Weihnachten? Um Gottes Willen!. Klaus Grammel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Grammel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746777214
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Grammel

      

      

      

      

      

      

      

       WEIHNACHTEN

       UM GOTTES WILLEN

      

      

      

      

      

       Gedanken über ein schönschwieriges Fest

       und seine Hintergründe

      

      

      

      

      

      

      

      

       Ein autobiografischer Sachbuchroman

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      

      Meinen Freunden

      Gumpi und Auwi (†)

      Schön schrecklich

      An dem Tag, an dem meine Ärztin mir sagte, dass meine Zuckerwerte gestiegen sind – „Noch nicht bedrohlich, aber wir müssen das im Auge behalten! Sie wissen: weniger Süßes und mehr Bewegung!“ – steckte in meinen Schuhen ein Tütchen mit zwölf Mozartkugeln. Eine Kugel gönnte ich mir sofort.

      „Danke.“ Ich war gerührt. Meine Frau sah es mir an.

      „Ebenfalls danke“, sagte sie und nahm sich eine Himmlische aus ihren Schuhen. „Schön, dass der Nikolaus weiß, was wir so mögen.“

      Wir umarmten uns.

      Das war am Morgen. Nachmittags saß ich in meinem Fernsehsessel. Eigentlich lag ich mehr, als dass ich saß, auf meinen Knien ein nagelneues Buch über den römischen Kaiserkult.

      „Das ist doch viel zu viel für den Nikolaustag“, sagte ich. Es fällt mir leichter, etwas zu verschenken als etwas geschenkt zu bekommen „Leonore! Das ist ja schon ein richtiges Weihnachtsgeschenk.“

      „Der Nikolaus hat eben rausgekriegt, dass du es schon vor Weihnachten lesen willst.“

      Meine Frau freute sich, dass ihr eine Überraschung gelungen war. Sie lag auf der Couch und sah sich alte Weihnachtspostkarten an. Die hatte sie noch von ihrem Großvater, und der hatte sie auch schon geerbt bekommen. Sie zeigte mir eine: die Heiligen drei Könige mit zwei Kamelen und einem Esel, unterwegs zum neugeborenen König; am Himmel ein Stern mit langem Schweif.

      Um 1900, stimmungsvoll, aber keineswegs kitschig, und äußerst gekonnt gemalt, so bildete ich mir mein Urteil.

      Meine Frau fand den Künstler heraus: Paul Hey, der Maler des deutschen Gemütes. Wenn man eine solche Szene so malt, wird sie zum idyllischen Märchen, dachte ich bei mir.

      „Soll sie doch auch“, hätte der Maler mir geantwortet.

      „Gerade nicht!“, hätte ich ihm widersprochen.

      „Bist du eigentlich weitergekommen mit dem kleinen Päckchen?“, fragte mich meine Frau.

      „Welches Päckchen?“

      „Du sollst doch jemanden ausfindig machen“, sagte sie. „Oder sollst du die Sachen nur verwahren?“

      „Nein, bin ich nicht. Hatte noch keine Zeit“, gab ich unwirsch zurück. Das Päckchen ärgerte mich. Eigentlich ärgerte ich mich über mich selbst. Warum habe ich mich darauf eingelassen?

      „Wie kommst du denn jetzt darauf?“, fragte ich nach.

      „Wegen der Geschenke. Die Heiligen drei Könige hatten doch Geschenke bei sich“, sagte meine Frau, ohne auf meine leichte Verärgerung einzugehen.

      „Das mit dem Päckchen, fürchte ich, wird noch ein langer Weg werden. Und mich leitet kein Stern.“

      Meine Frau verstand mich.

      Auf dem Beistelltisch hatte sie meine Lieblingstasse mit duftendem Kaffee und die Tüte mit den Mozartkugeln gestellt, daneben eine weihnachtlich verzierte Schachtel mit sechs Rumkugeln, die auch noch in einem meiner Schuhe gesteckt hatten. Elf Mozartkugeln waren noch da. Von den Rumkugeln fehlte noch keine. Ich war stolz auf mich.

      „Jetzt darf ich aber.“ Mit diesen Worten machte ich eine Tür auf, die schwer wieder zu schließen war. „Eine gönne ich mir noch“, sagte ich zu mir, „aber dann ist Schluss.“

      Ich sagte es mehrmals an diesem Nachmittag. Nach zwei Stunden sah man nur noch drei Mozartkugeln, von den Rumkugeln keine mehr.

      Man muss auch mal zu sich selber nett sein!

      Redete ich mich nur raus oder hatte ich mir wirklich meine Gier nach Süßem verziehen?

      Aus dem Radio tönte die sonore Stimme von Johnny Cash. Er sang Weihnachtslieder. Irgendwie kitschig. Aber es störte mich nicht. Zu Weihnachten darf es ruhig ein bisschen sentimentaler und rührseliger zugehen als sonst, redete ich mir ein. Die Süßigkeiten, das Buch, die Musik, die ruhige, warme Atmosphäre unseres Beisammenseins hatten meinen leichten Unwillen von eben völlig vertrieben. Ich genoss die wohlige Ruhe eines vorweihnachtlichen Nikolausnachmittags und dachte: Eigentlich ist Weihnachten eine schöne Zeit.

      Als das Telefon klingelte, nahm ich das als Aufforderung, endlich mit der Nascherei aufzuhören. „Bitte pack sie weg, Leonore“, sagte ich und zeigte auf das Tütchen mit den lockenden Pralinen, bevor ich aufstand und zum Telefon ging.

      „Nein, das mit der Selbstbeherrschung musst du schon alleine hinkriegen.“

      Aha, dachte ich, sie wehrt sich dagegen, meine Mutter zu spielen. Ich sah auf ihr Tütchen mit ihren Himmlischen. Es war fast leer.

      „Oh“, sagte ich, „ertappt?“

      Sie streckte mir die Zunge raus. Wir lachten.

      Der Leiter einer Kita fragte mich am Telefon, ob ich bereit sei, bei seiner Weihnachtsfeier den Weihnachtsmann zu machen. Alle würden da sein: die Erzieher, die Kinder und ihre Eltern, dazu ein paar Omas und Opas. Mir kam sofort eine pädagogische Idee, und so sagte ich schnell zu.

      Der Erzieher war überrascht. „Wirklich? Das ist ja Klasse. Ich hatte damit gerechnet, erst lange mit dir diskutieren zu müssen.“

      „Ich sage dir mal, was mir gerade eingefallen ist.“

      Ich erzählte ihm, dass ich erst einmal, noch nicht verkleidet, in launiger Form erzählen möchte, dass da zuerst der Nikolaus war, den es wirklich gegeben hat. Und dass Luther ihn ersetzt hat durch das Christkind, weil er etwas gegen die Heiligen hatte. Und dass dann aber der Nikolaus den Kampf gegen seinen himmlischen Konkurrenten gewonnen hatte, weil er sich verwandelt hatte: in den Weihnachtsmann. Der war nun gar nicht mehr heilig. Statt eines Bischofsstabes trug er eine Rute. Natürlich auch einen Sack voller Geschenke. Wenn