„Sage ich doch.“
„Wie wäre es, wenn wir erst einmal eine Pause einlegen würden?“, fragte Anuim. „Allmählich bekomme ich Hunger.“
Meneas sah sich in der Nähe um und entschied sich für einen geschützten Platz zwischen zwei Bodenerhebungen, nicht weit von ihnen. Ihre Lage erforderte eigentliche keinen besonderen Lagerplatz. Dass sie eine geschützte Stelle aufsuchten, war mehr eine alte Gewohnheit aus ihrer Zeit außerhalb Ogmatuums, wohin sie bald wieder kommen würden.
„Dort“, meinte er.
Die Reiter machten sich auf den Weg.
Bis zur Grenze Ogmatuums waren es noch gut zwei Tage. Dann erwartete sie das Land Tetker. Allerdings würden sie den Wechsel nicht sogleich feststellen können, denn es gab keine Grenzmarkierungen und nur Einheimische oder Eingeweihte wussten, wo die Grenze verlief. Doch das spielte keine Rolle, denn im Grenzverlauf war das Land auf beiden Seiten nur sehr dünn besiedelt und es gab keine Streitigkeiten. Die Ogmari störten sich nicht daran, wenn ein tetkerischer Bauer sein Vieh auch einmal auf ihrem Gebiet grasen ließ. Und umgekehrt kam das nicht vor.
Aber auch jetzt gab es noch keine Wege, die sie benutzen konnten. Daher blieb ihnen nichts anderes übrig, als querfeldein zu reiten. Immerhin stand das Gras nicht sehr hoch und so fiel den Pferden das Laufen leicht.
„Eigentlich ist es gar nicht schwer, den Weg zu finden, solange man die Berge am Horizont wachsen sieht“, fand Meneas.
Tjerulf lächelte.
„Das wird sich ändern, aber solange wir uns in Ogmatuum befinden, hast du Recht. Bis zur Grenze werden wie aber wieder in bewaldetes Gebiet kommen und dann wird die Fernsicht natürlich schlechter.“
Meneas nickte.
„Wie gut kennst du dich hier eigentlich aus?“
„Wie meinst du das?“
„Na ja, sagtest du nicht, dass du schon in Ogmatuum warst?“
„Das stimmt. Es waren schon einige Male. Oben recht gut. Vielleicht hätten wir noch nicht einmal Caladh zum Tarin-See mitnehmen müssen.“
„Hättest du den Eingang zur Höhle unter dem See gefunden?“
„Vielleicht - nein, wahrscheinlich nicht. So genau hatte ich mich dort nicht umgesehen.“
„Wie kamst du überhaupt dazu, Ogmatuum zu erforschen? Hier ist doch nichts.“
Tjerulf lachte.
„Das sagst du, weil es dir jemand so erzählt hat. Im Allgemeinen findet man so etwas aber erst heraus, wenn man es erforscht hat. Es war Neugierde.“
„Und was hast du entdeckt?“
„Nichts.“
Meneas sah seinen Freund von der Seite an. Er brauchte nicht lange darüber nachzudenken, um herauszufinden, dass er ihm etwas verschwieg. Und Tjerulf schien das zu spüren.
„Jedenfalls nichts, was uns in unserer Sache weiterhelfen könnte.“
„Aha.“
„Wieso »Aha«?“
„Also gab es doch etwas.“
„Das ist eine andere Geschichte. Aber wenn du unerhörte Entdeckungen vermutest, muss ich dich enttäuschen.“
„Das ist nicht nötig. Vielleicht ein anderes Mal. Warst du auch unter der Erde?“
Tjerulf blickte Meneas rätselhaft und fast ein wenig unwillig, wie er fand, an.
„Nein, lass. Vergiss die Frage.“
Tjerulf wandte seinen Blick wieder nach vorne.
Da war es wieder, das Gefühl, dass Tjerulf einiges verbarg. Meneas schüttelte verärgert über sich selbst den Kopf. Natürlich hatte auch er seine Vergangenheit und natürlich gab es überhaupt keinen Grund, ihm alles zu erzählen. Schließlich handelte Meneas nicht anders. Und wenn er ehrlich war, kannte er genauso wenig lückenlos die Vergangenheit seiner eigenen Freunde. Warum nur, versuchte er es ausgerechnet bei Tjerulf herausfinden? Warum nicht bei Durhad, Solvyn, Valea, Idomanê, Freno, Anuim, selbst bei Erest? Tjerulf jedoch wurde für Meneas von dem dichtesten Schleier von Geheimnissen umgeben. Vielleicht war es genau das, was ihn beschäftigte.“
„Du machst dir viele sinnlose Gedanken“, unterbrach Tjerulf seine Überlegungen. „Alles offenbart sich zur rechten Zeit.“
„Wie kommst du jetzt darauf? Kannst du Gedanken lesen?“
„Nein, ich habe keine Ahnung, worüber du nachgedacht hast, aber dein Gesicht sagt mir, dass du gewisse Zweifel hegst.“
„Ich werde mehr auf mein Gesicht achten müssen“, meinte Meneas.
„Das ist immer gut, denn es kann in unglücklichen Augenblicken mehr verraten als Worte.“
„Ich dachte, du kannst keine Gedanken lesen.“
„Das habe ich gesagt. Aber was hat das damit zu tun?“
„Also gut. Wie weit wollen wir heute noch reiten?“
„Nicht mehr weit. Eigentlich gibt es kein bestimmtes Ziel. Wenn ihr nicht mehr wollt, halten wir an. Es gibt keinen besonders geeigneten Lagerplatz. Wir werden kaum umhin können, unsere Zelte aufzustellen. Ich fürchte, es wird kalt heute Nacht. Aber ich schlage vor, dass wir noch das Tageslicht nutzen. Wer weiß, wie das Wetter morgen wird.“
Nach zwei weiteren Stunden erreichten sie eine Stelle in der Steppe, die sich in nichts von der Umgebung unterschied. Tjerulf hatte nicht untertrieben. In weitem Umkreis gab es keine bemerkenswerten Geländemarken. Und der einzige Grund, warum sie nun anhielten, war die Tatsache, dass sie einen kleinen Bach erreicht hatten, der sie wenigstens mit frischem Wasser versorgte.
Es war früher Abend und es würde nicht mehr lange dauern, bis die Dämmerung hereinbrach. Trotz der Eintönigkeit der Landschaft hatte sich im Verlaufe des Tages aber ein Sachverhalt verändert. Sie hatten den Schnee hinter sich gelassen. Schon als sie aus dem Tunnel der Ogmari herausgekommen waren, hatte er nur dünn den Boden bedeckt und bis zum späten Nachmittag war er ganz verschwunden. An der Temperatur konnte es nicht liegen, denn es war kaum zu verkennen, dass sie unter dem Frostpunkt lag. Nicht nur, dass ihr Atem beschlug, das hätte er wohl schon früher getan, aber die Luftfeuchtigkeit, die sich auf das Gras gelegt hatte, war zu Eis gefroren und es brach unter ihren Schritten.
„Und nirgends gibt es Holz für ein Lagerfeuer“, murrte Erest.
„Damit müssen wir uns heute wohl abfinden“, meinte Tjerulf. „Aber ich kann euch für morgen versprechen, dass wir dann genug finden werden. Und ich hoffe, es tröstet euch, wenn ich sage, von nun an werden die Tage wieder wärmer. Diese besondere Gegend steht in dem Ruf, ungewöhnlich kalt zu sein. Die Ogmari nennen sie die »Eissteppe«.“
„Dafür erscheint es mir aber noch ganz erträglich“, fand Valea. „Auch ohne ein Lagerfeuer.“
„Es ist ja auch noch kein richtiger Winter.“
Sie stellten ihre Zelte im Kreis auf mit den Eingängen zueinander. Und in der Mitte war ihr Lagerplatz. Die Umstände waren aber alles andere als gemütlich und kurz nach dem Abendessen, mittlerweile war die Dunkelheit hereingebrochen, verschwanden sie in ihren Zelten. Tjerulf versicherte ihnen, dass sie sich in einer äußerst einsamen Gegend aufhielten und es kaum vonnöten sein würde, Wachen aufzustellen. Das würde sich vom nächsten Tag an wieder ändern.
„Wenn die Erde bebt, sollten wir jedoch aufmerksam werden“, meinte Erest. „Es könnte ein Riese sein.“
Aber es kam keiner. Und sie bekamen auch keinen anderen Besuch. Die Nacht war so ruhig und erholsam, wie sie es sich nur erhoffen konnten und in ihren Decken spürten sie nichts von der Kälte.
Als Nephys über dem Horizont erschien, weckte sie die Helligkeit