Weihnachten? Um Gottes Willen!. Klaus Grammel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Grammel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746777214
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zu Weihnachten – wie will sie das verantworten?“ Er war empört. „Sie fördert die völlige Leere dieses Festes. Dabei beansprucht sie doch, einen wichtigen Inhalt zu haben, wegen dessen es sich lohnen würde, Weihnachten zu feiern.“

      Mein Freund hat keine Hoffnung mehr, dass sich das ändern wird. „Solange noch Menschen kommen, tut man alles, sie zu halten. Wenn sie nur kommen und sogar mitmachen – das ist doch das Wichtigste für die Kirche. Wichtiger als die Frage, was die Wahrheit von Weihnachten ist oder sein könnte, vielleicht sogar sein sollte.“

      Was habe ich entgegenzusetzen? Es stimmt ja, was er sagt. „Da haben wir mit Kindern ein Krippenspiel eingeübt, dessen Geschichte für die Erwachsenen längst unglaubwürdig geworden ist. Wovon handelt es? Vom Jesuskind im Stall, von Engeln und Hirten und den Heiligen drei Königen.“

       „Na ja, für Kinder und Familien …“, hatte ich eingewendet.

      „Du verstehst mich falsch, wenn du denkst, dass ich etwas gegen Krippenspiele habe“, hatte er widersprochen. „Doch wir müssen fragen, was für welche? Was vermitteln sie denn? Haben Kinder kein Recht auf Wahrhaftigkeit?“

      Doch, natürlich, denke ich.

      Und was mein Freund zu den Gottesdiensten gesagt hatte, hatte auch nicht ermutigend geklungen. Dabei ist er ein milder Mensch. Die prophetische große Geste liegt ihm völlig fern.

      „In den Gottesdiensten“, so behauptete er, „werde an ein paar abgegriffenen großen Begriffen wie Frieden, Gnade, Menschwerdung … versucht, die alte Geschichte gegenwärtig zu machen. Sicherlich ehrlich gemeint. Aber wie soll das gelingen? Hier bei uns, wo doch bei so vielen das Wort Gott längst zu einem Fremdwort geworden ist? Und das sind mehr Menschen als die, die sich dezidiert als Atheisten bezeichnen.“

      Das ist ja auch mein Eindruck: Weihnachten ist für die Kirche gar kein Fest mehr, das der Welt gilt, sondern nur noch den religiös Interessierten. Dabei behauptet die Kirche genau das Gegenteil.

      „Weihnachten ist ein Symbol“, sagte er. „Und dieses christliche Symbol ist gestorben. Man kann es nicht mehr auferwecken. Es ist verbraucht, vernutzt, tot.“

      „Ich habe da noch meine Hoffnung“, habe ich dagegengehalten. „Die Kirche müsste nur ein kritischeres Problembewusstsein haben.“

      „Mache dir nichts vor, Klaus. Weihnachten ist uns abhandengekommen.“

      „Oder du ihm?“

      „Ja“, sagt er nach einer Pause, „oder ich ihm. Aber da ist kein Verlustschmerz.“

      Wir schwiegen und fühlten uns trotz der Differenz unsrer Empfindungen ganz miteinander verbunden.

      „Und das mit der Wintersonnenwende ist doch auch kein Grund mehr, Weihnachten zu feiern“, hatte er noch einmal das Wort ergriffen. „Dieses Ereignis der Natur war einmal von eminenter Bedeutung. Aber heute?“

      Wieder musste ich ihm Recht geben. Ich kann auch nicht sehen, dass in unsrer lichtüberfluteten Zeit, in der die Nacht zum Tage gemacht wird und man vor lauter Lichtverschmutzung keine Sterne mehr sehen kann, die Sonnenwende eine entscheidende Rolle spielt. Unsere Entfernung von der Natur ist heute so weit gediehen, dass der jährliche Lauf der Sonne und damit der Wechsel der Jahreszeiten unser Leben weniger bestimmt als der Wechsel von Arbeit und Urlaub.

      Was ist uns noch dieses Fest in diesen Dezembertagen wert?

      Ich spüre den Druck dieser Frage und leide daran, dass die Mehrheit meiner Zeitgenossen sich diese Frage gar nicht stellt.

      Vielleicht tun es am ehesten noch diejenigen, die versuchen, sich wegzuducken, diesen Tagen zu entkommen, irgendwohin. Da fährt einer los. Von den Malediven verspricht er sich Sonne, Wärme, Strand, Palmen, Erholung und vor allem Vergessen. Im Foyer seines Hotels begrüßt ihn ein Weihnachtsmann mit einem Weihnachtsengel an seiner Seite, der ihm eine Spekulatiusschachtel als Geschenk überreicht. „Merry Christmas“ sagen beide und ziehen ihn für ein Erinnerungsfoto zum Weihnachtsbaum, der neben dem Tresen steht.

      Auf den Punkt gebracht: Weihnachten ist ein Gräuel.

      Der nicht muslimische Weihnachtsbaum

      Von einem schlechten Gewissen zu sprechen, wäre wohl falsch. Dazu gab es auch keinen Grund. Wir sind schließlich immer offen und ehrlich miteinander umgegangen. Aber ganz wohl muss sich der Kitaleiter in seiner Haut nicht gefühlt haben, nachdem er mich wieder ausgeladen hatte. Zumal er mit diesem Schritt einer in seinem Erzieherteam schon vorher aufgebrochenen Diskussion über Weihnachten neuen Zündstoff gegeben hatte. Sie lief kontrovers hin und her, ohne klare Positionen aufzuweisen. Dies und das wurde behauptet und gefordert und keiner, auch der Leiter nicht, wusste wirklich, wo es lang gehen sollte.

      Dass es Schwierigkeiten gab, ahnte ich. Diese Ahnung wurde bestätigt, als mich der Leiter der Kindertagesstätte anrief und zum Kita-Schnack einlud. „Ein bisschen kurz, gleich morgen, am Freitag, aber ich hoffe, du kannst kommen.“

      Beim Kita-Schnack handelte es sich um eine Runde außerhalb der Dienstzeit, in der man sich ohne Tagesordnung und Protokollzwang austauschen und näherkommen wollte. Wer konnte, brachte etwas zu essen oder zu trinken mit. Ich spendierte eine Stolle. Die Belegschaft war ein buntes Völkchen, das ich mochte. Ihr waren die Kinder wichtig; das gefiel mir.

      Ich konnte einen Termin umlegen und ging hin. Am Eingang zur Kita traf ich einen Mitarbeiter, der gerade einen Adventskranz an der Decke befestigt hatte.

      „Ist er runtergefallen?“, fragte ich.

      „Nee … öh … nein, ich habe ihn eben erst angebracht.“

      „Sonntag ist doch schon der zweite Advent. Ein bisschen spät – oder?“

      Meine Frage klang nicht tadelnd, sondern interessiert. Ich bekam aber nur eine ausweichende Antwort.

      „Naja, lohnt doch noch.“

      In der Runde mit der Kitabelegschaft erfuhr ich dann, dass im Eingangsbereich ein Weihnachtsbaum gestanden hatte, den Kinder mit Engeln, Strohsternen und selbst gebastelten Figuren, kleinen Bildchen und Wollkugeln geschmückt hatten. An der Spitze war ein goldener Stern mit einer Bleifassung und goldgelben Glasfenstern angebracht, der beleuchtet war.

      „Den Baum haben wir jetzt durch den Adventskranz ersetzt.“

      „Und warum?“

      Etwas zögerlich kam die Antwort. „Weil es Ärger gab. Mit einem muslimischen Vater. Der meinte, dass die religiösen Gefühle seiner zwei Kinder in der Kita durch dieses christliche Symbol verletzt würden.“

      „Und der Adventskranz tut das nicht?“, fragte ich.

      „Der ist neutral. Wenn der Vater auch gegen den was haben sollte, dann bleiben wir hart. Das haben wir uns alle vorgenommen. Er muss ja auch unsre Traditionen respektieren, wenn sie nicht diffamierend wirken.“ Der Leiter schaute in die Runde. Alle nickten.

      „Der Weihnachtsbaum wirkt diffamierend?“

      Meine Frage klang erstaunt.

      „Naja, nicht direkt, aber er ist eben ein christliches Symbol, so wie das Kreuz zum Beispiel auch. Oder wie auf der anderen Seite das Kopftuch.“

      „Hm.“ Ich war irritiert. Endlich sagte ich: „Ich möchte dazu etwas klarstellen. Aber vorher habe ich noch eine Frage an euch. Was ist euch das Wichtigste an Weihnachten? Was ist euch so wichtig, dass es für euch nicht richtig Weihnachten wäre, wenn es fehlen würde?“

      „Jetzt willst du hören, dass Jesus geboren wurde“, sagte ein junger Erzieher. Seine Bemerkung klang beherrscht und zugleich aggressiv. Erst vor Kurzem hatten wir ihn nach langen Diskussionen im Gemeindekirchenrat und im Kreiskirchenrat und mit Sondergenehmigung des Konsistoriums eingestellt. Er hatte von seinen Eltern her zu einer fundamentalistisch ausgerichteten evangelischen Freikirche gehört. Aus der war er gerade ausgetreten, wie er uns offen bei seiner Bewerbung mitgeteilt hatte. „So ’n Quatsch kann und will ich nicht mehr glauben.“

      Nun gehörte er keiner christlichen