Leichenfund im Lausehügel. Marion Romana Glettner. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Marion Romana Glettner
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746765372
Скачать книгу
dass du mit dem Herrn Pfarrer zusammen am Tisch sitzt. Das kommt nicht noch einmal vor, verstanden!»

      Anders als ihr braver Ehemann hatte seine Gattin rasch bemerkt, dass Emma für ihren Herrn mehr empfand, als schicklich war, und die heimliche Leidenschaft des Mädchens reizte natürlich ihre Eifersucht.

      Emma fühlte, wie Ohnmacht in ihr aufwallte, der Zorn trieb ihr die Röte ins Gesicht. Was hätte sie denn machen sollen? Dem Pfarrer widersprechen? Woher wusste diese Zwetschge das überhaupt?

      Widerworte waren undenkbar. So blieb Emma ihrer Herrin eine Antwort schuldig, was fast ebenso unverschämt war. Mit gesenktem Blick verliess sie rasch die Kammer. Hinter ihr fiel die Tür krachend ins Schloss.

      «Dass du mir so schnell wie möglich diese Bettwäsche wechselst. Und vergiss die Nachttöpfe nicht!», rief ihr Frau Pfarrer noch nach.

      Emma litt wie ein geschlagener Hund, seitdem ihr Herr seine junge Gemahlin ins Haus gebracht hatte. Früher, mit der Mutter des Herrn Pfarrer, war es so harmonisch gewesen. Mutter Wartmann war fast ein bisschen ein Mutterersatz geworden und jetzt vermisste sie die ältere Frau schmerzlich. Damals lebte Emma in der Illusion, dass ihr Herr Pfarrer niemals heiraten würde. Und falls doch irgendwann, dann sie, Emma Bachmann. Besser gesagt Emma Wartmann … Das tönte doch gut. Sie hätte ihm so gerne eine Schar gesunder Kinder geschenkt und nur ihm persönlich sein Mittagessen gekocht. Die Eifersucht frass Emma manchmal fast auf. Sie wusste nicht, ob sie unter diesen Umständen noch lange hier bleiben konnte.

      Emmas Eltern waren einfache Bauersleute aus dem Zürcher Oberland und sie hatte sechs Geschwister. Das heisst, als sie ihre Familie vor ein paar Jahren verlassen hatte, waren es sechs. Gut möglich, dass es inzwischen noch ein paar mehr waren. Sie hatte alle schon lange nicht mehr gesehen. Es gab nicht viele schöne Erinnerungen an ihre Kindheit. Am liebsten dachte sie nicht über die Schläge und die Demütigungen nach, die sie zu Hause erlitten hatte. Der Vater hatte oft dem Schnaps zugesprochen. Darob hatte er seine Arbeit auf dem Hof und die Familie vernachlässigt. «Aber irgendwann muss man seinen eigenen Weg einschlagen», dachte Emma. Ihre Mutter hatte kaum eine Wahl gehabt. Emma schon. Wie es ihrer Mutter wohl ging? Emma war bereits mit vierzehn in einen Haushalt am Zürichsee gegangen. Sie hatte viel gelernt bei dieser Stelle, aber fast noch mehr gelitten. Ein Jahr später ging sie dann nach Zürich, wo sie blieb, bis sie 1901 zu Pfarrer Wartmann kam.

      Am besten wäre es wohl, dachte Emma zum x-ten Mal, wenn sie bald heiraten würde. An Freiern mangelte es ihr ja beileibe nicht. Bisher hatte sie in ihrer Hingabe zum Pfarrer aber alle Avancen aus dem Dorf zurückgewiesen. Auch gab es jetzt nicht gerade einen, der Emma wirklich überzeugt hätte. Schon gar nicht Fritz, der ihr seit Langem nachstellte. «Ein bisschen Niveau sollte er schon haben», dachte sie hochmütig.­

      Der restliche Vormittag verlief wie gewohnt mit Hausarbeiten. Frau Pfarrer bekam sie nicht mehr zu Gesicht. Erst zum Mittagessen erschien sie, verlor aber kein weiteres Wort mehr über den Vorfall am Morgen.

      6. Anna Müller

      Gleich unterhalb des Restaurants Kreuzstrasse, in einem Haus ganz nah an der Strasse zur Thur, wohnte die 21-jährige Anna Müller mit ihrer Familie. Die Müllers waren Bauern, Anna und ihre drei Brüder arbeiteten in Haus und Hof mit. Die älteste Müllerstochter hatte bereits ihre eigene Familie und wohnte nicht mehr im Dorf.

      Kurz vor dem Mittagessen war Anna allein in der Küche beschäftigt. Sie war schlank, aber etwas grösser und kräftiger als andere Frauen. Ihre Schultern waren vielleicht eine Spur zu breit und ihre Hände fast so stark wie die eines Mannes. Ihre blonden langen Haare trug auch sie nach alter Väter Sitte im Alltag zu Zöpfen geflochten. Manchmal, an einem Sonntag, liess sie ihre Haare schon auch mal offen. Sollten die Leute doch reden! Sie war zwar ein tüchtiges Mädchen, das ihrer Mutter fleissig zur Hand ging, aber brav hätte sie dennoch niemand genannt. Anna hatte etwas Keckes und konnte ziemlich direkt sein. Manchmal benahm sie sich ganz bewusst anders, als man es von einer jungen Frau erwartet hätte und brüskierte damit gerne die Leute. Und ab und an auch ihre beste Freundin Emma. «Es täte Emma überhaupt gut, wenn sie etwas frecher würde», dachte Anna übermütig.

      Das Feuer flackerte im Herd und verbreitete eine angenehme Wärme. Am Morgen war es bissig kalt gewesen, als sie ihren Kaninchen die Ställe ausgemistet hatte. Eine der Häsinnen hatte ihr Nest seit ein paar Tagen fertig, der Nachwuchs würde also nicht mehr lange auf sich warten lassen. Hoffentlich mussten die Kleinen dann nicht frieren. Die ­Häsin Bäbeli­ hatte als Mutter aber schon Erfahrung, da würde sicher alles rundlaufen, dachte Anna zuversichtlich. Sie freute sich auf die Jungen immer wieder aufs Neue. Daran, dass sie die Tiere irgendwann dem Metzger geben musste, wollte sie jetzt nicht denken. Den Batzen, den sie mit den Kaninchen verdiente, konnten sie auf jeden Fall gut gebrauchen.

      Der Geruch von Zwiebeln und Schweineschmalz lag in der Luft und liess Annas Magen knurren. Endlich waren Poltern und Schritte zu hören. Anna rührte noch einmal in der Restensuppe und wappnete sich innerlich für das Mittagessen. Letztes Jahr hatte sie bei einer Bauernfamilie in Feldi im Haushalt geholfen, als da das zweite Kind zur Welt kam. Die Erinnerung an angeregte Gespräche am Mittagstisch, an freundliche Worte zwischen den Eheleuten und sogar für sie und das ältere Kind liessen Anna damals nachdenklich werden.

      Anna wurde aus ihren Gedanken gerissen, als ihre beiden Brüder in die Küche stürmten. Adolf, der jüngste, rempelte Heinrich an, der vor ihm ging. «Menü eins bitte, Fräulein!», rief Heiri fröhlich. Dann liess er seinen Ellbogen kurz zurückschnellen, sodass Adolf, in den Bauch getroffen, aufstöhnte. Über Heiris Gesicht zuckte ein triumphierendes Lächeln.

      «Habt ihr euch die Hände gewaschen?», fragte Anna und schaute Adolf in einer fast mütterlichen Art an.

      «Ähm …»

      «Pfui! Das nächste Mal verköstige dich bitte im Kuhstall, oder noch besser bei den Schweinen!»

      «Adolf, Heiri! Marsch, die Hände waschen!», befahl der Vater, der soeben in die Küche getreten war, mit seiner kräftigen Stimme. Die beiden Burschen gehorchten und verliessen wortlos die Küche.

      «Hoi Anna», sagte Vater Müller knapp. Er zwängte sich schnaufend auf die Eckbank hinter den Tisch und beobachtete aufmerksam, wie Anna die grosse Pfanne mit der Suppe auf den Tisch stellte. Jakob Müller senior war ein stämmiger Mann, sein dichtes Haar war erst von wenigen weissen Strähnen durchzogen und er trug wie die meisten Männer einen üppigen Schnauz. Seine kräftigen Hände waren rau von der harten Arbeit und seine Fingernägel hatten schwarze Ränder. Sie konnten zupacken, aber im Umgang mit den Tieren zeigte er eine überraschende Sanftheit. Anna mochte ihren Vater, wenn sie auch gehörig Respekt vor ihm hatte. Da er nicht viel sprach, war man nie so ganz sicher, woran man bei ihm war.

      Annas Mutter war inzwischen ohne ein Wort des Grusses zu Tisch gekommen. Sie sass still auf ihrem alten Holzstuhl und schaute mit ausdruckslosem Gesicht an ihrem Gatten vorbei an die gegenüberliegende Wand. Die roten Hände mit den krummen Fingern hatte sie vor sich auf der Tischkante wie zum Gebet gefaltet.

      «Wo ist Jakob?», fragte die Mutter, während sich die beiden Buben mit nun sauberen Händen an den Tisch setzten.

      «Er musste für eine Notschlachtung zum Ehrsam nach Feldi», brummte der Vater. «Wird vermutlich später bei ihm.»

      Während dem Essen wurde nicht mehr gesprochen.

      Danach blieb Anna allein mit dem schmutzigen Geschirr zurück. Sie räumte Teller und Besteck vom Tisch vorsichtig in den Blechzuber. Das Wasser über dem Feuer war während des Mittagessens dampfend heiss geworden. Trotzdem legte Anna gleich nochmals ein Scheit ins Feuer, sodass die Flammen herrlich aufloderten. Wenn das die Mutter sähe! «Sparen sollte ich, vor allem auch beim Brennholz. Ach was, ich lasse mich einfach nicht erwischen», dachte Anna trotzig und schloss das eiserne Ofentürchen. Sie streute etwas Soda über das schmutzige Geschirr und goss das heisse Wasser darüber. Annas Mutter kam mit einem frischen Tuch in der Hand in die Küche zurück und begann, das Geschirr abzutrocknen.

      «Samuel war eben hier. Frau Erni hat heute grosse Wäsche … Du weisst ja, wie Frau Erni ist.» Die Stimme der