Tief in meinem Inneren machte sich so etwas wie Mordlust breit.
»Du solltest das Einschlagpapier besser wieder mitnehmen«, empfahl ich.
»Appenzeller! Ich weiß, stinkt grauenvoll, schmeckt aber ganz hervorragend!«
...Bei Odin, er konnte sich sicher sein, dass ich ihm nicht das Blut aussaugen würde, wenn dieses Zeug durch seine Adern waberte! Auf dem Tisch stand ein Karton. Darin steckte ein Trinkröhrchen. Schlürfend begann er daran zu saugen, ließ es aber gleich bleiben.
»Buah! Die Milch ist sauer! Ich werde mich in der Kantine beschweren!«
Mitleidig schüttelte ich den Kopf.
»Nein, so eine Sauerei ... Wo wir gerade beim Thema sind … Ist Amanda eigentlich eine Anbeterin des sapphischen Mondes?«
»Hä?«, war Simons geistreiche Antwort.
»Sappho, Lesbos! Ist sie eine Lesbe?«, machte ich ihm begreifbar.
»Ach so! Nein, sie ist verheiratet.«
Mit gespielter Ängstlichkeit biss ich mir in die Faust.
»Nein! Wo wohnt sie? Ich erlöse den armen Kerl von seinen Qualen!«
Langsam wusste mein Gegenüber meinen Humor einzuschätzen. Grinsend erwiderte er: »Tja, Kumpel, Frauen sind wie Toiletten, entweder beschissen oder besetzt!«
Na, das war ja eine tolle Lebensweisheit! Trotzdem dauerte es eine Weile, bis sich meine Enttäuschung gelegt hatte. Simon ergriff erneut das Wort.
»Ragnor, sicherlich fragst du dich, warum wir dich hier her gebracht haben?«
Natürlich fragte ich mich ziemlich viel, aber schön, dass er jetzt mit der Sprache heraus kam. Charmant machte ich mit der Hand eine Geste, dass er reden sollte.
»Unsere Organisation nennt sich Salomons Ring. Ich weiß nicht, wie weit du literarisch bewandert bist. König Salomo hatte einen Ring, den er einsetzte, um Gutes zu tun. Um zu bewahren und zu behüten. Auch heißt es, dass er mit diesem Ring Dämonen gefügig machte und sie damit bezwang. Genau das ist unsere Aufgabe. Wir sind Humanisten und unsere Aufgabe ist es, die Menschheit vor Schaden zu bewahren. Vor Dämonen, Geistern und allem was schwarze Magie so hervor bringt.«
»Humanisten? Ich bin auch Humanist«, war meine Antwort. »Ich mag Menschen, vor allem ihr Blut!«
Simon fand das nicht witzig.
»Das ist etwas anderes!« Er schnaubte nun auch schon, das musste ansteckend sein.
Darauf hin bemerkte ich: »Dann seid ihr also Juden? Bei uns gab es auch viele Juden. Viele von ihnen wurden verhaftet, weil behauptet wurde, dass sie die Brunnen vergiftet hätten. Wir konnten ihnen nichts nachweisen. Warum sollten sie das auch tun? Viele unter ihnen waren Kaufleute und Geldverleiher. Was macht das für einen Sinn, wenn sie ihre zahlende Kundschaft umbringen? Mein Bankier war ebenfalls Jude und ich mochte ihn, er war ein verdammt schlauer Kopf. Er hat mein Geld immer gewinnbringend für mich angelegt.«
Wehmütig dachte ich an mein damals bei ihm investiertes Geld. Wenn ich jetzt nach so langer Zeit meine Zinsen abholen könnte, wäre ich gestopft wie eine Weihnachtsgans.
Blondie schüttelte den Kopf.
»Nein, wir sind keine Juden, das heißt, ein paar schon, aber auch Moslems, Christen, Hindus, Buddhisten und Atheisten. Religion spielt bei uns überhaupt keine Rolle. Wir sind auch nicht politisch, wir arbeiten mit fast jeder Regierung zusammen, wir sind sozusagen international. Sobald sich etwas ereignet, das sich nicht wissenschaftlich erklären lässt, kommen wir zum Einsatz.«
Ich fuhr meine Klauen aus und trommelte ungeduldig auf die Tischplatte, während Simons Augen sich leicht ängstlich weiteten.
»Und Simon? Was soll ich jetzt mit diesem ganzen Gewäsch anfangen?«
»Stell dich nicht dümmer als du bist, Ragnor. Entspann dich, du bist jetzt einer von den Guten. Ab heute bist du unser neuer Mitarbeiter, ist doch super, oder?«
Toll, jetzt hatte ich wieder einen Job, den ich eigentlich gar nicht wollte. Nichts mehr mit Rumhängen und Schlafen, die Drogen wären jetzt wohl auch gestrichen. Ob das jetzt so super war, musste ich mir erst überlegen. Im Grunde habe ich es nicht so gerne, wenn jemand anderes Entscheidungen für mich trifft. Und Mitarbeiter ist für mich nur ein Synonym für Gefangener. Deshalb war ich ein wenig – nein, Scheiße - tierisch sauer. Dem entsprechend steigerte sich meine Lautstärke.
»Ach, bin ich? Wieso kann ich mich gar nicht daran erinnern, dass ich darum gebeten hätte, mich einzustellen? Das ist etwas anderes, als jemanden in eine Taverne zu schleppen und ihn dann volltrunken einen Verpflichtungsvertrag unterschreiben zu lassen! Findest du es nicht berechtigt, dass ich auch ein Wort mitzureden habe? Und was heißt hier die Guten? Und was ist deiner Meinung nach Böse? Das ist doch alles nur Ansichtssache!... Und komm mir jetzt nicht mit Moral und so einem Gesülze!... Moral!... Bis vor Kurzem kannte ich das Wort Moral noch nicht einmal! Ich dachte, es wäre ein 15 Jahre alter Whiskey!«
Aufgebracht erhob ich mich von meinem Stuhl und plusterte mich zur vollen Größe auf. »Ich soll für euch also da raus gehen und meine Knochen für eure kruden Ideen hinhalten? Während ihr Sesselfurzer, euch einen schönen Tag macht und eure Bürzel reibt? Was ist, wenn ich ablehne?«
Wahrscheinlich hätte ich den Armen nicht so anschreien sollen, aber er wirkte trotzdem nicht so verängstigt, wie ich es beabsichtigt hatte. Leider war der Tisch nicht annähernd stabil genug um die "Aus-dem-Stand-auf-den-Tisch-spring-Nummer" abzuziehen.
Sinnierend blickte Simon in die Luft, klopfte sich mit seinem Schreibstift an die Schneidezähne und schüttelte den Kopf.
»Tja, Ragnor. Da gibt es keine weiteren Optionen. Wenn du nicht kooperierst, wirst du bis ans Ende der Zeit eingekerkert. Du wirst nur so viel Blut bekommen, dass du weiterexistieren musst. Gerade genug, dass du immer hungrig bleibst und qualvoll vor dich hin vegetieren musst. Vom immer und ewig währenden Blutdurst, in den Wahnsinn getrieben. Auch hier kann ich nur an deine Vernunft appellieren. Du hast die Wahl!«
… Das ist wirklich keine vielversprechende Alternative ...
»Okay! Wo muss ich unterschreiben?«, fragte ich, mich geschlagen gebend.
Grinsen machte sich in Simons Gesicht breit.
»Eine sehr kluge Entscheidung!«
Wenig später zog er ein kleines, flaches Ding aus seiner Tasche, drückte darauf herum und berichtete von seinem Erfolg, des soeben stattgefundenen Bewerbungsgespräches. Fasziniert betrachtete ich sein leuchtendes Ohr. Meinem neugierigen Blick folgend, zeigte er auf das Kästchen.
»Das ist ein Telefon, ich telefoniere.«
So etwas Ähnliches kannte ich bereits, ich schenkte Marla damals einen Flüster-Kobold. Ein schreckliches Ding, sehr einfallsreich in der Interpretation ...
Nachdem ich jetzt auf dem freien Arbeitsmarkt nicht mehr zur Verfügung stand, verbesserten sich die Umstände meiner Unterbringung erheblich. Von zwei gleich gekleideten Schlägern begleitet, (ich beschloss spontan, die zwei Herzchen, Flimm und Flumm zu taufen) wurde ich in mein Quartier gebracht. Um mein Zimmer betreten zu können, musste ich den Kopf einziehen. Neugierig blickte ich mich in meiner neuen Bleibe um. »Gibt es in diesem Schuppen keine Fenster?«
Simon, der zwei Schritte hinter mir ging, verneinte.
»Wir befinden uns tief unter der Erde, wie willst du da ein Fenster einbauen? Außerdem besteht das Risiko, dass du dich zu einem kleinen Spaziergang entschließen könntest. Du musst schon ohne Fenster zurecht kommen.«
...Verdammt! Wie konnte er wissen, dass ich gern spazieren gehe? Vielleicht hatte er den Kerker der Ewigkeit, aus dem ich vor Urzeiten entkam, bewusst in meinem Lebenslauf unterschlagen?...
Ansonsten