Tod auf den Gleisen. Elisa Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Scheer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737564281
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doch wenigstens höflich. Oder?

      Sie entdeckte Katja im Gedränge vor dem Vertretungsplan.

      „Grüß dich. Sag mal, der Trattner ist echt unhöflich zu mir. Findest du, dass ich meine Abneigung zu deutlich gemacht habe?“

      Katja grinste. „Morgen. Nee, der ist bloß sauer, weil er heute gleich zwei Vertretungen reingewürgt gekriegt hat und ich schon wieder nicht mit ihm weggehen will. Der hätte jetzt auch den Eisler mies angeschaut. Wenn er sich trauen würde, der Schleimer, heißt das. Also denk dir nichts.“

      „Der tut aber immer so, als sei ich irgendwas Ekliges.“

      „Bist du ja auch.“

      Doro war sprachlos und Katja kicherte. „Schau, erstens will er nichts von dir, deswegen muss er an dich auch keine Manieren verschwenden - “

      „Hat er doch eh nicht“, warf Doro ein.

      „-und zweitens trägst du keine Bergstiefel. Wetten, im Winter hast du auch kein zweifarbiges Gesicht vom Skifahren mit Sturmhaube?“

      „Bin ich bescheuert?“, empörte Doro sich. „Ich mach mich doch hier nicht zum Affen!“

      „Er schon, wart´s ab, wenn die Zugspitze aufmacht. Wenn´s dich im Übrigen tröstet: Er kann Maja, Hilde und Luise genauso wenig leiden wie dich. Er ist nämlich auch ein Frauenfeind. Und Frauen mit Macht, wie Hilde und Luise, sind ganz arg für ihn, da traut er sich nämlich wieder nichts. Zu Maja ist er mindestens so mies wie zu dir.“

      „Was kümmert es die stolze Eiche, wenn sich ein Borstenvieh dran wetzt“, erklang es hinter Doro, und sie fuhr herum.

      „Hallo, Maja!“

      „Ihr redet doch über Luis den Prächtigen?“

      „Na, prächtig…?“ Doro zog ein bedenkliches Gesicht.

      „Denkt er aber. Na, egal. Der Typ ist einfach unwichtig. Aber zurzeit haben hier doch alle einen Schlag.“

      „Ach?“, machte Katja. Maja hob die Hand und zählte an den Fingern ab: „Mendel: Verfolgungswahn und Opfer übelster Ausbeutung. Richling: Eine vernichtete Existenz. Klar, selber schuld. Steinleitner: Wie aus den Fünfzigern übrig geblieben. Das wird doch immer schlimmer! Trattner: unser Bergfex. Uhl: Keiner versteht sie, keiner hat sie lieb.“

      „Ist ja auch schwierig“, warf Katja ein.

      „Zugegeben. Ederer: Wird immer ekelhafter. Habt ihr gesehen, jetzt versucht er die arme Bittl anzumachen! Lichwitz: Unsere Biobäuerin. Hat sie schon wieder ihren Bauchladen aufgemacht? Na, und so weiter.“

      „Das ist doch das Übliche“, wandte Katja ein. „Die spinnen doch alle seit Jahren!“

      „Zurzeit nerven sie mich aber besonders“, gab Maja zu. „Vielleicht, weil es kaum nette Neue gibt.“

      „Na!“, machte Katja. „Ja, gut, Doro ist okay.“

      „Oh, vielen Dank. Du verwöhnst mich“, spottete Doro. „Und jetzt werde ich mich mal in den Unterricht verdrücken, bevor mich die Schmeicheleien noch ganz um den Verstand bringen.“

      Andere waren auch okay, überlegte sie auf dem Weg in ihren Geographie-Kurs. Carlos Pütz zum Beispiel. Auch die Fachbetreuer waren eigentlich in Ordnung. Na gut, die gehörten nicht zu den Neuen.

      Silvia Merker war neu. Sport und Mathe – aber über die wusste sie eigentlich nichts, sie hatte sie nur bei der Begrüßung gesehen.

      Und Markus Winterhoff. Sie wusste nicht einmal, was der überhaupt gab – Chemie und noch was?

      Egal. Sie kannte ein paar gute Leute, mehr brauchte sie ja nicht.

      Die weiteren Freistunden an diesem Tag waren wenig spannend, keine Dramen spielten sich mehr im Lehrerzimmer ab. Abgesehen von leisem Weinen von Christine Mendel natürlich, aber das war ja nun auch nichts Ungewöhnliches mehr.

      Erst auf dem Parkplatz platzte sie in einen Streit zwischen Anke Freisleder und der Uhl. Anscheinend hatte die Freisleder, schusselig wie immer, ihren Kram (eine Staffelei, mehrere großformatige und sehr nachlässig zugebundene Mappen, zwei Paletten, ihre Schultasche, ihre Handtasche, einen Jutebeutel und ein undefinierbares handgewebtes Etwas in verschiedenen Lilatönen) mitten auf den Parkplatz gestellt, um erst einmal in Ruhe ihr Auto aufzuschließen und den vermüllten Kofferraum so weit aufzuräumen, dass die Staffelei hineinpasste.

      Die Uhl hatte es offenbar eilig und konnte nicht vorbei, ein Wort gab das andere, und als Doro in Hörweite kam, war man bereits recht persönlich geworden: Bezeichnungen wie „Verspulter Späthippie“ und „elende Spießerin“ flogen hin und her.

      Doro erlaubte sich, vorzuschlagen, den Kram einfach etwas beiseite zu räumen, aber das kam gar nicht gut an: „Mischen Sie sich nicht ein! Und wehe, Sie fassen meine Sachen an!“, blaffte die Freisleder, und die Uhl zeterte: „Sie können ja ganz ruhig sein!“ Doro zuckte die Achseln. „Bitte, dann eben nicht!“

      Sie konnte allerdings an dem Kunsthaufen auch nicht vorbei, also setzte sie sich ins Auto, betätigte die Zündung und drehte bei offener Fahrertür die Anlage bis zum Anschlag auf. Poison, das passte eigentlich ganz gut. Und es schallte wahrscheinlich durch ganz Leisenberg. Uhl und Freisleder starrten sie wütend an und räumten in schöner Eintracht den Kram beiseite. Doro drehte die Musik leise, kommentierte: „Na, geht doch!“ und fuhr freundlich winkend davon, insgeheim erleichtert, dass der Wagen sie nicht blamiert hatte, in dem er gleich hier den Geist aufgab.

      Waren die beiden Zimtzicken jetzt froh oder hassten sie bis an ihr Ende? Schwer zu sagen. Und egal.

      Die Freisleder war aber schon eine Marke mit ihrer grauen Wallemähne und diesen Klamotten, die immer wie selbst gewebt und selbst gefärbt aussahen. Und die Mandalas um den Hals! Den Bildern im Kunsttrakt zufolge brachte sie den Schülern auch vor allem Esoterisches nahe. Warum auch nicht – von den anderen Kollegen tat das ja wohl keiner.

      Sie besorgte ein paar Kleinigkeiten und eine Zeitung und fuhr nach Hause.

      Morgen hatte sie den Deutschkurs – Zusammenfassung der Handlung in „Maria Stuart“, Frage nach der Wirkung Marias auf die Männer, Wiederholung der Theorie von der schönen Seele, Analyseübung eines Szenenausschnitts…

      Neunte Deutsch: Lektürestart – Der Herr der Fliegen. Das war hier so üblich, auch wenn sie den Roman nicht mochte. Zwölfte Geschichte – wo hatte sie das Ex hingelegt? Die würden morgen hoffentlich so richtig absahnen!

      Und am Nachmittag die Exkursion zur MVG in München.

      Und dann nur noch zwei Tage, bis die Schrankwand kam, herrlich!

      Sie tippte, sortierte, heftete ab und packte alles Nötige in ihre Tasche, trug die heute erbeuteten Noten ein und sortierte die Wäsche, auf die sie am Sonntag keine Lust gehabt hatte. Die schaffte sie noch locker vor dem Kino!

      Sie trug den Korb in den Keller, schrieb sich auf die gähnend leere Liste, füllte die Maschine, gab zwei Tabs dazu, knallte die Tür zu und warf klappernd zwei Euro ein. So, erledigt. Um zehn nach vier war die Maschine durch.

      Und bis dahin…

      Zeitung lesen!

      Die Zeitung war langweilig. Außer den ewigen Querelen im Rathaus gab es gar nichts. Die Bahndammleiche kam überhaupt nicht mehr vor, in Leiching gab es einen dubiosen Erpressungsfall – der Artikel war so kryptisch formuliert, dass man nicht wirklich schlau daraus wurde – und in Zolling (wo war das denn? Das musste sie sich bei Gelegenheit mal anschauen) protestierten die Bürger gegen einen neuen Kindergarten.

      Blödes Pack, dachte sich Doro und warf die ohnehin recht dünne Zeitung ins Altpapier.

      Etwas unbeschäftigt strich sie durch die Wohnung, bis es endlich Zeit war, die Wäsche nach oben zu holen, dann hängte sie alles auf, bügelte kurz darüber, wo es nötig war und war dann wieder ratlos.

      Na gut, ein kleiner Spaziergang? Sport war schließlich auch notwendig! Heute mal… ja gut, Zolling!