Der Anschlag auf London am 11. Sept. 2101 nebst seiner Geschichte. Eric Gutzler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Eric Gutzler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742788283
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und während die Schiffseignerin in einer anderen Kajüte mit mikrochirurgischen Instrumenten hantierte, meldete sich der Avatar dreißig Minuten nach der vorangegangenen Information erneut: „Das Schiff unter Beobachtung hat seine Richtung geändert und die Geschwindigkeit erhöht. Wenn es seinen Kurs und seine Geschwindigkeit beibehält, wird es in einer Stunde unsere Route kreuzen.“

      Nach dieser Nachricht forderte Medea sogleich über den Avatar ein Satellitenbild der Küstenregion an, ließ es vergrößern und das fremde Schiff mit der Datenbank abgleichen.

      „Es handelt sich“, sagte der Avatar, „zweifelsfrei um ein Polizeischiff der Islamisch-Sunnitischen Föderation.“

      „Auch wenn es ein Polizeischiff auf Patrouille ist“, erwiderte Medea, „weiß man nie, was die Besatzung im Schilde führt oder welchen Anweisungen sie Folge leisten muss. Wir müssen vorsichtig sein und uns auf eine Begegnung vorbereiten.“

      Zur Vorbereitung der Begegnung mit dem ISF-Schiff überprüfte Henry Morgan, ob am Heck die rote Flagge Singapurs aufgezogen war und ob die graue Farbe des Rumpfes sowie das verwaschene Gelb der Segel mit einem blauen Streifen den Fotos entsprachen, die bei der Hafenbehörde Singapurs gespeichert waren. Danach öffnete er im Monitor der Steuerkajüte das Logbuch der Amiramis, ergänzte einige Eintragungen und verwandelte schließlich sein Aussehen in das eines Malaien. Dann vergrößerte er die Segelfläche und erhöhte die Geschwindigkeit um zwei Knoten, um zu prüfen, ob das Polizeischiff über die Jacht GPS-Daten abfragte und seine Richtung änderte.

      Als sich wenig später alle Frauen in der Kajüte versammelt hatten, meldete er, das Polizeischiff habe seine Geschwindigkeit auf fünfundzwanzig Knoten erhöht. Es sei offensichtlich, dass es die Jacht abfangen wolle.

      „Wenn wir unseren Kurs ändern“, ergriff nach einem Augenblick des Schweigens Sanabu das Wort, „können wir ihm ausweichen; unter vollen Segeln sind wir schnell.“

      „Wenn wir ihm ausweichen“, antwortete ihr Bodishia, „wird der verantwortliche Offizier alle Zoll- und Polizeischiffe der Föderation benachrichtigen. Dann können wir unsere Waren nicht in Port Kardarez ausliefern. Außerdem bin ich mir nicht sicher, ob wir dem Polizeischiff davonsegeln könnten, es ist ein Tragflächenboot.“

      „Irgendein Satellit hat uns bestimmt im Visier und zeichnet die Fahrt auf. Wir sollten keine zusätzliche Neugier wecken und auf keinen Fall“, schaltete sich Ronit ein, „mit mehr als fünfundzwanzig Knoten segeln.“

      Medea nickte zustimmend und sagte: „Ich habe nachgedacht, wir sollten nichts überstürzen. Wenn sie uns mit der Lässigkeit ihrer Gewohnheit kontrollieren, werden sie die Fracht nicht finden. Und sie haben auch sonst nichts in der Hand, um uns Schwierigkeiten zu machen. Nach den Papieren sind wir eine gecharterte Crew mit dem Auftrag, dieses Schiff zu überführen. Gegen den in den Papieren angegebenen Käufer liegt nichts vor, im Gegenteil, er gilt als Freund der derzeitigen Regierung der ISF.“

      „Ich teile deine Auffassung“, sagte Bodishia, „selbst wenn der verantwortliche Polizeioffizier ein ehrgeiziger Dummkopf ist, wird ihm der Name des Käufers geläufig sein. Wenn wir ihn nicht provozieren, wird er uns unbehelligt lassen. Ich werde einen Tschador anziehen und eine Muslima sein.“

      „Demut zeigen ist eine gute Idee. Freie Wahl der Waffen, aber Kopftuchpflicht für alle!“

      Da Kao, Li und Solveig keine gegenteilige Meinung hatten, wurde mit Mehrheit beschlossen, die Fahrtrichtung beizubehalten und der kommenden Kontrolle mit dem Prinzip der geöffneten Hände zu begegnen. Nur Sanabu blieb bei ihrer Ablehnung: „Die Frage ist doch, warum die Küstenpolizei uns überprüfen will. Hat sie einen Tipp bekommen? Ich werde nicht an Bord sein, sondern die Begegnung im Wasser verfolgen.“

      „Wir sollten uns hüten“, gab Bodishia zur Antwort, „immer und überall Gefahren und Hinterhalte zu wittern. Sonst werden wir paranoisch. Aber dich für einen Notfall in Reserve zu haben, ist eine gute Idee.“

      Das Polizeischiff „Stolz des Islam“ war nicht nur ein schnelles, sondern auch ein mit zwei Kanonen bewaffnetes Tragflächenboot. Als es sich bis auf eine halbe Seemeile genähert hatte, erschien auf dem Nachrichtenmonitor der Jacht die Aufforderung, die Segel zu reffen und die Fahrt zu stoppen. Obwohl die Echtzeitfotos eines Satelliten nichts Auffälliges zeigten, erstieg Li Yuchan den Mast und überprüfte das Schiff mit einem starken Fernglas. Aber auch sie konnte nichts Verdächtiges feststellen. „Die Männer“, meldete sie ihren Gefährtinnen, „tragen die in der ISF übliche Bekleidung der Zollbeamten. Sie haben die Geschützstationen besetzt. Wenn wir nicht beidrehen, können sie uns zusammenschießen.“

      So glitt der „Stolz des Islam“ von achtern an der Steuerbordseite der Amiramis heran und machte an ihr fest. Ein Polizeioffizier und vier Männer kamen über eine Enterbrücke an Bord. In dem Augenblick, als die Männer das Deck der Jacht betraten und Medea nur auf das Gesicht des Polizeioffiziers achtete, schrie Ronit auf: „Verdammt, wir wurden hereingelegt! Seht euch die Füße an. Einige sind barfuß, andere tragen zerrissene Sportschuhe, das sind Piraten!“

      Doch es war schon zu spät. Die Männer hatten Maschinenpistolen aus ihren Umhängen gezogen und trieben die Frauen auf dem Vordeck zusammen. In schlechtem Englisch sagte der Anführer: „Eine Bewegung und wir schießen alle über den Haufen!“

      Dann gab er in einem malaiisch-arabischen Dialekt, den von den Frauen nur Ronit und Sanabu bruchstückhaft verstanden, einem seiner Männer den Befehl, nach unten zu steigen und die Kajüten zu durchsuchen. Als der wieder auftauchte und versicherte, keine weiteren Personen seien an Bord, ließ der Anführer die sechs Frauen einzeln vortreten und mit Handschellen fesseln. Danach wurden sie in den fensterlosen Raum mittschiffs gebracht und eingeschlossen. Nur die Frau im Tschador wurde in die Steuerkajüte geführt, damit sie dem Mann, der das Steuer übernahm, Auskunft über Funktionen des Armaturenstandes geben konnte. Der Offizier und die restlichen Männer gingen von Bord.

      Nach kurzer Zeit nahm der „Stolz des Islam“ mit der Amiramis im Schlepp Fahrt auf.

      Kapitel 2: Fast ein Idyll

       The Sun and Times, London, 9. Sept. 2100: Der Premierminister wird heute im Parlament eine Gesetzesvorlage einbringen, mit der die Bürger besser gegen Entführungen und Menschenraub geschützt werden sollen. Das Gesetz sieht vor, dass jeder Bürger mit einem Chip ausgestattet wird, der die Position seines Trägers beständig an den neuen britischen Positionssatelliten MS19 meldet. Die konservative Opposition hat heftige Proteste gegen dieses Überwachungsgesetz angekündigt.

      Wenn Philip McShane sein unscheinbares Reihenhaus im Nachtigallenweg verließ, benötigte er nur wenige Schritte, bis er an jener Stelle auf dem Hügel von Richmond stand, von wo aus Constable und Turner ihre bekannten Landschaftsbilder der Themse in Richtung Hampton Court gemalt hatten. Durch glückliche Umstände oder den Zufall hatte sich die Landschaft seit der Zeit Constables nur wenig verändert und war nicht durch moderne Bauten entstellt worden. Der Hauptunterschied bestand darin, dass sich im Verlauf der letzten fünfzig Jahre zwischen die einheimischen Laubbäume südländische Feigenbüsche, Olivenbäume und Palmen gemischt hatten. McShane unternahm jeden Morgen nach dem Frühstück einen etwa zweistündigen Spaziergang, wobei er seine Wegstrecke oft wechselte. Sein erster Gang galt jedoch immer dem Ausblick auf dem Hügel. Dort verglich er die Farben des Himmels und des Flusstales mit seiner Erinnerung an das Bild Constables und trug in einem kleinen Notizbuch in Form einer Benotung ein, ob die Wirklichkeit des Tages, das Licht und die Stimmung viel schlechter, schlechter, etwas schlechter oder fast so schön wie auf dem Gemälde waren. Danach stieg er meistens zum Fluss hinab und spazierte stromabwärts am alten Hirschpark vorbei, bis auf dem anderen Flussufer Syon House und die große Palmenallee entlang der Überschwemmungsaue ins Blickfeld kamen. Dann ging er entweder zurück oder sprang an einer bestimmten Stelle über den Wassergraben, der den Weg vom Gelände von Kew Gardens trennte, um im Park seinen Spaziergang fortzusetzen. Den Golfplatz, der sich an den Hirschpark anschloss, hatte er früher oft mit seiner Frau zusammen besucht und dort eine Runde Golf gespielt. Jetzt mied