Missgriffe. Elisa Scheer. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Elisa Scheer
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783737561563
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sie nach dem ersten Bissen.

      „Geht so. Geringfügige Verbesserung. Gutes Essen ist was anderes. Und was machst du?“ Ich stand auf und inspizierte meine Tasche. „Paar Einkäufe für den Urlaub. Sonnenmilch ist hier immer noch billiger, vor allem um diese Jahreszeit.“

      „Und einen heißen Bikini?“ Ich schüttelte den Kopf. „Ich hab zwei Bikinis und einen Einteiler, und die sind noch völlig in Ordnung. Lass es dir schmecken!“

      Sabine verdrehte die Augen. „Alter Geiznickel!“

      Ich war absolut nicht geizig, widersprach ich im Stillen, als ich die Straße entlanglief, ich wollte bloß nicht überflüssig Geld ausgeben und vor allem nicht überflüssigen Kram anhäufen. Wozu brauchte man mehr als drei Badeanzüge, wenn sie alle okay waren? Einen hatte man an, einer trocknete, einen hielt man in Reserve. Und wenn sich einer auflöste, konnte man immer noch Ersatz kaufen und den alten entsorgen. Drei war die Obergrenze.

      Ich hatte für alles eine Obergrenze, so verfiel ich wenigstens nicht in Sammelwut. Ich meine – es gibt ja Leute, die sammeln Bettwäsche und haben irgendwann einen ganzen Schrank voll! Auch da reichten drei – einer auf dem Bett, einer in der Wäsche, einer im Schrank. Und man musste nie überlegen, welchen man als nächsten nahm. Wenn man so jede Woche nur fünf Minuten Zeit sparte, waren das in einem Jahr immerhin vier Stunden und zwanzig Minuten, in fünf Jahren fast ein ganzer Tag, in zehn...

      Bremsen quietschten und ich blieb erschrocken stehen. Nein, ich war nicht wegen dieser wichtigen Berechnungen fast in ein Auto gelaufen, ein Typ auf einem Fahrrad war bei Rot über die Kreuzung geradelt.

      Wenn ich so ein hässliches Hemd anhätte, würde ich wenigstens korrekt radeln, dachte ich mir und sah dem auffälligen Kleidungsstück nach, das sich schwankend entfernte. Grellblau und mit griechischen Statuen in ebenso grellem Weiß bedruckt. Schauerlich, sicher von einem Souvenirstand an der Plaka oder auf Mykonos. Souvenirs kaufte ich nie, da lag die Obergrenze bei Null, ohne Toleranzbereich. Gut, wenn ich vor einem Urlaub feststellte, dass sich ein Pullover seinem natürlichen Ende näherte und ich in Jesolo ein wirklich schönes, brauchbares, pflegeleichtes und preisgünstiges Ersatzteil fand – aber das war kein Souvenir, das war die Ergänzung absolut notwendiger Vorräte.

      Ich betrat den Drogeriemarkt, kettete einen Wagen los und kurvte durch die Regale. Das meiste hatte ich noch, aber Sonnenmilch, eine neue Zahnbürste, einen Miniflakon meines Lieblingsparfums und eine Flasche Shampoo brauchte ich doch noch. Halt, ja – und Heftpflaster. Ich inspizierte eine Viertelstunde lang mit Hingabe den Sonderständer Die Farben der Saison – Zauber der Wüste, malte mir mit allen Testern Striche auf den Handrücken, stellte fest, dass mein mittelbrauner, metallisch glänzender Lippenstift schöner war als alle die hier zusammen (und noch halb voll!) und fuhr weiter zur Kasse, ohne schwach geworden zu sein. Obergrenze in dem Napf vor dem Badezimmerspiegel: 1 Lippenstift, 1 Tube Make up, 1 Puderdose, 1 Lidschattenduo hellbraun/beige, 1 Wimperntusche braun. Alles Übrige wäre rausgeschmissenes Geld, und das einzige, wofür ich Geld rausschmiss, waren Fondsanteile oder Immobilien. So einfach war das!

      Nein, ich brauchte natürlich keine Tüte. Aber die saftigen Nektarinen an dem Obstkarren vor der Tür reizten mich doch. Bestimmt waren die noch gesünder als Sabines ekliger Pampfraß! Ich gönnte mir zwei und schlenderte wieder zurück. Was war heute noch zu tun? Reinigung, Wäsche waschen, die Wohnung durchputzen, Koffer packen, Tasche packen...

      Kaum hatte ich die Nektarinen (ungewaschen) unter Sabines strafendem Blick verspeist und mir den Saft vom Kinn gewischt, klingelte mein Handy. Simone war dran.

      „Morgen fährst du? Du, was machst du denn heute Abend?“

      „Noch nichts“, sagte ich unbedacht. „Aber ich wollte früh ins Bett, der Flieger geht schon um acht.“

      Das war erstens gelogen, ich hatte noch gar kein Ticket, und zweitens nützte es mir jetzt auch nichts mehr. Bei Simone musste man schneller denken. „Super, dann hast du doch sicher Lust auf Cocktails und eine anständige Pizza? Um sieben im Fabrizio. Fabian kommt auch mit.“

      „Toll“, antwortete ich schwächlich. Fabian mochte ich nicht übermäßig, aber genau deshalb konnte ich jetzt nicht mehr sagen Nö, lieber doch nicht, sonst hieß es bloß wieder Du hast da echt ein Vorurteil.

      „Okay, aber nur auf ein, zwei Stunden“, leitete ich den Rückzug ein.

      „Klar“, versprach sie unbefangen, sie würde sich ja ohnehin nicht daran halten. Würde ich wirklich um neun gehen, gäbe es einen Riesenstress: Jetzt schon? Willst du den Abend sprengen? Wirst du schon alt? Was willst du um neun im Bett – alleine?

      Mist. Und ich hatte noch nichts gepackt! Noch nicht einmal gewaschen! Nicht geputzt! Das Auto nicht aufgeräumt! Okay, das war egal, in der Flughafengarage konnte es auch so stehen. Dann sollte ich wenigstens meinen Schreibtisch leer arbeiten und extrem pünktlich gehen. Zur Reinigung musste ich schließlich auch noch. Ich spürte tatsächlich ein Magenflattern, als hätte ich ab jetzt alles im Laufschritt zu erledigen. Albern.

      Christian kam zurück und produzierte einen kunstvollen Rülpser.

      „Aha, es hat geschmeckt“, stellte ich fest. „Was gab´s denn?“

      Blöde Frage. „BigMäc, Pommes, Chefsalat, große Coke. Das reicht wieder für ein, zwei Stunden.“

      „Chefsalat? Wirst du auf deine alten Tage weich? Du lässt Vitamine an deinen kostbaren Körper?“

      „Vitamine? Du glaubst, bei McDonald´s dealen sie mit Vitaminen? Nie, sag ich dir!“

      „Hast du auch wieder Recht. Und iss nur ordentlich, schließlich muss ja der Bestand erhalten werden.“ Ich warf einen anzüglichen Blick auf den Bauch, der sich unter dem feingestreiften Hemd wölbte. Siebter Monat, mindestens.

      „Eben. Fastfood formte diesen Körper, das soll ja nicht umsonst gewesen sein. Jedenfalls war´s lecker.“

      „Wie jeden Tag.“

      Sabine sah richtig ausgemergelt aus, kein Wunder nach diesem Ekelbrei. Und Christian wurde langsam, aber sicher immer dicker, aber wenn er sich so schön fand? Und wenn seine Annette damit zurechtkam? Wenn nicht, sollte sie ihm eben Diätkost kochen oder ein Machtwort sprechen – ich würde mich auf Witze beschränken.

      Verdauungsstille breitete sich von Christian her aus, Sabine arbeitete mit Leidensmiene, und ich ackerte die letzten Papiere auf meinem Tisch mit Feuereifer und zunehmend knurrendem Magen durch. Nektarinen waren schon lecker, aber sie hielten nicht wirklich lange vor.

      „Machst du auch eine Diät?“, fragte Sabine gegen vier in einem Ton, der deutlich machte, dass sie in der letzten Stunde nur über das Abnehmen nachgedacht hatte. „Nö, heute Abend gibt´s noch Pizza und Cocktails. Wieso? Wegen der Nektarinen? Ich mag die Dinger, das ist alles.“

      „Ich dachte nur...“

      Ich sah misstrauisch auf. „Findest du, ich hab es nötig?“

      „Ach nein, nein...“ Der Ton gefiel mir gar nicht. Was hatte sie jetzt? Wollte sie bloß nicht alleine leiden? „Eine Frau kann nie reich genug und nie dünn genug sein“, warf Christian hilfreich ein.

      „Wer hat das gesagt?“, fragte Sabine interessiert.

      „Britney Spears“, behauptete er prompt.

      „Blödsinn“, murmelte ich, „das war die Herzogin von Windsor, und das Pferdegesicht hätte ich nicht geschenkt haben wollen.“

      „Wer war die denn?“, fragte Sabine rundäugig.

      „Für die hat immerhin ein englischer König auf seinen Thron verzichtet, aber nachdem er mit den Nazis sympathisierte, war das wohl kein großer Verlust“, antwortete ich und ließ meinen Drucker rattern.

      „Echt? Wann war das?“ Ich verdrehte die Augen zum Himmel. Nazis – wann konnte das schon gewesen sein?

      „Sechsunddreißig“, streute ich mein Wissen unter das gewöhnliche Volk.

      „Das