„Nein!“ sagt Saundra knapp und kneift die Lippen zusammen.
„Ich habe ihr nur angekündigt, dass ein paar Kleider aus deinem Schrank auf dem Bett liegen und ich leider schnell weg muss.“ bemerkt sie schulterzuckend.
Bildlich kann ich mir die Situation gerade vorstellen und pruste los vor Lachen, als im gleichen Augenblick die Tür aufgeht und meine Eltern und Kylie im Türrahmen stehen.
„Was ist denn bei euch los?“ fragt Mum irritiert.
„Ach Mum! Es gibt eben auch lustige Momente im Leben. Wir können doch jetzt nicht vierundzwanzig Stunden Rotz und Wasser heulen. Das macht es auch nicht besser.“ sage ich und breite meine Arme aus, um sie zu begrüßen.
„Tut mir übrigens leid, wegen heute Vormittag, aber ich war so aus dem Schlaf gerissen und total müde.“ schiebe ich noch entschuldigend hinterher.
„Schon gut mein Junge! Das verstehe ich doch, wenn es dir nicht gut ging und so gefällst du mir jetzt auch besser, wenn du wenigstens etwas Anständiges an hast.“ sagt sie liebevoll und küsst mich auf die Wange.
Dad und Kylie umarmen mich ebenfalls, wonach ich wieder ins Bett schlüpfe und mich bis zur Hüfte zudecke, denn mir ist immer noch kalt.
Dad hingegen hängt seine Jacke über einen Stuhl und der Glanz auf seiner Stirn verrät mir, dass es im Zimmer eigentlich warm sein sollte.
Mum erkundigt sich natürlich über mein Befinden und wie es jetzt weiter geht.
Mein Vater hört wie immer meistens nur zu und auch Kylie ist auffallend ruhig, als Saundra nach einer halben Stunde nervös auf die Uhr sieht.
„Ich muss jetzt gehen Darling, aber ich versuche so bald als möglich wieder bei dir zu sein.“ flüstert sie nahe an meinem Gesicht und küsst mich zart auf den Mund.
„Nein Saundra! Lass‘ dir Zeit bei Dr. Perez! Du kannst während der Infusion ohnehin nichts tun und möglicherweise schlafe ich sogar dabei ein.
Du musst überhaupt nicht hetzen, wir haben Zeit!“ raune ich eindringlich zurück.
Sie nickt kurz, schließt die Augen und küsst mich noch einmal lang auf den Mund.
„Bis dann!“ flüstert sie mit Tränen in den Augen und verabschiedet sich von meinen Eltern und Kylie.
Nun wird auch bald Dr. Spector mit der ersten Infusion auftauchen und mich beschleicht eine leichte Unruhe oder besser gesagt regelrechte Angst.
Denn ich weiß nicht, was auf mich zukommt und wie ich mich möglicherweise danach fühle.
„Hast du die Liste unserer Verwandten wieder mitgebracht?“ frage ich Mum deshalb unverfänglich.
„Ja, natürlich! Die habe ich schon heute Vormittag Dr. Spector gegeben, der sich selbst um alles kümmern will, beziehungsweise seine Sekretärin.“ antwortet sie mit hängendem Kopf.
„Ich hoffe so sehr, dass sich schnell jemand findet, der als Spender geeignet ist. Es tut mir in der Seele weh, dich so zu sehen.“ flüstert sie und bricht in Tränen aus.
Dad nimmt sie fest in die Arme und birgt ihren Kopf an seiner Schulter und auch Kylie streichelt tröstend ihren Rücken.
„Mum!“ sage ich daher sanft.
„Wir dürfen nur die Hoffnung nicht aufgeben und wer weiß, vielleicht reicht ja die Chemotherapie schon aus. Da muss ich halt jetzt durch, es bleibt mir ja auch gar nichts anderes übrig. Aber eines weiß ich … Ich will leben! Für Saundra und auch für Euch!“
Mum beruhigt sich langsam wieder, doch bevor sie etwas sagen kann klopft es an der Tür und Dr. Spector erscheint mit einem Infusionsständer, an dem drei verschiedene durchsichtige Flaschen hängen.
Er hat Schwester Megan im Schlepptau, welche Tupfer, Nierenschalen und Infusionsnadeln mit sich schleppt.
Zunächst tritt er an mein Bett, begrüßt mich mit ernstem Gesicht und setzt sich auf den Rand meiner Matratze.
„So Mr. Bolder, nun ist es soweit und wie ich sehe, haben Sie sich offenbar schon gut darauf eingestellt.“ sagt er mit einer Bewegung seines Kinns auf meinen kahlen Kopf.
„Meine Herrschaften, darf ich bitten!“ wendet er sich in Richtung meiner Familie und wirkt dabei sehr bestimmend.
Dad schiebt Mum von sich, reicht ihr ihre Jacke und greift selbst nach seiner eigenen. Auch Kylie zieht ihren langen schwarzen Mantel an und hebt ihre Seesackähnliche Handtasche von Boden auf.
„Nun ja, wie man es nennen will. So richtig weiß ich bis jetzt nicht, was wirklich auf mich zukommt.“ sage ich ehrlich.
Mum drängt sich zwischen uns und verabschiedet sich mit einem Küsschen auf meine Wange.
„Alle Gute, mein Junge! Ich liebe dich!“ raunt sie mit Tränen in den Augen.
Dad und Kylie umarmen mich ebenfalls noch einmal mit aufmunternden Worten und verlassen mit einem Kopfnicken an Dr. Spector gewandt den Raum.
„Puh! Hier ist es aber ganz schön warm.“ stellt dieser zunächst fest und wischt sich über die Stirn.
„Ich weiß!“ antworte ich und ziehe dabei die Augenbrauen nach oben.
„Aber seit heute Vormittag friere ich ständig und Saundra hat mir schon warme Hausanzüge von Zuhause geholt. Jetzt ist etwas besser.“
Dr. Spector legt besorgt die Stirn in Falten und sieht mir in die Augen.
„Sie frieren jetzt schon? Das ist gar nicht gut! Normalerweise ist das eine Nebenwirkung der Chemotherapie, also könnte das in den nächsten Tagen noch schlimmer werden. Schwester Megan…“ gibt er zu ihr gewandt seine Anweisungen.
„Wir brauchen hier auf jeden Fall noch eine Wolldecke und eine zusätzliche Zudecke, sonst müssen wir Mr. Bolder am Ende noch in der Sauna unterbringen.“
„Jawohl Sir!“ antwortet sie mit Augenaufschlag und verzieht ihr Gesicht ebenso sorgenvoll.
„Dann möchten Sie mit Sicherheit ihren Hausanzug anbehalten, wenn ich das richtig sehe.“ sagt er ernst und ich nicke zustimmend.
„Gut! Kein Problem! Das stört ja auch nicht mit der Infusionsnadel.“ stellt er fest und sieht mich von unten herauf an.
„Was ich Ihnen aber noch als eventuelle Nebenwirkung sagen muss ist, dass es zu schwerer Übelkeit und Erbrechen kommen kann.
Sollte dies der Fall sein, dann rufen sie bitte nach den Schwestern oder einem Arzt, auch wenn ich selbst nicht da sein sollte.
Es gibt Medikamente die das lindern können, aber ich möchte eigentlich sowenig wie möglich zusätzliche Medikamente einsetzen, weil diese gegebenenfalls die Wirkungsweise der Zytostatika stören, beziehungsweise auch die Leber schädigen könnten.
Deshalb sollten wir erst abwarten, wie gut Sie die Infusionen vertragen.
Zudem kann die Chemotherapie zu Abgeschlagenheit und Müdigkeit führen, aber damit haben Sie ja schon ihre Erfahrung. Vielleicht wird es nur noch ein bisschen mehr.“ führt er aus und blickt mich prüfend über den Rand seiner schwarzumrandeten Brille hinweg an.
„Sind Sie dann soweit?“ fragt er prüfend.
Seufzend schließe ich die Augen und nicke kurz.
Kapitel 6
„Es bleibt mir ja nichts anderes übrig, wenn ich nicht sterben will! Also fangen Sie schon an.“ sage ich bedrückt.
Dr. Spector und Schwester Megan desinfizieren sich zunächst beide gründlich die Hände und Schwester Megan schiebt den Ärmel meines rechten Armes nach oben, wobei es mich erneut augenblicklich fröstelt.
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