Weihnachten? Um Gottes Willen!. Klaus Grammel. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Klaus Grammel
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783746777214
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gab es etwas aus dem Sack oder mit der Rute. Den Kindern machte das Angst.

       „Lieber guter Weihnachtsmann,

       schau mich nicht so böse an“

      „Danach verspreche ich den Kindern“, sagte ich zu dem Mitarbeiter weiter, „dass mein Weihnachtsmann ihnen keine Angst machen wird, und lasse mich von den Kindern als Weihnachtsmann anziehen. Vor allen Leuten! Roter Mantel mit weißem Pelz, ebenso die Kapuze, weißer langer Bart, Sack und Rute. Kannst du dir vorstellen, wie ich das meine?“

      Keine Antwort.

      Ich fuhr fort: „Die Rute werfe ich dann in hohem Bogen in die Ecke und sage: Keiner kann immer alles richtig machen. Die Erwachsenen auch nicht. Wenn man was falsch macht, dann kriegt man die Folgen natürlich zu spüren. Das muss so sein. Aber darauf noch eine Strafe raufzusetzen, das finde ich gemein. Nein, die Rute will ich nicht.“

      Mein Gesprächspartner war seltsam still.

      „Bist du noch da?“

      „Ja ja.“

      Ich erzählte ihm weiter, dass ich dann als Weihnachtsmann auf der Feier so allerlei Gutes tun und danach die Kinder bitten würde, auch mal den Weihnachtsmann zu spielen.

      Nun brach es aus dem Pädagogen heraus: „Das ist unmöglich, was du da vorhast! Sei doch froh, wenn die Kinder noch an den Weihnachtsmann glauben. Zerstöre doch nicht ihre Illusion. Das kommt früh genug. An irgendetwas müssen sie doch glauben, erst recht in einer kirchlichen Kita.“

      Auf eine inhaltliche Diskussion ließ er sich nicht ein.

      Ich war enttäuscht und verärgert. Er schlug vor, die Erzieher und Elternvertreter zu befragen und mich in etwa einer Stunde wieder anzurufen. Ich wusste, was er mir sagen würde. Schon nach zwanzig Minuten teilte er mir mit, dass alle dagegen seien und ich seine Bitte an mich vergessen solle.

      Meine Freude an Weihnachten war verflogen. Ich fand Weihnachten schrecklich. So etwas läuft im Zentrum einer Kirchengemeinde ab!

      Der politische Kabarettist und Autor Philipp Schaller fiel mir ein.

      „Weihnachten oder Möglichkeiten der Folter im 21. Jahrhundert.“

      So lautet der Titel seines kleinen skurrilen Büchleins, das er meiner Frau und mir geschenkt hatte. In der Tat, für mich ein passender Kommentar zu dem, was ich soeben erlebt habe. Er hatte ins Buch geschrieben, dass er uns ein frohes, besinnliches Fest wünscht. Doch nicht ein verlogenes.

      So schnell wirst du mich nicht los, sagt der Weihnachtsmann

      Über Weihnachtsmänner, die eine Balkonbrüstung erklimmen oder an einer Regenrinne hochklettern, muss ich schmunzeln. Mit dieser Fantasiefigur kann man so manches Unterhaltsame und Wohltuende vermitteln. Aber Weihnachtsmänner, die Angst verbreiten, die moralisierend daherkommen oder die mich zum Kaufen überreden wollen, finde ich furchtbar. Ich übersehe den Kitsch nicht, der gerade zu Weihnachten mit Händen zu greifen ist. Aber ich gebe auch gerne zu: Mancher Kitsch ist schon wieder so herrlich kitschig, dass es richtig schön ist.

      Und da ist noch etwas, was mir am Weihnachtsfest gefällt. Ich singe gern die alten christlichen Weihnachtslieder, ebenso aber auch die der weihnachtlichen Folklore.

       „Ich steh an deiner Krippen hier o Jesu, du mein Leben …“

      Was für ein Lied! Da ist einer überwältigt davon, dass es in dieser Welt mit ihren Unzulänglichkeiten und auch Gemeinheiten Liebe gibt, dass ein Mensch mit seinen engen Grenzen weit und offen werden kann und sich zugleich geborgen und glücklich fühlt. Ein Geschenk des Lebens, ein Wunder. Und gleich daneben der Kitsch. „Susanni susanni susanni“ und „Eia wärn wir da.“

      Noch mehr ist das bei den Liedern der weihnachtlichen Folklore der Fall. „Der blonde Knabe im lockigen Haar …“ Albern!

      Und trotzdem hat dieses Lied „Stille Nacht“ die große emotionale Kraft, Menschen anzurühren, ihre Verhärtungen aufzubrechen und sie wieder ihr Herz spüren zu lassen.

      Ja, Lieder sind mehr als ihre Texte. Und Texte sind mehr als ihre Wörter. Deshalb kann ich sie singen und zugleich doch meine kritische Distanz bewahren. Auf ihre christliche Ideologie will ich nicht hereinfallen, auch nicht auf ihre Betulichkeit, ebenso wenig wie auf ihre Sentimentalität. Im Übrigen: Was im Leben kann ich denn schon ohne innere Distanz tun? Was gibt es denn, bei dem ich kein Aber verspüre?

      Der Musiker und Schauspieler Christian Steyer mit seinem Jazzchor fällt mir ein. Wie der mich hineinnimmt in die lebensbejahende Energie, die von seinen Konzerten ausgeht. „Alte Weihnachtslieder neu interpretiert.“ Das gelingt ihm, ohne sie auch nur im Geringsten modisch zu verpacken. Ihr guter alter Sinn, bewahrt in ihren gealterten Worten und Bildern, sprechen unmittelbar zu mir; und ich lebe doch heute in einer sehr anderen Welt. Wenn Christian Steyers Solistenchor singt: „Fürchte dich nicht!“, dann verliere ich meine Angst.

      Mir ist das ganz klar: In dem alten Fest Weihnachten steckt eine Sehnsucht nach Leben; mehr noch als bloß die Sehnsucht, auch schon die Erfahrung, dass gelebt werden darf und kann. Und die ergreift und erfüllt mich. Ich werde dankbar und muss jubeln. Ja, Weihnachten ist schön, weil es gut tut. Nicht zufällig wird es gefeiert in den kurzen, dunklen Tagen des Winters, an denen die Sonne zeigt, dass sie sich nicht unterkriegen lässt.

      Und es sind nicht nur die Lieder, es ist die Musik überhaupt, die mich für den Inhalt des Festes öffnet. Weihnachten ohne Corellis Weihnachtskonzert oder Bachs Weihnachtsoratorium, geht das für mich? Und ein bisschen gehört Johnny Cashs sentimentales „Silent night“ auch noch dazu.

      Und noch etwas gefällt mir an Weihnachten: Ich esse gern, und zu Weihnachten besonders gern, Gänsebraten. Der Popmusiker Frank Zander fällt mir ein, der Jahr für Jahr für obdachlose und bedürftige Menschen ein Weihnachtsessen organisiert. Und das nun schon seit über zwanzig Jahren. Mehr als dreitausend Menschen waren es beim letzten Mal. Weihnachten ist ein Fest der Gelegenheiten, sich und anderen das Leben schön zu machen.

      Auf den Punkt gebracht: Ich finde Weihnachten schön mitsamt dem geschmückten Baum im Zimmer. So weit wie der norddeutsche Dichter und Schriftsteller Theodor Storm, der durchaus kein Freund der Religion war, erst recht nicht der christlichen, will ich nicht gehen. „Weihnachten – es war immer mein schönstes Fest“, hat er gesagt. Nein, aber schön ist es schon.

      Ich denke an meinen Freund. Der hält Weihnachten nicht aus. Ich habe ihm einmal ein paar Verse geschmiedet.

       Das Weihnachtsfest – was soll ich sagen?

       Ich kenne ein´n, der stellt sich immer tot.

       Er leidet an den süßen Tagen.

       Sieht er ´nen Weihnachtsmann, dann sieht er rot.

       Der ganze Rummel, das Getue!

       Die Stille Nacht ist nur sentimental.

       Es gibt sie nicht, die Himmelsruhe.

       Ihr seid doch alle krank, verdammt noch mal!

      

      „Der strafende und belohnende Weihnachtsmann ist doch furchtbar und der mit der Colaflasche in der Hand auch. Erst recht der, der mich ständig zwingen will, zu kaufenkaufenkaufen.“

      Ich habe die Worte meines Freundes noch im Ohr.

      Es sind auch meine Worte. Was da abläuft, macht auch mir schlechte Laune. Der Geschenkezwang, das ganze weihnachtliche Kaufgehabe, das schon längst auf Touren läuft, bevor die Adventszeit begonnen hat. Die Einforderung von Familienharmonie: Heiligabend sitzt man zusammen mit Eltern und Schwiegereltern bei sich zu Hause, am ersten Feiertag mit den Eltern in ihrer Wohnung und am zweiten dann mit den Schwiegereltern in deren Wohnung. Und zu alledem, was mir das Fest verleidet, kommt noch die unaufhörliche