„Nein. Jesolo 1997.“
„Wie viele Spangen hast du eigentlich?“
„Zwei. Die und so eine mit einer Samtschleife drauf, fürs Theater. Warum?“
„Weil ich mehr als zwanzig habe, dabei sind meine Haare viel zu kurz. Sammlertrieb!“ Sie lachte spöttisch auf.
„Dafür hab ich meine Obergrenzen, die schützen mich.“
„Und was, wenn die kaputt geht?“, fragte sie über die Schulter und stieß die Schwingtür auf. Die warme, rauchige und laute Luft schlug uns entgehen.
„Dann nehme ich die mit der Schleife und gehe mir eine neue kaufen, wieso? Notfalls kann ich mir die Haare auch zusammendrehen und sie in den Hemdkragen stopfen, oder?“
„Total bedürfnislos“, spottete Simone.
Kaum saßen wir, kamen meine Pizza und Simones Lasagne. Fabian schaute säuerlich; er hatte sich viel später etwas viel Komplizierteres bestellt und erwartete anscheinend, dass wir jetzt auf ihn warteten, aber so verliebt war nicht einmal Simone, dass sie kalte Lasagne gegessen hätte. Ich säbelte ein Stück Pizza ab. Lecker, wirklich! Pizza konnten die hier, das ließ sich nicht bestreiten. Robert sah mir fasziniert zu.
Nach dem dritten Bissen fragte er: „Kann ich mal probieren?“
Ich zuckte die Achseln und aß weiter. „Klar.“
Er starrte mich an. Ich starrte zurück. „Was?“
„Das heißt Wie bitte“, mahnte Fabian.
„Bist du die Mutter von Bridget Jones? Wenn ich Was sage, meine ich auch Was. Was heißt Was guckst du?“
„Ich dachte, ich dürfte probieren?“, klagte Robert.
„Ja doch! Da in dem Bierkrug steht noch Besteck, also worauf wartest du?“ Ich verstand wirklich nicht, was er wollte.
Er rührte sich nicht, sondern sperrte nur den Mund auf. Ich ließ das Besteck sinken. „Was ist jetzt wieder? Willst du Fliegen fangen?“
„Nein...“ Schmelzender Tonfall. „Füttere mich!“
„Bei uns gab´s da früher eine eiserne Regel“, konterte ich nach einem Moment fieberhaften Nachdenkens. „Wer nicht mit Messer und Gabel umgehen kann, kriegt nur Alete-Breichen. Das hat mich schnell ans Besteck gebracht. Soll dir Simone vielleicht noch die Schuhe zubinden oder was?“
Robert klappte den Mund hörbar wieder zu. „Du bist so spröde“, klagte er dann. „Ich bin nicht spröde, ich bin nicht interessiert. Und Leute, die sich in der Öffentlichkeit gegenseitig füttern, finde ich geschmacklos, sogar wenn zwischen ihnen was läuft.“
„Warum bist du so?“ Ich aß meine Pizza weiter – sollte sie kalt werden, nur weil dieser Kerl ein Nein nicht kapierte? „Sicher hast du mal eine schwere Enttäuschung erlebt“, legte er sich jetzt selbst eine Erklärung zurecht.
„Hab ich nicht.“
„Aber was ist es dann?“
„Ich steh nicht auf dich, kapiert?“ Das kam deutlich lauter heraus als geplant, und am Nachbartisch drehten sich die Leute um. „Lea, benimm dich“, zischte Fabian.
„Dann sag deinem Kumpel, er soll mich in Ruhe lassen!“, zischte ich zurück.
„Warum? Du könntest schlechter fahren. Er verdient ganz ordentlich, trinkt nicht, raucht nicht, hat ein Auto...“
„Wenn schon. Das trifft auf mich doch auch zu.“
„Dann hab ihr doch schon was gemeinsam“, entgegnete Fabian und lächelte schlau.
„Was hast du für einen Wagen?“, fragte Robert, offenbar war ihm die Frage, ob er der ideale Ehemann war, nun doch selbst peinlich. „Audi“, kaute ich und spießte den letzten Bissen von der Spinatabteilung auf,
„Die sind nicht billig. Der A 3 ist auch ein nettes Autochen für eine Frau, fast so gut wie der Golf. Automatik?“
„Noch bin ich keine Oma. Und der A 3 ist besser als der Golf, aber ich hab einen A 6.“ Er verschluckte sich an seiner Weinschorle. „Einen A 6? Der ist doch viel zu groß!“
„Zu groß wofür? Für eine Frau?“ Ich funkelte ihn an. „Ja, was soll das denn heißen?“, fragte auch Simone mit drohendem Unterton.
„Ich meinte nur – das Einparken und so... im Parkhaus...“
„Wenn man´s kann?“, antwortete ich gleichmütig. Also doch ein Idiot! Fabian prustete. „Können? Keine Frau kann einen solchen Riesenschlitten fahren, erzähl mir doch nichts!“
„Ich hab ohnehin keine Lust, dir noch irgendwas zu erzählen“, schnappte ich, „aber jedenfalls hat mein Auto keine Schrammen. Hast du nicht letzte Woche eure halbe Garagenwand mitgenommen?“
„Bloß weil Simone mal wieder den Spiegel verstellt hat.“
„Du hast vorwärts eingeparkt“, erinnerte Simone und wurde mit einem mörderischen Blick gelohnt. „Und, was fährst du?“, erkundigte ich mich höflich bei Robert, legte das Besteck beiseite und winkte dem Kellner.
„Einen Corsa.“
„Nett“, sagte ich schwach. „Sehr wendig, nicht?“ Ein Mann mit Corsa musste ja angesichts einer Frau mit A 6 die Krise kriegen! „Hm – ja. Und sparsam im Verbrauch. Fährst du mit dem Wagen nach Jesolo?“
Ich schüttelte den Kopf. „Dauert mir zu lange. Ich fliege nach Venedig und nehme mir dort einen Leihwagen.“ Der Kellner kam und ich bat um meine Rechnung. „Lass nur, das mache ich schon“, erbot sich Robert großmütig.
„Nein.“
„Doch!“
„Was jetzt?“, fragte der Kellner genervt.
„Ich zahle“, erklärte ich, „und wenn Sie noch einmal hin und her schauen, setze ich nie wieder einen Fuß in diesen Laden.“ Der Kellner seufzte. „Eine Quattro, ein Planter´s – neun fünfzig.“
Ich gab ihm zehn. „Stimmt schon.“
Robert schmollte. „Bist du etwa emanzipiert?“
„Du hörst dich an wie aus einem schlechten Weiberroman. Weshalb sollte ich dich zahlen lassen? Um dir das Recht zu geben, irgendwann eine Gegenleistung zu fordern? Wirklich nicht. So, und jetzt gehe ich heim und packe. Viel Spaß noch!“
„Ach, Lea, der Abend ist doch noch jung“, maulte Simone, wie ich erwartet hatte. „Bleib doch noch. Immer bist du so ungemütlich!“
„Dann könnt ihr es euch jetzt ja gemütlich machen“, fand ich und ergriff die Flucht. Puh! Das war so ungefähr der blödeste Abend seit Ostern gewesen, als ich mich mit meinen grausigen Cousins und Cousinen herumgeschlagen hatte. Fabian war heute in Topform gewesen, und dieser Robert – unerträglich! Füttern sollte ich ihn? Der war doch nicht ganz dicht! Warum brockte mir Simone immer wieder so etwas ein?
Zu Hause öffnete ich die Türen des kleinen Einbauschranks im Schlafzimmer, wuchtete den Koffer aufs Bett und setzte mich daneben.
Der Schrank war perfekt eingeräumt. Saubere, kleine Stapel, von allem nicht mehr als unbedingt nötig, nur wirklich gute Stücke. Okay, was brauchte ich? Unterwäsche. Zehn T-Shirts... Unsinn, in der Wohnung war eine Waschmaschine: Sechs T-Shirts. Zwei Sommerkleider. Zwei Paar Jeans. Eine Strickjacke. Zwei Nachthemden – Mist. Eins lag im Bett, eins war in der Wäsche. Überhaupt! Hastig sortierte ich die Schmutzwäsche und füllte die erste Maschine. Ein Paar warme Socken, bei Bedarf wusch ich sie eben. Sandalen. Turnschuhe. Die beiden Bikinis. Strandlaken – nein, das lag sowieso in der Wohnung.
Kosmetika. Bibliotheksbücher. Terminkalender. Sonnenbrille. Strandlatschen – in der Wohnung. Ein