Fritz I - ein Knirps wehrt sich. Bernd Franzinger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Bernd Franzinger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738016789
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Depression. »Stillen? Oh nein, mein schöner Busen.«

      »Oh nein, ihr schöner, schöner Busen!«, pflichtete der akademische Oberrat Dr. Hubert Wollenweber eiligst bei, um die Katastrophe noch zu verhindern.

      Kopfschüttelnd stürmte die Hebamme aus dem Kreißsaal. Kurz darauf kehrte sie mit einem Plastikfläschchen zurück. Ohne Vorwarnung drückte sie dem kleinen Fritz den Latexsauger zwischen die Lippen.

      Reflexartig saugte er daran, schließlich hatte er noch immer einen Bärenhunger. Aber der Geschmack war so widerlich, dass er die Kunstnahrung umgehend wie mit einem Wasserzerstäuber aussprühte – direkt auf die Brillen der beiden Fleischbeschauer.

      Der anschließende Kampf um die Mutterbrust währte den gesamten restlichen Tag. Friedrich Karl Eckstein obsiegte.

      Es war nicht der letzte Sieg in seinem Leben.

      Fritz verstand nicht, weshalb seine Mutter unbedingt im Krankenhaus bleiben wollte. Er jedenfalls hatte die Nase gestrichen voll. Dieses öde Zimmer, dieses ständige Wehklagen – und diese fette Hebamme, die immer so grob an ihm herumhantierte.

      Vor allem, wenn er nackend war.

      Einmal wurde es ihm zu bunt und er schoss ihr einen gelben Strahl ins Gesicht.

      Während Bea am liebsten nie mehr aus ihrem Bett gekrochen wäre, wollte er so schnell wie möglich weg von hier. Er war unheimlich gespannt auf sein neues Zuhause – das ja zugleich sein altes war. Denn gelebt hatte er dort ja bereits mehrere Monate, aber gesehen hatte er es noch nicht. Genauso wenig, wie er darin herumgeschnüffelt hatte, worauf er sich besonders freute.

      Doch Beatrice Eckstein weigerte sich. Obwohl sie maßgeblich dafür verantwortlich war, musste er als Begründung herhalten. Zuerst waren es weitere diagnostische Maßnahmen, mit denen man ihn drangsalierte.

      Und dann begann ihre linke Brustwarze zu bluten.

      Einfach so!

      Das beeinträchtigte seine materielle Grundversorgung. Aus Wut darüber bekam er Gelbsucht. Ihm gefiel die neue Hautfarbe. Den Ärzten dagegen weniger.

      Die Probleme mit seiner dauerpiensenden Nahrungsquelle verschärften sich. Bea begann sofort zu weinen, wenn sie Friedrich Karl Eckstein erblickte. Deshalb musste er unzählige Stunden in einem Säuglingsgefängnis verbringen.

      In diesem Wartesaal des Lebens standen viele Babyställe herum. Manche waren sogar verglast und sahen aus wie Aquarien. Wasser war aber keins darin. Was Fritz zutiefst bedauerte. Denn seine Altersgenossen schrien, was das Zeug hielt. Warum, wusste er nicht. Aber der Lärm störte ihn gewaltig.

      Nur im benachbarten Gitterkäfig war es still. Der darin eingesperrte Kollege trug ein roséfarbenes Armbändchen am rechten Arm, einen linken hatte er nicht. Er glotzte zu ihm herüber. Aber dieses Glotzen war anders, irgendwie unsymmetrisch. Der kleine Fritz schloss die Augen, er mochte keine Gaffer.

      Beatrice Eckstein bekam Antidepressiva verabreicht. Die Medikamente schlugen an. Das freute die Ärzte, Fritzchen dagegen weniger. Denn das Psycho-Doping wirkte auf seine Mutter wie ein Regenguss auf verdörrtes Brachland.

      Bei ihr sprossen allerdings keine Blumen, sondern Affenliebe. Und das mit all ihren lästigen Begleiterscheinungen: Urplötzlich fummelte sie überall an ihm herum, streichelte ihn, roch an ihm, küsste ihn. Einmal leckte sie ihn sogar am Arm. Da musste sich der kleine Fritz übergeben.

      Die unerwünschten Liebkosungen hatten aber auch ihr Gutes: Sie verschafften Fritz endlich die Möglichkeit, seine Mutter einmal genauer unter die Lupe zu nehmen. Zum ersten Mal übrigens.

      Denn vor Einnahme der Psychopharmaka hatte sie ihm beim Stillen stets eine Stoffwindel über den Kopf gelegt. Warum sie ihm den Blickkontakt verweigerte, wusste er nicht. Aber es hatte ihn auch nicht sonderlich gestört. Vielmehr empfand er das gedämpfte Licht und die Geborgenheit unter dem weichen Baldachin als ausgesprochen angenehm.

      Nun war das Tuch weg. Dafür waren jetzt zwei riesengroße Rehaugen da, die ihn verzückt begafften. Fritz hatte Angst, in den samtbraunen Bambi-Moloch hineingezogen zu werden. Deshalb schloss er die Augen.

      Er öffnete sie erst wieder, als er im Auto saß. Auf der Rückbank versteht sich, denn er hatte ja noch keinen Führerschein. Er lag in einer nagelneuen BSS, einer Baby-Safety-Schale.

      Der akademische Oberrat Dr. Hubert Wollenweber hatte fast eine Stunde benötigt, um sie einzubauen. Das Handwerkliche war nicht so sein Ding. Er dachte lieber nach – und zwar über alles Mögliche.

      Vor allem über die Möglichkeit, sich so oft wie möglich seinen väterlichen Pflichten zu entziehen.

      Seit dem PISA-Schock suchte Hubi mit Inbrunst nach Konzepten, mit denen man die angebliche deutsche Bildungsmisere kurieren konnte. Und dazu musste man sich im Ausland umschauen, einen mutigen Blick über den eigenen Tellerrand werfen – wie er immer wieder mit erregter Stimme in seinen Seminaren betonte.

      »Wir werden Hilfe in Finnland finden«, fand er.

      Ja, Hubi war oft erregt. Nicht nur im Kopf, nein, auch dort, wo sein Gummiknüppel die meiste Zeit des Tages wie ein schlaffer Gartenschlauch herumbaumelte. Und nicht nur zu Hause, nein, auch an der Universität. Besonders im Sommer, wenn er von den leichtgeschürzten Studentinnen magisch angezogen wurde. Ach, welch ein Schlaraffenland!

      Aber zurück zu seinem eingeborenen Sohn: Wie ein zusammengekrümmter Wurm kauerte der kleine Fritz neben seiner Mutter und spähte durch die Kopfstützen. Retreisarnu Legelf, dachte er, als er den Mehrtagesbart seines Zellenspenders entdeckte.

      »Wie geht es dir, mein Schatz?«, flötete Hubi mit brünftigem Unterton.

      »Gut«, hauchte Bea. Dabei lächelte sie wie ein bekifftes Honigkuchenpferd in den Rückspiegel.

      »Ich hab für uns beide heute Abend einen Tisch bei Franco bestellt«, verkündete Hubi strahlend.

      »Fein. Das ist eine ganz tolle Idee«, lobte Beatrice Eckstein. Doch plötzlich schürzte sie die Lippen und wies mit sorgenvoller Miene auf Fritz. »Aber, was ist mit ihm?«

      »Kein Problem, der stört uns nicht. Ich hab deine Eltern angerufen. Sie kümmern sich um den kleinen Balg.«

      »Sprich nicht so abschätzig über ihn«, maßregelte Bea. »Fritzchen ist schließlich auch dein Kind.«

      »Ja, sicher, mein Schatz, entschuldige«, zog Hubi den Schwanz ein. »Wir kriegen das mit ihm schon irgendwie gebacken.«

      Entsetzt riss Fritz die Augen auf, denn gebacken wollte er nun wirklich nicht werden.

      »Hoffentlich«, seufzte Beatrice Eckstein unterdessen. »Vielleicht hätte ich damals doch besser den kleinen Eingriff machen lassen sollen.«

      »Ach, was«, bemerkte Hubi mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Dafür ist es eh zu spät. Ist auch besser so, sonst müssten wir jetzt mit einem schicken Cabrio durch die Gegend fahren und die Osterferien in Sri Lanka verbringen.« Diese Worte schmeckten bitterer als die dunkelste Schokolade, die er jemals gegessen hatte.

      Bea wischte sich eine Träne von der Wange.

      Wem sie diese Träne nachweinte, war Fritz nicht so ganz klar.

      »Da müssen wir jetzt wohl durch, mein Schatz. Schließlich sind wir beide gleichermaßen für diese fleischgewordene biologische Eskalation verantwortlich.«

      »Du aber bedeutend mehr als ich«, meinte Bea vorwurfsvoll. »Wer von uns kann sich denn nie beherrschen?« Sie spitzte die Lippen. »Vor allem, wenn er zu viel Rotwein getrunken hat. Und das ist ja leider meistens so.«

      »Von wegen, meine Liebe«, höhnte er. »Wenn ich dich an unseren letzten Toskanaurlaub erinnern dürfte. Da hast du nachweislich mehr gebechert als ich.« Hubi seufzte tief. »Aber es stimmt ja, was du sagst, Bea-Schatz. Nur kann ich leider nichts dagegen tun. Es ist dieser fürchterliche Furor, der allzeit in mir wütet. Mutter Natur hat es mir wirklich nicht leicht gemacht, als sie mich mit diesem unbändigen Fortpflanzungstrieb geknechtet hat.«

      »Ach,