Neukonzept. Elisa Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Scheer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737562812
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stutzte kurz, dann verstand sie. „Oh, MV, vermute ich. Ich habe ihn noch nicht kennen gelernt, aber Petersen hat mich hergeschickt.“„Petersen? Sie kommen von XAM!? Welch Glanz in unserer Hütte! Dann bekommen wir jetzt endlich Werbung, die auch Umsatz schafft?“Leonie lachte. „Ich will´s doch hoffen! Sagen Sie, ich sollte mich einem Herrn Mühlbauer vorstellen, aber sein Assistent/seine Assistentin ist nicht da... ist es unhöflich, einfach zu klopfen?“Die Ehring erhob sich. „Ich stelle Sie vor. Keine Ahnung, wo Diana hin ist. Sonst sitzt sie da wie festgetackert.“Mühlbauer beäugte Leonie missvergnügt, als sie vor seinem Schreibtisch standen. „Marketingkonzept? Soso. Davon weiß ich nichts.“„Ich denke, ich soll erst einmal ein paar Ideen sammeln“, versuchte Leonie zu begütigen. „Natürlich soll nichts an Ihnen vorbei geschehen.“„Das möchte ich mir aber auch ausgebeten haben!“ Er sah sie über seine Halbbrille stirnrunzelnd an, ein sehr gepflegter Mann um die Fünfzig, in dreiteiligem Anzug und brutal gestärktem Hemd, dessen Kragen grausam scheuern musste. Merkwürdigerweise fehlte an einer seiner Manschetten ein Knopf – das fiel ihr auf, weil die Sakkoärmel etwas zu kurz zu sein schienen. Und die Krawatte, in Schlammbraun und Mittelgrau mit rostfarbenen Schlieren, war scheußlich, passte aber nicht schlecht zum Dunkelgrau des Anzugs. Er ließ einen kritischen Blick über Leonie gleiten, die sich recht korrekt gekleidet fand, und dann einen über die Ehring, die Jeans und einen türkisgrünen Samtblazer trug, darunter eine historisierende Rüschenbluse, die teuflisch zu bügeln sein musste, und entspannte sich etwas.

      „Na, fangen Sie halt mal an. Ich werde mit Herrn Veit sprechen, sobald ich ihn erwische. Ach, Frau Ehring, wenn Sie gehen, schicken Sie mir doch rasch Frau Weiblinger rein, ja?“

      Die Entlassung war deutlich. Draußen war allerdings immer noch niemand am Schreibtisch. Frau Ehring steckte noch einmal den Kopf ins Büro. „Diana ist nicht am Platz, tut mir Leid.“„Was? Na, egal. Das kann auch noch warten.“„Dann sind Sie jetzt erstmal durch“, stellte die Ehring draußen fest und reichte Leonie die Hand. „Sandra.“„Leonie. Vielen Dank für die nette Einführung. Ich dachte mir schon, dass sich Herr Mühlbauer kränken könnte, Frau Dahlmann hatte mich gewarnt.“

      „Macht nichts. MV hat schon Recht, wenn er ein neues Gesamtkonzept will, so geht´s schließlich nicht weiter. Mühlbauer war schon beim alten Veit, und so sind auch seine Ideen. Na, eigentlich hat er gar keine.“

      „Ideen hab ich genug“, versprach Leonie und verzog sich an ihren Schreibtisch, wo der Rechner mittlerweile ungeduldig die Anmeldemaske zeigte. Sie meldete sich an, änderte das Passwort, wartete kurz und checkte dann die vorhandene Software durch. Na, für den Hausgebrauch reichte es. Kompliziertere Sachen musste sie eben bei XAM! machen.Sie zog ihre Entwürfe heraus und tippte die paar Ideen – den historischen Ansatz, die möglichen Erweiterungen der Produktpalette, die Managerlinie – schnell ein, legte einen Ordner an und speicherte die Datei auf die allgemeine Festplatte. Nett, aber das reichte nicht. Speichermedien? Welche Festplattenpartition war die richtige? Papier, Stifte, Hüllen? Wo stand das Laminiergerät?Sie fragte die Frau ihr gegenüber nach der Festplattenpartition und erntete ein großäugiges Staunen. Immerhin unterbrach die Dame den Versuch, ihre wunderschönen blonden Haare nur dadurch in Locken zu verwandeln, dass sie sie unablässig um den Finger drehte, und wandte sich an ihre ebenso schöne, aber dunkelhaarige Kollegin: „Jenny? Weißt du, welche Festplattenpartition die richtige ist?“

      „Welche was?“, gab die zurück und legte Spiegelchen und Pinzette auf einen Stapel unbearbeiteter Post. „Nee, tut mir Leid. Worum geht´s denn da überhaupt?“

      „Wohin speichere ich meine Unterlagen so, dass ich niemanden störe und auch nicht irgendwo lande, wo es gleich wieder gelöscht wird?“

      „Oh, ach so, ja...“ Man konnte die beiden förmlich nachdenken sehen. Schweres Geschäft – und erfolglos. „Wissen wir nicht“, gaben sie schließlich zu. „Wir müssen nie was speichern. Aber die Frau Weiblinger weiß das bestimmt.“ Leonie sah zu deren Schreibtisch hinüber. Immer noch leer, aber überquellend. Sehr hilfreich!

      „Und sonst? Frau Weiblinger ist nicht an ihrem Platz.“

      „Echt nicht? Die ist doch immer da!“ Tessa kicherte. „Wir haben schon überlegt, ob die sich abends eine Isomatte unterm Schreibtisch ausrollt, verstehen Sie?“ Leonie lächelte, zum Zeichen, dass sie verstanden hatte. „Wer könnte das noch wissen?“

      „Die Sandra Ehring muss das wissen“, fiel Jenny schließlich ein, „die ist doch für die Computer zuständig, nicht?“

      Sandra Ehring telefonierte gerade, und als sie frei war, schoss Leonie zu ihr hinüber. Sie sah sie ratlos an. „Ich hab gerade Frau Dahlmann und die Produktion gefragt – Diana ist nirgendwo! Das gibt´s doch nicht!“

      „Vielleicht musste sie dringend weg?“, mutmaßte Leonie. „Zum Zahnarzt zum Beispiel oder zu einem Außentermin, ganz plötzlich.“

      Sandra schüttelte den Kopf. „So dringend ist es nie, dass man sich nicht abmeldet. Bei mir oder doch wenigstens am Empfang. Zu irgendwas müssen die beiden Hühner doch gut sein!“ Sie nickte zu Tessa und Jenny hinüber.„Die machen bloß den Empfang? Zu zweit?“, staunte Leonie. „Sonst nichts?“„Naja, die Post verteilen sie auch noch. Aber sonst – sie sind sehr dekorativ, aber nicht gerade die Hellsten.“„Aha“, machte Leonie. Das war ihr auch schon aufgefallen. Immerhin konnte Sandra ihr sagen, dass die Ordner der Mitarbeiter in der Partition D untergebracht waren und dass man seine Unterlagen am besten durch ein extra Passwort schützte. „Sonst gibt es hier hemmungslos Ideenklau. Rechte Maustaste, du weißt ja Bescheid.“„Ja, klar. Diese Diana – vielleicht ist ihr auf der Toilette schlecht geworden?“„Ich schau sofort nach!“ Sandra rannte quer durch den Raum, und Leonie kehrte an ihren Platz zurück, um alles zu sichern und sich ein besonders fieses Passwort für den Ordner Sambacher zu überlegen. Schließlich nahm sie ihre Lieblingskrimifigur Harriet Vane und tippe HDVane ein. Darauf sollte erstmal jemand kommen, vor allem in dieser Schreibweise, die Harriet selbst ja nur für das Namensschildchen in ihrem Talar verwendet hatte (was ihr ein paar obszöne Nachrichten eingetragen hatte). Aufruhr in Oxford sollte sie mal wieder lesen, überlegte sie.Sandra kehrte zurück und zuckte die Achseln. Langsam war das wirklich seltsam, dachte Leonie. Naja, vielleicht war diese Diana ja die absolute Sirene und vernaschte gerade irgendeinen Obermotz. So, wie´s hier zuging, war doch wohl alles möglich.

      Sie stand wieder auf und erkundigte sich bei den beiden Wächtern vor der Produktplanung, ob sie Proben der aktuellen Produktion haben konnte. Carla Niklas drückte ihr eine Schachtel dieser altmodischen grün-goldenen Bleistifte in die Hand. „Ansonsten haben wir im Moment nur Buntstifte, aber die produzieren wir in Lizenz für andere Hersteller, also ist unser Logo nicht drauf. Haben Sie schon Logoentwürfe?“

      Leonie schüttelte bedauernd den Kopf und wunderte sich auf dem Weg zurück zu ihrem Schreibtisch. Bloß Bleistifte – und No-Name-Buntstifte – und das rechtfertigte immerhin drei Etagen in diesem Bau? Plus das Hintergebäude mit der Produktion?

      Da war ein neues Marketingkonzept wirklich dringend notwendig! Sie arbeitete ungefähr eine Stunde lang konzentriert, wobei sie versuchte, sich nicht von Tessa und Jenny ablenken zu lassen, die über das Fernsehprogramm vom Vorabend redeten, anstatt die Post zu sortieren und zu verteilen. Erst als sie von Sandra Ehring einen Anschnauzer erhielten, machten sie sich an die Arbeit. Sandra sauste an ihnen vorbei und klapperte draußen die Treppe hoch – suchte sie diese Diana jetzt bei Patrick Veit? Am Morgen war sie dort jedenfalls nicht gewesen.Leonie starrte vor sich hin, weil ihr die Ideen ausgegangen waren, und zog dann die Schubladen ihres Schreibtischs auf. Wenigstens ein Tacker musste doch hier sein! Und Druckerpapier. Fehlanzeige – nichts als Staubflusen und in der untersten Schublade eine einsame verbogene Büroklammer. Sie warf sie in den Papierkorb. Wo kriegte man hier Büromaterial?Sie fragte die beiden Tussis gegenüber, die strahlten, weil sie das wussten. „Wir gehen immer in den Materialraum, da liegt das alles rum, in den Regalen. Einfach so zum Mitnehmen. Kulis, Papier -“„-Klarsichthüllen, TippEx und diese Dinger zum Laminieren“, ergänzte Tessa.„Danke“, antwortete Leonie trocken und verkniff sich ein Ich hab´s begriffen, „und wo ist dieses Paradies, bitte?“„Ach so... na, drüben, gegenüber vom Klo. Neben dem Pausenraum.“„Na