-Safety-Schale mehr war. Wie auch, denn Hubi hatte vorhin den Sicherheitsgurt geöffnet – und nicht wieder verschlossen!

      Kopfüber rutschte Friedrich Karl Eckstein über die Tischkante hinweg und stürzte mit den geöffneten Fontanellen voran auf einen ungepolsterten Küchenstuhl. Der Rest seines Leibes folgte den Fontanellen wie ein nasser Sack.

      Er weinte nicht. Sie schon – und wie! Obwohl sein Kopf schmerzte, nicht ihrer!

      Er bewegte sich auch nicht. Sie schon – wie ein aufgescheuchtes Huhn.

      »Bitte, lieber Herrgott, lass ihn nicht sterben«, schrie Bea wie von Sinnen.

      Was für ein Unsinn, kommentierte der kleine Fritz tonlos, denn das hatte er nun wirklich nicht vor. Demonstrativ schlug er die Augen auf. Glotz nicht so blöd, schimpfte er, als er das bleiche Gesicht des Gummiknüppelträgers über sich auftauchen sah.

      Schlagartig wurde ihm bewusst, dass dieser Sturz etwas ausgesprochen Positives bewirkt hatte: In seinem Kopf war nun wieder alles in Ordnung, und er musste fortan nicht mehr rückwärts denken und sprechen.

      »Er lebt!«, stieß Bea erleichtert aus. »Wir müssen ihn sofort zum Arzt bringen.«

      Das wollte Fritz unbedingt vermeiden, deshalb strampelte er, was das Zeug hielt. Zudem riss er die Ärmchen hoch und quiekte dazu wie ein Ferkel.

      »Quatsch«, meinte Hubi. »Den Sprit können wir uns sparen. Der ist doch quietschfidel. Das sieht doch jeder Blinde.«

      Diesen Satz verstand Fritz nicht.

      »Vielleicht hat er innere Verletzungen«, setzte Bea nach.

      »Mach dir keine Gedanken, mein Schatz, Babys passiert bei solchen Stürzen nie etwas«, behauptete Hubert, der Theoretiker.

      Und wenn doch?, dachte Fritz, dem sein triebgesteuerter Erzeuger immer suspekter wurde. Mit funkelnden Augen blickte er ihn an.

      Genau in diesem Augenblick läutete es an der Tür. Paula und Karl, beide mit Nachnamen Eckstein, schneiten in die Wohnung herein, und das, obwohl der Winter schon längst vorüber war.

      Karl und Paula waren seine Großeltern, mütterlicherseits. Sonst hatte er keine. Denn Hubis Eltern hatten sich bereits vor vielen Jahren bei einer Wüstenexpedition aus dem Staub gemacht.

      »Mama, Mama, Fritzchen ist vom Tisch gefallen«, rief Bea und fiel ihrer Mutter schluchzend in die Arme.

      »Ist er verletzt?«, fragte Paula Eckstein mit sorgenvoller Miene.

      »Nein – ähm, ich weiß nicht.«

      »Wie, du weißt nicht? Hast du ihn denn noch nicht untersucht?«

      »Nein, Mama. Hubi meint, es sei alles in Ordnung.«

      »Na, wenn Hubi meint.« Paulas spöttischer Unterton war nicht zu überhören.

      »Per Ferndiagnose, oder wie?«, knurrte es hinter Paulas Rücken.

      Fritz wusste, dass diese Laute nicht von einem Hund stammen konnten, denn Hunde konnten ja nicht sprechen. Aber Menschen konnten knurren. Und das tat Opa Karl oft. Vor allem, wenn Hubi in der Nähe war. Denn er mochte Hubi nicht leiden. Und das war Fritz ausgesprochen sympathisch.

      Außerdem war er quasi hautnah mit seinem Opa verbunden, schließlich hatte er von ihm seinen zweiten Vornamen erhalten. Gott sei Dank! Sonst