Leichenfund im Lausehügel. Marion Romana Glettner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Romana Glettner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746765372
Скачать книгу
schaute er Emma unverwandt an.

      Emma stammelte etwas von «mal sehen» und Anna versicherte, dass sie sehr gerne käme. Über das dazu nötige Geld machten sie sich in diesem Moment keine Gedanken.

      Es begann zu schneien, kleine feine Flöckchen schwebten vom dunklen Himmel herab, der Mond beleuchtete kurz den Dorfplatz und wurde dann rasch wieder von den Schneewolken verschluckt.

      Brandenberger schickte sich an zu gehen. Er verabschiedete sich mit einer galanten Verbeugung und lüftete kurz seinen Hut. Dann ging er zu seinem Wagen, entnahm einer Klappe in dessen vorderem Bereich eine Kurbel und warf gekonnt den Motor an. Ein lautes Brummen durchschnitt die abendliche Stille, die Lichter an der Kühlerhaube gingen an und ihre Kegel leuchteten über den Platz bis zur Kreuzstrasse. Brandenberger zog sich feine lederne Handschuhe über und stieg ein. Die beiden Frauen traten vorsichtshalber ein paar Schritte zurück. Brandenberger winkte, und weg war er, Richtung Rickenbach, hinter einer Wolke von aufgewirbeltem Schnee.

      Emma und Anna schauten dem Wunder sprachlos hinterher. Die Kirchturmuhr schlug neun. Die Flocken fielen jetzt dichter und wurden von einem leichten Wind herumgewirbelt.

      «Ich muss heim», sagte Emma in die Verlegenheit und hoffte, dass Anna ihren inneren Aufruhr nicht bemerkte. «Was machst du morgen?»

      «Vermutlich habe ich den ganzen Tag mit der Wäsche zu tun, kommt auf das Wetter an. Vielleicht können wir uns am Abend treffen.» Anna wollte sich schon auf den Heimweg machen, als sie sich nochmals umdrehte: «Übrigens: Weisst du, was die Erni heute zu meiner Mutter gesagt hat?»

      «Nein, keine Ahnung. Was sollte sie schon sagen? Vermutlich hat sie sich fürs Hüten bedankt», rätselte Emma.

      «Schön wär’s! Sie behauptete doch allen Ernstes, ich hätte Trudeli einen giftigen Trank verabreicht und deshalb hätte die Kleine am Abend erbrochen …» Anna schüttelte den Kopf. «Stell dir das mal vor!»

      «Allerhand!» Emma wusste gar nicht, was sie dazu sagen sollte.

      «Jedenfalls, man weiss ja, die Frau ist nicht ganz bei Trost. Das ist der Beweis. Also, wir sehen uns vielleicht morgen.»

      Die Kinder waren von der Strasse verschwunden. Auch sonst war niemand mehr zu sehen. Als Brandenberger mit seinem Automobil davongefahren war, war so manche Haustür und manches Fenster verstohlen geschlossen worden. Emma wurde plötzlich bange. Der Mond war im Schneetreiben nicht mehr auszumachen. Sie hätte jetzt doch ganz gerne eine Laterne dabeigehabt.

      Als sie in den Kirchrain einbog, traf sie unvermittelt auf Fritz, der, scheinbar lässig an einen Apfelbaum gelehnt, auf sie zu warten schien. Sein Hut hatte bereits eine dünne Schneeschicht angesetzt. Emma hatte gar nicht bemerkt, dass er aus der Wirtschaft gekommen war. Er musste ja irgendwann an ihnen vorbeigegangen sein.

      «Na, Jungfer Bachmann? Wie geht’s, wie steht’s?», fragte er. Während er sich schwerfällig vom Baum abstiess und näher kam, nahm er einen Schluck aus seinem Flachmann, den er gleich wieder in die Brusttasche seines Kittels rutschen liess. Seine Bewegungen waren unsicher und sein Blick aggressiv. Er war ein kleiner stämmiger Mann mit dunklen Haaren und eng zusammenliegenden Augen. Ein Schneidezahn fehlte. Seine riesige Nase erinnerte an einen Raubvogel. Fritz warb eine Zeit lang um Emma. Seit sie ihm zu verstehen gegeben hatte, dass sie nicht an ihm interessiert war, wurde er zunehmend aufdringlicher.

      «He Fritz. Lass mich in Ruhe, ich muss nach Hause», sagte Emma und hoffte, dass ihre Stimme nicht allzu sehr zitterte.

      «Aha, Jungfer Bachmann muss nach Hause», spottete Fritz, dessen Atemwolke nach Schnaps stank. «Wartet etwa schon der Brandenberger in deinem Bett?» Er schaute Emma wollüstig an. «Oder ist er schon bei der Jungfer Müllerin?»

      «Lass mich in Frieden.» Emma versuchte, an Fritz vorbeizukommen.

      Doch Fritz war kräftig und unberechenbar in seinem Rausch. Er kam provozierend näher. Emma spürte die drohende Gewalt und bekam Angst.

      «Komm, schöne Hexe, komm», säuselte Fritz und nahm wieder einen Schluck aus seiner Taschenflasche.

      «Emma! Bist du das?», tönte es laut durch die Winternacht.

      Gottlob, der Pfarrer. «Ja, Herr Pfarrer!», rief Emma.

      Fritz gab den Weg sofort frei und verschwand in der Dunkelheit. Emma raffte ihre Röcke zusammen und lief, so rasch es bei dem Schnee eben ging, nach Hause. Pfarrer Wartmann stand Tabakpfeife rauchend auf der Pfarrhaustreppe. Unversehens kam Tigi aus der Dunkelheit geschossen, überholte Emma und rannte erhobenen Schwanzes die Stufen zur Haustür hoch.

      «So so so … Ist alles in Ordnung?», fragte der Pfarrer leichthin und zog an seiner Pfeife.

      «Ja, alles in Ordnung», keuchte Emma und blieb unterdrückt keuchend stehen.

      «Was war da los?» Der Pfarrer nestelte an seinem Tabaksbeutel herum.

      «Fritz hat mich wieder mal aufgehalten.»

      «Was wollte er?»

      «Er war wohl einfach betrunken …», wehrte Emma ab.

      «So so so …» Der Pfarrer stopfte seine Pfeife neu. «Vielleicht sollte ich bei Gelegenheit mal mit seinem Vater ein Wörtchen reden.»

      Fritz war der Sohn von Dölf Beerli, seines Zeichens Regierungsrat mit einiger Macht und noch mehr Einfluss. Die Mutter war eine fromme, biedere Hausfrau, die sich schon duckte, wenn ihr Ehemann oder ihr Sohn nur das Wort ergriffen. Die Beerlis hatten Geld, seit sie vor ein paar Jahren ihr Landwirtschaftsland an die Maggi-Fabrik in Kemptthal verkauft hatten. Seither war Vater Beerli in der Politik aktiv. Die älteren Geschwister von Fritz waren längst aus dem Haus. Nur Fritz lebte immer noch oder immer wieder zu Hause. Er war ein Taugenichts von Kindsbeinen an und hatte das Heu mit niemandem auf der gleichen Bühne. Ein Sorgenkind eben. Eine Ausbildung konnte er nicht machen, weil kein Lehrmeister ihn nehmen wollte. Als der Vater dann ein grosszügiges Lehrgeld in Aussicht stellte, nahm der Schmied von Altikon das Söhnchen in die Lehre. Die Sache ging aber nicht lange gut. Trotz aller väterlichen Unterstützung wurde Fritz zum Teufel gejagt. Was vorgefallen war, wusste man im Dorf nicht genau. Fritz schlug sich seither immer mal wieder für ein paar Wochen mit Gelegenheitsarbeiten durch, im Sommer zum Beispiel mit Arbeiten bei diesem und jenem Bauern. Im letzten Winter hatte er bei Maggi angeheuert, lange blieb er aber auch da nicht. Früher oder später fiel er immer wieder in den Schoss der Familie zurück. Der Vater hörte verständlicherweise nicht auf zu hoffen, dass sein Jüngster doch noch eine Frau finden und eine Familie gründen würde. Auch wenn er sich eigentlich ein Mädchen aus gutem Hause für seinen Sohn gewünscht hätte, so schaute Herr Beerli doch halbwegs wohlwollend zu, als Fritz Emma den Hof machte. Im Prinzip hätte diese einfache Dienstmagd ja dankbar sein müssen, einen Verehrer wie seinen Sohn zu haben, war Vater Beerli überzeugt. Als Fritz’ Bemühungen um Emma ins Leere liefen, teilten sich Vater und Sohn das Gefühl der Schmach über diese Abfuhr und beide entwickelten eine gehörige Wut auf dieses «eingebildete Weib».

      «Vielen Dank, Herr Pfarrer», sagte Emma höflich und betrat das Haus. Frau Wartmann kam mit einer Lampe in der Hand aus der Stube. «Was höre ich da?», fragte sie forsch.

      «Es ist nichts passiert, Frau Pfarrer. Fritz war nur betrunken.»

      «Um diese Zeit gehört ein anständiges Mädchen sowieso nicht mehr allein auf die Strasse», schimpfte Frau Wartmann. «Über deine abendlichen Ausgänge müssen wir bei Gelegenheit noch reden.» Dabei suchte sie den Blick ihres Ehemannes, der soeben wieder ins Haus trat.

      Emma war inzwischen den Tränen nahe.

      «Du bist ja ganz verstört», sagte Frau Wartmann nun etwas freundlicher. «Komm, ich begleite dich noch bis zur Hintertür. Sicher musst du noch rasch auf den Abort.»

      Später im Bett dachte Emma über den Abend nach. Ihr war klar, dass sie heute ziemliches Glück gehabt hatte. Sie wagte nicht daran zu denken, was noch alles hätte passieren können. Jesses Gott! Und da war ja auch noch Simon Brandenberger. Und der Herr Pfarrer … Ihre Gefühle waren heute gehörig durcheinandergeraten.

      Der letzte