Tod auf den Gleisen. Elisa Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Scheer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737564281
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Mädchen wissen ja gar nicht, was sie da riskieren“, ereiferte sich die Steinleitner förmlich. „Sie geraten ganz schnell an die falschen Männer und in ein Milieu, aus dem sie nie mehr herausfinden.“

      „Ist das nicht ein bisschen extrem? Ich meine, nicht jeder Teenie, der sich etwas – hm – frivol kleidet, landet doch gleich auf dem Strich!“

      „Aber der erste Schritt ist getan. Die Schulleitung sieht das Problem nicht, ich habe ja schon einmal angeregt, eine Schuluniform oder doch wenigstens Mindeststandards einzuführen…“

      „Sie meinen, verbindliche Rocklängen, nie ärmellos und so ähnlich? Das klingt ja direkt nach den Vorgaben für Michelle Obama, erinnern Sie sich?“

      „Was? Nein – ja, vielleicht. Aber so etwas würde doch dem Schutz der Mädchen dienen! Ich verstehe Dr. Eisler wirklich nicht.“ Sie seufzte tief auf.

      „Ist es nicht gefährlicher, dass diese dummen Hühnchen alle ihre persönlichen Daten im Internet ausplaudern? Da sind die Pädophilen heutzutage wahrscheinlich viel eher auf der Pirsch“, wandte Doro ein.

      Die Steinleitner seufzte erneut. „Ja, vielleicht. Aber ein solcher Aufzug ist doch auch gefährlich! Es laufen so viele üble Typen da draußen herum…“

      Doro gab ihr Recht, war aber nicht wirklich überzeugt. Die Steinleitner hatte ja schon etwas Altjüngferliches… Angst vor Männern? Zu viel Blödsinn im Fernsehen gesehen? Es gab ja furchtbar reißerisches Zeug auf den dämlicheren Kanälen…

      Eine liebe Frau, aber anscheinend mit einer fixen Idee. Außerdem liefen so viele Teenies wie kleine Nutten herum, dass das schiere Überangebot einen Perversen eigentlich entmutigen oder doch wenigstens verwirren musste - oder brachte das manche erst auf dumme Gedanken?

      Sie verabschiedete sich mit dem Hinweis auf das Ende der kleinen Pause und zog in Gedanken versunken in ihren Deutschkurs.

      Als sie in der sechsten Stunde ins Lehrerzimmer zurückkehrte, fand sie eine nachgerade vertraute Situation vor: Die Mendel heulte, die vereinzelt herumsitzenden Kollegen schauten betont nicht hin und gaben sich beschäftigt, um nicht als Kronzeugen für die brutale Ausbeutung der armen Christine Mendel durch eine verständnislose Schulleitung angerufen zu werden.

      Auch Doro begab sich geschäftig auf ihren Platz und begann dort sofort, zielstrebig in ihrer Tasche zu kramen. Wie die Schüler, wenn der Lehrer sagte: „Wen könnte ich denn heute mal ausfragen…“

      Sie verbiss sich ein Grinsen, konnte aber nicht mehr an sich halten, als Carlos ihr quer durch den Raum zuzwinkerte, und prustete kurz. Hastig riss sie ein Taschentuch heraus und vergrub die Nase darin – vielleicht ging das Prusten ja als verunglückter Nieser durch?

      Ein vorsichtiger Blick zur Mendel: Nein, die starrte entrüstet zu ihr herüber.

      Hastig gab sich Doro wieder immens beschäftigt, klickte mit dem Rotstift, zog Listen näher zu sich heran und durchwühlte eine Mappe.

      Die Mendel jaulte auf: „Ich lass mich doch nicht verarschen!“

      „Frau Mendel, könnten Sie jetzt bitte mal damit aufhören, uns mit ihren Befindlichkeiten zu belästigen? Machen Sie Ihre Arbeit wie alle anderen auch und jammern Sie nicht so viel!“ Das war die Bittl, und Recht hatte sie!

      Doro sah nun offen zu, feige, denn jetzt hatte die Mendel naturgemäß ein anderes Ziel für ihre Aggressionen.

      „Was – was fällt Ihnen denn ein? Wer – wer sind Sie denn überhaupt?“

      „Ich heiße Petra Bittl und ich arbeite seit zwölf Jahren hier. Übrigens ohne ein einziges Mal zu jammern oder gar im Lehrerzimmer in Tränen auszubrechen. Das geht nämlich durchaus!“

      „Na, einmal hast du schon gejammert“, merkte die Echterding an. „Weißt du noch, 2008, wo praktisch alle krank waren und der Bernd dir in einer Woche elf Vertretungen reingewürgt hat?“

      Die Bittl grinste. „Ja, da war ich geringfügig sauer. Aber“ – sie wandte sich mit strenger Miene wieder der Mendel zu – „ich hab alle Vertretungen gehalten, anständig gehalten, nie einfach Hausaufgaben machen lassen. Und nicht einen auf überfordert gemacht. Und soweit ich das sehen kann, sind Sie auch nicht überfordert!“ Die Mendel schnappte nach Luft, kam aber gar nicht zu Wort.

      „Sie haben Vollzeit? Keine Anrechnungsstunden? Na, wofür auch… also vierundzwanzig Stunden. Üble Klassen?“

      „Alle!“, jaulte die Mendel wieder auf, hatte aber dummerweise ihren Stundenplan vor sich liegen (Doro war aufgestanden und täuschte Suchen in ihrem Schränkchen vor, um einen besseren Blick zu haben), den die Bittl nun zu sich heranzog und durchlas. „Nein, alle ganz normal. Fachlich sind Sie doch nicht überfordert?“

      „W-was?“

      „Na, wenn Sie hier seit Jahren arbeiten, müssten Sie in Deutsch und Geschichte doch genug auf dem Kasten haben?“

      Hilde, die mal wieder vorbeikam, warf ein: „Anspruchsvolle Oberstufenkurse haben Sie ja ohnehin nicht.“ Doro fühlte sich geschmeichelt – ihr hatte man schon im ersten Jahr fünf Oberstufenkurse zugetraut. Also war sie kein Weichei?

      „Was mischen Sie sich denn schon wieder ein? Keiner versteht, welche Belastung das Unterrichten ist!“

      „Sind Sie übergeschnappt?“, fragte die Bittl ungläubig. „Wer sollte das denn verstehen, wenn nicht wir? Wir unterrichten doch genauso viel!“

      „Sie! Das ist doch ganz was anderes!“

      „Wieso was anderes? Weil ich Sport unterrichte oder was? Das hat in der Oberstufe durchaus Niveau, täuschen Sie sich da mal nicht. Na, und die Sprachen werden Sie wohl ernst nehmen?“

      Die Mendel jaulte auf – wie immer, wenn ihr kein Argument einfiel. Doro verlor die Geduld, sie trat näher. „Was bitte ist denn genau so furchtbar? Vielleicht haben wir ja ein paar Tipps für Sie?“

      „Sie müssen sich wohl auch immer einmischen, was? Blöde Gschaftlhuberin!“

      „Also bitte, dann eben nicht“, fuhr Doro sie an. „Aber wenn Sie keine Hilfe wollen, dann heulen Sie hier nicht dauernd rum, das stört nämlich die, die nicht so arbeitsscheu sind, bloß beim Arbeiten.“

      Sofort tat ihr dieser Ausbruch wieder leid, aber aus dem Hintergrund wurde Beifall geklopft. Doro fuhr herum: Carlos. Sie winkte ihm zu.

      „Frau Fiedler hat völlig Recht“, fand auch die Bittl. „Ewig das Gejammere, und wenn man Ihnen Hilfe anbietet, werden Sie obendrein noch unverschämt. Ich glaube, ich beschwere mich mal beim Chef. Wenn Sie irgendein Problem haben, schauen Sie, dass Sie es geregelt kriegen und suchen Sie sich notfalls Hilfe – und wenn nicht, dann reißen Sie sich mal zusammen. Für hysterische Ausbrüche ist hier kein Platz.“

      Ein wilder Tränenausbruch war die Reaktion. Die Bittl wandte sich achselzuckend ab, aber die Steinleitner rückte näher an die Mendel heran und strich ihr begütigend über die zuckenden Schultern, vorwurfsvolle Blicke auf Bittl und Doro werfend.

      „Ph!“, machte die Bittl und schloss ihren Schrank auf. Auch Doro wandte sich ab. Die Mendel hatte sie doch wirklich nicht mehr alle!

      Mittlerweile war auch Luise hereingekommen und unterhielt sich leise mit Carlos. Doro trat näher.

      „Dann kannst du diesen Kurs vorübergehend übernehmen?“

      „Klar“, antwortete Carlos. „Ich hab eh so wenig Latein abgekriegt. Mach ich gerne.“

      „Und was hat die Heulsuse schon wieder?“

      „Schwer zu sagen. Erst hat sie rumgeheult, dass alles so furchtbar ist, und dann hat Doro gefragt, was genau, um ihr zu helfen, und sie wurde prompt beleidigend. Die Bittl hat sie zurechtgestaucht und jetzt flennt sie umso mehr.“

      „Präzise zusammengefasst“, lobt Doro. „Ich möchte echt mal wissen, was die Frau eigentlich hat.“

      „Einen an